Klimafreundlich Heizen

Heißer Schatz: Das Erdwärme-Potenzial ist groß – warum bleibt es ungenutzt?

Heißer Schatz: Das Erdwärme-Potenzial ist groß – warum bleibt es ungenutzt?

Heißer Schatz: Das Erdwärme-Potenzial ist groß

Leon Grupe/shz.de
Flensburg
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Ein Mitarbeiter blickt auf einen Geothermie-Bohrplatz in Graben-Neudorf, Baden-Württemberg. Foto: dpa/Uwe Anspach/shz.de

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In Deutschland werden Städte noch immer hauptsächlich mit Öl und Gas beheizt. Dabei ist das Vorkommen an erneuerbarer Wärme im Untergrund fast überall enorm. Man muss es nur anzapfen. Doch Tiefenbohrungen sind teuer – und riskant.

Dampfschwaden steigen aus dem Boden, dicke Rohre ziehen sich durchs Tal, immer wieder zischt es laut. Am Samstag vor zwei Wochen besucht Olaf Scholz das Geothermiekraftwerk Olkaria in Kenia, das größte in Afrika. Der Kanzler ist hier, um zu begutachten, was in dem Land ziemlich gut funktioniert – die Nutzung von Erdwärme zur Energieerzeugung. Die zahlreichen hydrothermalen Quellen am Rande des Ostafrikanischen Grabenbruchs, wo die afrikanische und die arabische Erdplatte auseinanderdriften, liefern fast die Hälfte des landesweiten Stromverbrauchs. Von Kenia könne sich Deutschland, so Scholz, einiges abgucken. Geothermie sei hierzulande an „viel mehr Stellen“ möglich, „als viele heute denken.“

Tatsächlich macht die klimafreundliche Technologie nur einen Bruchteil der Strom- und Wärmeversorgung in Deutschland aus. Dabei sollen bis 2030 nicht nur 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien stammen. Scholz’ Koalition sucht auch verzweifelt nach umweltschonenden Lösungen fürs Heizen. Welchen Anteil könnte die Geothermie daran haben? Wo lohnt sich der Einsatz besonders? Und was haben Wärmepumpen mit alldem zu tun? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Wie funktioniert Geothermie?

Anders als Erdgas oder Erdöl ist Erdwärme kostenlos, rund um die Uhr verfügbar und quasi unerschöpflich. In einer Tiefe von bis zu fünf Kilometer wird Thermalwasser angezapft und an die Erdoberfläche befördert. Hier gibt es seine Hitze ab und wird abgekühlt über ein zweites Bohrloch wieder in die Tiefe geleitet. Wie viel Hitze sich so gewinnen lässt, hängt ganz von der Tiefe ab – je tiefer man kommt, desto wärmer wird es, drei Grad pro hundert Meter Tiefe ist die Faustregel. Ist das Temperaturniveau hoch genug, kann mit Erdwärme auch Strom in größerem Umfang erzeugt werden.

Fachleute unterscheiden klassischerweise zwischen zwei Arten der Geothermie. Kommt die Wärme aus nahen Erdschichten, spricht man von oberflächennaher Geothermie. Bohrungen in Tiefen ab 400 Metern werden als Tiefengeothermie bezeichnet. Ende April weihte Olaf Scholz eine solche Anlage in Schwerin ein, die aus 1300 Metern Tiefe hochgepumptes Wasser für die Energieerzeugung nutzt.

Wie viele Anlagen gibt es in Deutschland?

Nach Angaben des Bundesverbands Geothermie gibt es bundesweit 42 Anlagen, bei denen Tiefengeothermie zum Einsatz kommt – davon allein 24 in Bayern. Niedersachsen und Schleswig-Holstein zählen bislang noch keine Projekte, Mecklenburg-Vorpommern immerhin drei. Bis 2030, so schwebt es dem Bundeswirtschaftsministerium vor, sollen 100 weitere Anlagen in ganz Deutschland angestoßen werden. Bei der oberflächennahen Geothermie wurden dem Bundesverband zufolge mehr als 470.000 Systeme ans Netz angeschlossen.

Wie groß ist das Potenzial?

