Verkehr

Im Nachtzug vom Hamburg nach Oslo: So weit sind die Planungen fortgeschritten

Im Nachtzug vom Hamburg nach Oslo: So weit sind die Planungen fortgeschritten

Nachtzug vom Hamburg nach Oslo: So weit sind die Planungen

Peter Riesbeck/shz.de
Flensburg
Zuletzt aktualisiert um:
Ein Nachtzug der neuen Generation, wie ihn die ÖBB künftig auch für die Strecke von Hamburg nach Innsbruck und Wien einsetzen will. Foto: ÖBB/Harald Eisenberger

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Der Nachtzug als klimafreundliche Alternative zum Billigflieger ist zurück. Im Dezember startet die prestigeträchtige Strecke von Berlin nach Paris. Und die schwedische Bahn bastelt an einer neuen Nachtstrecke von der Alster nach Oslo.

Wer hat’s erfunden? Ein Belgier. „Nie war das Bedürfnis nach Reisen größer und die Lage der Schlafwagendienste zufriedenstellender“, notierte der Lütticher Bankierssohn Georges Nagelmackers. Er setzte 1873 den ersten Schlafwagen in Europa aufs Gleis. Ausgangspunkt war schon damals Wien. 150 Jahre später sagt der Österreicher Bernhard Rieder selbstbewusst: „Der Nachtzug war über weite Strecken des 20. Jahrhunderts die Form des Reisens.“

Rieder ist Sprecher der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB). Er darf so markig sprechen. Der österreichische Staatskonzern rettete die belgische Idee des Schlafwagens hinüber ins im 21. Jahrhundert. Als die Deutsche Bahn (DB) sich 2016 aus dem nächtlichen Geschäft verabschiedete, stieg die ÖBB ein und machte die Nachtverbindungen zu einem europäischen Erfolgsprojekt. Nächster Coup: Mit dem Fahrplanwechsel am 10. Dezember startet die ÖBB die prestigeträchtige Nachtzuglinie von Berlin über Straßburg nach Paris.

Die Nachtzüge schienen unrentabel – dann kam Greta Thunberg

„In Österreich gab es immer ein klares Bekenntnis zur Bahn“, sagt Rieder über das nächtliche Erfolgsgeheimnis der ÖBB.

Mit dem Aufkommen der Billigflieger in den 90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts geriet die lange Reise mit dem Zug allmählich ins Hintertreffen – auch preislich. Nach und nach verabschiedeten sich die Staatsbahnen europaweit aus dem Geschäft mit dem Schlafwagen. Zu teuer und zu unrentabel schienen die Nachtzüge, die täglich nur für jeweils eine Fahrt genutzt werden können.

Im Zentrum Europas glaubte nur die ÖBB an den nächtlichen Erfolg. Dann stieg mit dem Klimawandel nicht nur das Umweltbewusstsein, Aktivistinnen wie Greta Thunberg machten auch die Langstrecke per Zug wieder hip. Social-Media-Posts von überfüllten Zuggängen gingen plötzlich viral. Bahnfahren wurde zum Bekenntnis. Erst recht mit dem Nachtzug. Heute sagen in einer Allensbach-Umfrage 69 Prozent der Bevölkerung, sie denken bei Bahn zuerst an Umweltfreundlichkeit.

Pläne für Verbindung von Hamburg nach Oslo

Das Angebot für die Umwelt ist aber ausbaufähig. Trotz der Klimavorteile der Bahn rollen in Europa nur sieben Prozent des Personen- und elf Prozent des Güterverkehrs übers Gleis. Die EU strebt an, das im Rahmen des Klimaprogramms europäischer Grüner Deal zu ändern. Das Ziel: Bis 2050 sollen die verkehrsbedingten Emissionen um 90 Prozent runter.

Unter anderem soll Europas Hochgeschwindigkeitsnetz wachsen. Zudem legte die EU zu Jahresbeginn einen Plan zum Ausbau des grenzüberschreitenden Bahnverkehrs auf, unter den zehn Pilotstrecken sind auch zwei Nachtzuglinien, darunter die Strecke von Berlin über Hamburg nach Stockholm.

„Die Auslastung der Züge ist unglaublich“, sagt Christer Litzell, Geschäftsführer der schwedischen Bahnkonzerns SJ. Seit Frühjahr verkehrt der Nachtzug des Unternehmens von Berlin über Hamburg nach Stockholm. Eigentlich sollte nach den Sommermonaten im Oktober Schluss sein. Aber die Nachfrage war so hoch, dass das Angebot kurzerhand verlängert wurde.

