Energiekrise und teure Lebensmittel

Kieler Ökonom: „Von Tankgutscheinen halte ich gar nichts“

Kieler Ökonom: „Von Tankgutscheinen halte ich gar nichts“

Kieler Ökonom: „Von Tankgutscheinen halte ich gar nichts“

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Kiel
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Kein Grund zur Sorge: Auch wenn Produkte wie das Sonnenblumenöl teurer werden, gibt es ausreichend Nahrungsmittel in Deutschland und Europa. Foto: dpa Foto: 90037

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Wirtschaftliche Folgen des Krieges in der Ukraine: Der Kieler Ökonom Alexander Sandkamp über Preisanstiege und staatliche Eingriffe

Während allenthalben über Lieferengpässe und Preiserhöhungen gerade bei Lebensmitteln debattiert wird, ist die Prognose des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) eindeutig: Auch in Deutschland werden die Lebensmittel teurer werden, aber es wird nicht zu Versorgungsengpässen kommen. „Bei uns muss aber wirklich niemand hamstern“, sagt Alexander Sandkamp. Er ist Juniorprofessor für Volkswirtschaftslehre an der Kieler Christian-Albrechts-Universität mit dem Schwerpunkt Außenhandel, außerdem Mitglied der sogenannten Trade Policy Task Force des IfW, die insbesondere bei Sanktionen oder Handelskriegen gefragt ist. Sandkamp äußert sich zu ökonomischen Fragen des Ukraine-Krieges.


Mögliche Lieferengpässe

In Deutschland müsse man sich diesbezüglich keine Sorgen machen, sagt Sandkamp. So stammten nur 0,17 Prozent der deutschen Weizenimporte aus der Ukraine. „Das wird andere Regionen wie Afrika sehr viel stärker treffen“, so Sandkamp. Wenn es dort zu großen Importausfällen komme, würde das zu einem Anziehen der Weltmarktpreise führen – und damit indirekt doch wieder Deutschland treffen. Weizen, Mais, Gerste, aber auch das viel zitierte Sonnenblumenöl würden also teurer. Insgesamt wären aber noch ausreichend Nahrungsmittel vorhanden.

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Einfluss der Knappheits-Debatte auf den Konsum

Der öffentliche Fokus auf einzelne Produkte ändert laut Sandkamp auch das Konsumverhalten. Der Ökonom vergleicht das mit dem Phänomen des Bankruns, wenn also viele Menschen gleichzeitig das Vertrauen in Banken verlieren und ihr Geld abheben wollen. „Dann kann es zum Zusammenbruch solcher Institute kommen.“ Während der Corona-Pandemie waren etwa die Hamsterkäufe von Toilettenpapier in Deutschland und Pasta in Italien oft persiflierte Folgen dieser psychologischen Konsumpanik. Sandkamp hält die temporäre Mengenbegrenzung bei einzelnen Produkten für sinnvoll, „vor allem aber müssen Politik und Gesellschaft Ruhe verbreiten, denn bei uns muss sich niemand Sorgen machen.“

Inflation

Diese sei ein reales Problem, „weil die Preise schon im vergangenen Jahr in Folge der Corona-Pandemie gestiegen sind“. Ökonomen bezeichnen das als Aufholeffekte nach der Krise, einerseits durch Lieferengpässe, andererseits durch große Nachfrage und gewachsene Privatvermögen während der Corona-Pandemie. Hinzu kommen tatsächliche Lieferengpässe. In seiner Frühjahrsprognose hat das Kieler IfW formuliert, dass der Krieg in der Ukraine die deutsche Wirtschaft spürbar belastet und damit den ohnehin schon starken inflationären Druck erhöht. Die Erholung breche aber nicht ab, auch wenn die Inflationsrate auf 5,8 Prozent steigen dürfte, was der höchste Wert seit der Wiedervereinigung ist. „Diese Preissteigerungen sind problematisch, aber es ist Glück im Unglück, dass viele Haushalte in den Pandemiejahren etwas angespart haben.“ Helfen müsse man aber dort, wo das nicht der Fall ist.