Die Bundesregierung will den Erneuerbaren-Anteil am Wärmeverbrauch bis 2030 auf 50 Prozent anheben. Laut einem Positionspapier unter Beteiligung mehrerer Branchenverbände könnte die Technologie ein Viertel des gesamtdeutschen Bedarfs an Wärme abdecken. Das Fraunhofer-Institut für Energieinfrastrukturen und Geothermie hält das für realistisch. „Mit der heutigen Technik ließen sich aus tiefer Geothermie 300 Terawattstunden Wärme erzeugen“, bestätigt Sprecher Kosta Schinarakis. Noch optimistischere Zahlen hat das Umweltbundesamt in seiner Studie „Energieziele 2050“ errechnet. Demnach liegt das Potenzial bei 312 Terawattstunden, und das über einen Nutzungszeitraum von 1.000 Jahren. Gerade das Münchener Umland, der Oberrheingraben und das Norddeutsche Becken gelten als verheißungsvolle Regionen.

Wo ist der Einsatz von Erdwärme sinnvoll?

„Tiefengeothermie bietet sich vor allem da an, wo es Fernwärmenetze gibt“, sagt Kosta Schinarakis. Daher könnte sie gerade in Städten helfen, das Heizen klimafreundlich zu machen. Für den Umstieg müssten die Haushalte nicht mehr selbst sorgen, sondern die Stadtwerke vor Ort – indem sie „statt eines Kohlekraftwerks einfach eine Erdwärme-Anlage an das Netz anschließen“.

Allerdings schreckten viele Stadtwerke bisher vor der tiefen Geothermie zurück. „Eine Bohrung kostet leicht zwischen zehn und 15 Millionen Euro“, so Schninarakis. „Für kleinere Stadtwerke mit einem Jahreserlös in der gleichen Größenordnung ist eine solche Investition betriebswirtschaftlich zu riskant.“ Zumal Geothermie-Projekte auch immer eine Bohrung ins Ungewisse seien. Dass man auf heißes Wasser stößt, sei „keinesfalls garantiert“.

Das finanzielle Risiko könnte über einen öffentlichen Fonds abgefedert werden. Aber so ein Programm gibt es bislang nicht.

Geothermie und Wärmepumpen – geht das zusammen?

Ja. Erdwärmepumpen ziehen sich Wärme aus der oberflächennahen Geothermie. So lässt sich die Zahl von 470.000 derartigen Anlagen in Deutschland erklären. Bei der Installation einer Erdwärmepumpe müsse in der Regel rund 100 Meter in die Tiefe gebohrt werden, sagt Katja Weinhold, Sprecherin beim Bundesverband Wärmepumpen. Auch könne sich die Bohrung auf bis zu drei Bohrlöcher verteilen, die jeweils weniger tief ins Erdreich ragen. Weinhold zufolge sollten Verbraucher mit 100 Euro pro Bohrmeter rechnen. Für die Wärmepumpe selbst würden zusätzlich zwischen 10.000 und 20.000 Euro fällig, abhängig von Leistung und Hersteller.

Wer sich für eine Erdwärmepumpe interessiert, braucht zunächst eine Genehmigung durch die untere Wasserbehörde. Wenn tiefer als 120 Meter gebohrt werden soll, muss das Bergamt sein Okay geben. Dabei werden die Bodengegebenheiten geprüft. Weinhold: „Je feuchter der Untergrund, desto besser wird die Wärme an die Erdoberfläche geleitet.“ Hausbesitzer sollten sich aber im Klaren sein. „Liegt das Grundstück etwa in einem Wasserschutzgebiet, können die Behörden die Bohrungen untersagen.“ In dem Fall sei eine Luftwärmepumpe die Alternative, die Wärme aus der Umwelt sammelt, erhitzt und dann in die Heizung im Haus abgibt.

Jedoch verbrauchten Luftwärmepumpen 25 Prozent mehr Strom als jene Gerätschaften, die mit Geothermie bespeist werden, merkt Fraunhofer-Sprecher Kosta Schinarakis an. Deshalb sei die Erdwärmepumpe für Haushalte auf lange Sicht die günstigere Option, trotz der höheren Anschaffungskosten.

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