Die Mehrheit der Reisenden sind Urlauber; aber auch Geschäftsleute aus Schweden nutzen die Verbindung, um in Hamburg oder Berlin am nächsten Tag ausgeschlafen Businesstermine wahrnehmen zu können. Schon basteln die Schweden an neuen Verbindungen. Ganz oben auf dem Plan: ein Nachtzug von Hamburg nach Oslo.

Neue Schlafwagen auf der Strecke nach Hamburg

Es tut sich was, auch abseits der Gleise bei den Geschäftsmodellen der Anbieter. „Unsere Züge fahren, und damit ist unser Traum wahr geworden“, sagt Chris Engelsman. Der Niederländer ist Ko-Chef des Bahn-Startups European Sleeper. Seit März betreibt das Bahn-Startup die Nachtzuglinie von Berlin über Amsterdam nach Brüssel. Im März kommenden Jahres wird die Verbindung über Dresden bis nach Prag verlängert. Europa entdeckt die Schiene.

Chris Engelsman musste man zum Zugfahren nicht überzeugen. Der Mann ist Bahnenthusiast. Vor drei Jahren startete der Experte für öffentliche Infrastruktur mit seinem Freund Elmer van Buuren eine Initiative, um die Idee des Nachtzugs voranzubringen. Nächstes Ziel: ein Nachtzug von Amsterdam über Brüssel nach Barcelona, ebenfalls eine Pilotstrecke des EU-Programms. Engelsman sagt: „Das Ende unserer Reise ist noch lange nicht in Sicht.“

Doch es rumpelt es mitunter auf Europas Gleisen. Litzells Bahngesellschaft SJ muss auf dem Weg von Stockholm nach Hamburg in Dänemark auf den Dienstleister Hector Rail zurückgreifen, weil der dort auf den Gleisen über die nötigen Lizenzen verfügt. In Berlin werden die Schweden auf den Bahnhof Gesundbrunnen abgedrängt, das niederländische Bahn-Startup European Sleeper muss vom östlichen Bahnhof Lichtenberg starten.

Auch der Ticketkauf ist beschwerlich. Von der Vorab-Buchung von Anschlussverbindungen an Zielorten wie Paris oder Brüssel ganz zu schweigen. Eine angekündigte Initiative den grenzüberschreitenden Ticketkauf zu vereinfachen hat die EU-Kommission im Herbst kurzerhand gestrichen. „Die Weichen absolut falsch gestellt“, sagt Anna Deparnay-Grunenberg. Die deutsche Grünen-Politikerin sitzt im Verkehrsausschuss des Europaparlaments und ist große Anhängerin von Nachtzügen. „Das spart enorm viel Zeit“, sagt sie.

Die Probleme der Nachtzüge

Kostet mitunter aber auch ein paar Nerven. Anna Deparnay-Grunenberg hat deshalb eine ganze Liste von Vorschlägen, wie der Nachtzug in der EU weiter vorangebracht werden kann. Da sind zum einen die Trassenpreise für die nächtlichen Reisen durch Europa. „Da gibt es Bahngesellschaften, die berechnen das Trassenentgelt für die Nutzung der Gleise nach Entfernung, andere taxieren nach Zeit und dann gibt es Mischformen“, sagt die Politikerin und fordert: „Am besten wäre natürlich ein Wegfall der Preise. Aber wir brauchen in der EU ein einheitliches System.“

Auch die Buchung müsste verbessert werden. „Manche Züge im Ausland erscheinen überhaupt nicht im Buchungsportal der großen Bahnkonzerne“, klagt die Abgeordnete. Hinzu kommen Entschädigungen bei verpassten Zügen. „Der Zubringer hat Verspätung. Und dadurch wird der Nachtzug eines anderen Anbieters verpasst. Das Nachsehen hat der Reisende. Dafür braucht es klare Regelungen“, so die Abgeordnete. Europa – es gibt immer was zu tun.

Marktführer ÖBB baut weiter am Erfolg der Nachtzüge und investiert in die Zukunft. Im Oktober stellte die ÖBB die ersten Nightjet-Züge der neuen Generation vor. Zunächst für die Strecke von Innsbruck und Wien nach Hamburg. Weitere Strecken werden folgen. Rund 700 Millionen Euro steckt die ÖBB in die 33 neuen Züge. Rieder sagt stolz:

Und warum ist ausgerechnet die ÖBB mit dem Nachtzug so erfolgreich? Rieder hat eine Erklärung parat: die Topographie der Alpenrepublik. „Wien liegt sehr weit im Osten. Wer sich mit dem Zug bewegen will, nutzt die Nacht.“

Mehr lesen

Leserbrief

Kirsten Bachmann/Stephan Kleinschmidt
„Gemeinsam kommen wir weit: Rettet die Flensburger Förde“