Soziale Ungleichheiten

„Viele Haushalte sind stark belastet“, sagt Sandkamp, der allerdings darauf hinweist, dass die durchschnittlichen Berechnungen von Preissteigerungen nicht die Möglichkeit der Substitution einschließen. „Wenn Sonnenblumenöl gerade sehr teuer ist, dann kann man immer noch auf andere Öle ausweichen.“ Er sieht die Gesellschaft nicht auf dem Weg in eine soziale Krise: „Wir sollten die Ungleichheiten trotzdem im Blick behalten, nicht weil wir soziale Unruhen befürchten müssen, sondern um diesen Menschen zu helfen.“

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Tankgutscheine

„Von Tankgutscheinen halte ich gar nichts. Gestiegene Benzinpreise spiegeln eine Knappheit wieder, die wir nicht durch künstliche Subventionen aufheben können“, sagt Sandkamp. Stattdessen werde durch solche Maßnahmen die Motivation zur Substitution reduziert. „Wenn das Benzin teuer ist, steigen die Menschen auf andere Transportmittel um oder bilden Fahrgemeinschaften. Tankgutscheine würden solche Tendenzen aushebeln, das macht volkswirtschaftlich keinen Sinn und bedient nur Klientelinteressen.“ Zumal es der Politik häufig schwer falle, später wieder von diesen „Wohltaten“ zurückzutreten. Auch ein Tempolimit oder Sonntagsfahrverbote lehnt Sandkamp ab: „Das wird an den Preisen nicht viel ändern.“

Sofortiger Ausstieg aus russischer Energie

Wenn der sofortige Ausstieg auch unter hohen Kosten möglich sei, sollte dieser auch vollzogen werden. „Die bisherigen Simulationen suggerieren, dass wir das wirtschaftlich verkraften könnten, obwohl es auch gegenteilige Einschätzungen gibt. Schon aus moralischen Gründen sollten wir uns so weit wie möglich aus dieser Abhängigkeit zurückziehen.“

Wie wird die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Russland nach einem möglichen Ende des Krieges aussehen?

„Das kommt sehr darauf an, wie Russland sich gesellschaftlich und politisch entwickelt“, sagt Sandkamp: „Unsere Simulationen haben gezeigt, dass Deutschland und Europa die wirtschaftliche Entkopplung von Russland langfristig kaum schadet.“ Nur 5 Prozent des EU-Außenhandelns seien mit der russischen Wirtschaft verbunden, „da sind die Abhängigkeiten, wenn man Öl und Gas ausklammert, sehr gering.“

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Wandel durch Handel

Dieses ökonomische Prinzip, dass mit dem wirtschaftlichen Austausch auch demokratische Strukturen weitergegeben würden, sieht Sandkamp kritisch. „Wir handeln schon lange mit Russland, das hat also offensichtlich nicht funktioniert. In China übrigens auch nicht.“ Den größten Einfluss diesbezüglich hätten noch deutsche und europäische Unternehmen, die in diesen Regionen aktiv sind oder Werke bauen – und dann auf der Mikroebene Verbesserungen bei Menschenrechten und Arbeitsbedingungen durchsetzen könnten.

Europäischer Protektionismus

„Eine Abkoppelung Europas von der Weltwirtschaft würde ich nicht empfehlen“, sagt Sandkamp. Die Kosten wäre für Europa größer als für die anderen Handelspartner. „Allein Deutschland würde bei einer wirtschaftlichen Abschottung Europas sieben Prozent seines Bruttoinlandproduktes verlieren, das sind 240 Milliarden Euro jährlich.“ Trotzdem sieht Sandkamp den Höhepunkt der Globalisierung überschritten. „Aber es muss klar sein, dass eine erzwungene Re-Regionalisierung mit Wohlstandrückgängen bezahlt wird. Wenn man das will, ist das in Ordnung, aber wenn jeder nur bei sich kauft, geht es allen schlechter.“

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