Interview mit Anna-Lena Bethke

Gründungsland Schleswig-Holstein: „Im Moment ist tote Hose“

Gründungsland Schleswig-Holstein: „Im Moment ist tote Hose“

Gründungsland Schleswig-Holstein: „Im Moment ist tote Hose“

SHZ
Flensburg/Glücksburg
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Anna-Lena Bethke (30) ist Gründungsberaterin beim Gründungszentrum Inkubatorium. Foto: Michael Staudt Foto: 90037

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Anna-Lena Bethke ist Gründungsberaterin beim Gründungszentrum Inkubatorium aus Glücksburg und hilft Start-ups und allen, die sich für das Thema Gründung interessieren, bei ihrem Schritt in die Selbstständigkeit.

„Im Moment merken wir, dass viele der jungen Leute, Schulabgänger und junge Studierende, ganz andere Vorstellungen von der Selbstständigkeit und der Gründung von Start-ups haben“, sagt Anna-Lena Bethke. Die 30-Jährige ist Gründungsberaterin beim Gründungszentrum Inkubatorium aus Glücksburg und hilft Start-ups und allen, die sich für das Thema Gründung interessieren, bei ihrem Schritt in die Selbstständigkeit.

Katharina Friemert (16) ist Schülerin am Alten Gymnasium und Mitglied der dortigen Journalismus-AG. Im Interview hat sie sich mit Anna-Lena Bethke darüber unterhalten, warum es wichtig ist, junge Menschen für das Thema Gründen und Selbstständigkeit zu begeistern, warum im „Gründerland Schleswig-Holstein“ derzeit tote Hose herrscht und warum man nicht gleich die eierlegende Wollmilchsau sein muss.

Was halten Sie von der TV-Sendung „Die Höhle der Löwen“, in der Menschen mit Erfindungen oder Geschäftsideen angeblich die Chance ihres Lebens bekommen, indem sie Investoren ihr Produkt vorstellen?
Tatsächlich nicht so viel. Es sehr viel Show dabei. Das Wesentliche läuft nicht vor der Kamera ab. Die Pitchen nicht nur 15 Minuten, sondern haben hinterher richtig lange, sogar stundenlange Gespräche. Das Wesentliche, worum es geht, kommt gar nicht rüber. Was gefragt wird, ist nur ein Bruchteil, was wirklich interessant ist, wenn es um eine Beteiligung geht.

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Bevor man einen Investor mit einer Beteiligung ins Boot holt, muss man aber erstmal eine Firma aufbauen. Woher bekomme ich überhaupt das Wissen, ein Start-up oder ein Unternehmen zu gründen?
Das ist ganz spannend. Natürlich brauche ich eine Idee für das Unternehmen. Wie verdiene ich damit Geld? Reicht die Idee aus oder brauche ich ein weiteres Produkt dazu? Wenn ich ein Start-up gründe, geht es natürlich darum: Wie kann ich wachsen? Im Gründungsteam brauche ich immer jemanden, der das Produkt oder die Dienstleistung beherrscht und herstellen kann. Zudem brauche ich eigentlich immer Unterstützung von außen. Es gibt fast niemanden, der alles selbst kann. Zum Beispiel haben wir hier gerade im Gespräch eine Schülerin, einen Lehrer und eine Wirtschaftswissenschaftlerin. Ich glaube nicht, dass wir ein Handy bauen oder ein neues Auto erfinden könnten. Man braucht andere Fähigkeiten und Know-how. Die wesentlichen Skills sollten im Gründungsteam vorhanden sein, ganz klar, aber man sollte sich auch Hilfe von außen holen.

Was ist denn der Unterschied zwischen einem Start-up und einer Gründung?
Ein Start-up soll mit einer innovativen Idee schnell wachsen. Wenn ich eine Tischlerei aufmache, gründe ich, dann ist das kein Start-up.

Haben Sie schon einmal ein Start-up betreut, von dem Sie dachten: „Das ist aber eine kuriose Idee, auf die wäre ich nie gekommen“?
Ja, tatsächlich. Wir haben momentan eine Gründung von leidenschaftlichen Stand-up-Paddlern aus Flensburg. Das Start-up heißt Bajao. Sie haben sich überlegt, wie es ist, wenn man mit dem SUP-Bord unterwegs ist und irgendwo übernachten will. Da ist es schlecht, ein Zelt mitzunehmen. Also haben sie ein Zelt erfunden, das man auf das Bord bauen kann. Sie sagen selbst: Man kann damit an Land, auf dem Wasser und in der Luft campen.

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In der Luft?
Ja, wenn man das SUP-Bord beispielsweise auf dem Autodach hat, kann man auch darauf campen. Man kann auch auf dem Wasser schlafen, dann muss man es gut verankern. Man kann es aber auch einfach an den Strand ziehen – und dann das Zelt nutzen. Das ist auf jeden Fall eine spannende Idee.

Unter welchen Umständen sollte man keineswegs eine Firma gründen?
Wir sagen immer: Es gibt viele potenzielle Gründer, die sind total produktverliebt. Wenn ich über zehn Jahre lang hinweg mein Produkt gehegt, gepflegt und perfektioniert habe, dann muss man aufpassen. Dann ist man schon zu lange dabei, wenn man dann immer noch nicht gegründet hat. Man muss zudem kritikfähig sein für sein Produkt. Es vielleicht auch nochmal verändern, damit man es konkurrenzfähiger oder einfacher für den Kunden macht.

Man muss als Gründer ja eigentlich fast immer in Vorleistung gehen. Wie lange sollte man das machen?
Die normalen Planungen laufen immer auf drei bis fünf Jahre. Dann sollte man schwarze Zahlen schreiben, um seine Darlehen zurückzahlen zu können. Das ist der Regelfall.

Was ist ihr Top-Tip für Start-ups? Beziehungsweise jetzt müssen wir ja fragen: Für Start-ups oder Gründungen?
Wir sind in Schleswig-Holstein, hier unterscheiden die Statistiken nicht so zwischen Gründungen und Start-ups. Was schade ist. Dann könnten wir schauen, ob wir 214 Gründungen oder vier Start-ups haben. Das ist schon eine ganz unterschiedliche Zahl. 2019 haben wir groß gesagt: Wir sind Gründungsland in Schleswig-Holstein. Es geht alles bergauf. Aber im Moment ist tote Hose bei uns. Wir müssen ganz viel fürs Mindset machen, damit Gründungen wieder attraktiver werden. Daher lautet mein Tipp: Redet über eure Ideen, sucht euch ein Team und schreibt einfach mal auf, was ihr vorhabt. Alles andere kommt danach. Und es muss erstmal auch nicht die eierlegende Wollmilchsau sein.

Liegt die „tote Hose“ an Corona oder was sind die Gründe?
Ich glaube nicht, dass es an Corona liegt. Es ist einfach nicht attraktiv genug. Die Hilfestellung, für diejenigen, die Interesse an einer Gründung haben, ist nicht genügend vorhanden.

Meinen Sie vom Staat oder auf wen beziehen Sie sich?
Ja, genau. Von Instituten, von Angeboten, die da sind. Deswegen haben wir einen Verein mit dem Namen „Start-up- und Gründerrat e.V.“ gegründet, um in Flensburg mehr für Gründende da zu sein und in den Austausch mit Interessierten und bereits gegründeten Start-ups und Unternehmen zu gehen. Wir wollen den Weg ebnen, um Gründungen einfacher zu machen. In dem Verein sind mehrere Privatpersonen und Unternehmen beteiligt. Es ist wichtig, dieses Thema nach außen zu tragen und zu zeigen, dass eine Gründung möglich ist. So viel braucht es gar nicht.

Was raten Sie denn junge Menschen, die vielleicht gerade Abitur machen und mit dem Gedanken spielen, zu gründen?
Es muss bewusst sein, dass es viel Arbeit ist und man richtig viel Energie reinstecken muss. Das ist klar. Man muss sich auch viel mit Zahlen auseinandersetzen. Ich glaube, viele trauen sich nicht zu gründen, weil sie zu viele Risiken sehen. Auf der anderen Seite denken viele, dass das Start-up-Leben total glamourös ist und Investoren geldscheinwedelnd hinter einem herlaufen. Das ist es auch nicht.

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Also ist es eher der Weg dazwischen?
Ganz genau. Die Vorstellungen gehen da ganz stark auseinander, was Gründen angeht. Die einen sehen sich als den neuen Elon Musk oder Jeff Bezos und die anderen sehen sich schon, bevor sie gegründet haben, in der Insolvenz. Für junge Gründungsteams ist es wichtig, dass man mit anderen darüber redet. Niemand stiehlt einem die Idee.

Aber die Sorge ist doch berechtigt, oder?
Sagen wir es mal so: Wenn einem so leicht und schnell die Idee geklaut werden kann, war es vielleicht auch nicht die beste. Ich würde mir wünschen, wenn viele junge Leute, die Ideen haben, auch mutig sind, den Schritt weiterzugehen und ihre Idee zu verfolgen – und an Gründung denken. Man kann so eine Idee später wieder verkaufen. Man kann ein Start-up ja auch relativ schnell wieder zum Exit führen oder andere Leute mit ins Gründungsteam holen. Es gibt viele verschiedene Modelle. Es lohnt sich das zu verfolgen.


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