Krieg in der Ukraine

Kieler Politikwissenschaftler Joachim Krause: „Das wäre reiner Selbstmord“

Kieler Politikwissenschaftler Joachim Krause: „Das wäre reiner Selbstmord“

Kieler Politikwissenschaftler: „Das wäre reiner Selbstmord“

Martin Schulte/shz.de
Kiel
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Sieht Deutschlands Ansehen im Westen am Tiefpunkt: Joachim Krause. Foto: hfr/shz.de

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Über Deutschlands Rolle im Ukraine-Krieg, die Fehler gegenüber Russland und die Angst vor einem Atomkrieg spricht Experte Joachim Krause im Interview.

Herr Krause, Bundeskanzler Olaf Scholz steht in der Kritik, weil er nicht die Waffen in die Ukraine liefert, die von dort gefordert werden. Ist diese Kritik berechtigt?

Ja, die Kritik ist absolut berechtigt, denn die Bundesregierung nimmt sich außerordentlich viel Zeit und kommt dennoch nicht zu der Entscheidung, schwere Waffen zu liefern – was ein Fehler ist.

Warum ist Zurückhaltung aus Sorge vor einer weiteren Eskalation ein Fehler?

Es besteht keine Gefahr einer Eskalation vonseiten Russlands, dazu steckt das russische Militär in viel zu großen Schwierigkeiten und es verfügt über keine realistischen Optionen für eine globale Eskalation – anders als vor 40 Jahren. Vielmehr hat die furchtgetriebene deutsche Deeskalationspolitik in den vergangenen acht Jahren dazu geführt, dass Russlands militärische Risikobereitschaft gestiegen ist; und die deutsche Politik der Deeskalation um jeden Preis wird die Risikobereitschaft Russlands weiter befördern. Wenn wir die Ukraine diesen Krieg verlieren lassen, dann wären die baltischen Staaten, Moldawien oder sogar Polen die nächsten Ziele. Das dürfen wir nicht zulassen. Bundeskanzler Olaf Scholz wiederholt derzeit leider die Fehler der vergangenen acht Jahre.

Würde Putin nicht vor einem Angriff der Nato-Mitgliedsstaaten zurückschrecken?

Das Baltikum wäre mit den bislang dort stationierten Kräften der Allianz nicht zu verteidigen. Das Alptraumszenario für den Westen ist, dass er diese Länder besetzen lässt und bei einer versuchten Rückeroberung durch Nato-Kräfte mit dem Einsatz von Kernwaffen droht. Dann würde, da bin ich mir sicher, die Spaltung der Nato drohen, unter anderem auch wieder wegen der deutschen Zögerlichkeit und Ängstlichkeit. Zurzeit besteht diese Gefahr nicht, denn Putins Truppen sind überwiegend in der Ukraine gebunden. Aber er könnte zu einem späteren Zeitpunkt die Option des Angriffs der osteuropäischen Nato-Staaten in Betracht ziehen. Das geht auch aus seinem Ultimatum vom Dezember hervor.

Ist es also richtig, auch Schweden und Finnland möglichst schnell in die Nato zu holen?

Ja, auf jeden Fall. Schweden ist wichtig für den Aufbau einer territorialen Verteidigung des Baltikums. Finnland bringt sehr gut ausgebildete Streitkräfte in die Nato ein – und eine Bevölkerung, die ähnlich wehrhaft ist wie die ukrainische.

Wie schätzen Sie Russlands nukleare Drohungen ein?

Der Einsatz ist theoretisch immer möglich, aber die russischen Militärs kennen die Dynamik, die ein solcher Einsatz auslösen würde, denn die USA könnten ihrerseits nukleare Waffen gegen Russland einsetzen und dann wird die Lage für Russland völlig unkontrollierbar. Diese Differenzierung wird in Deutschland leider selten gemacht. Die Furcht vor einem Kernwaffenkrieg hierzulande ist groß und weitgehend hausgemacht. Dies führt zur Selbstabschreckung, die nur Putin nützt. Ich erwarte den Einsatz nuklearer Waffen nicht einmal in der Ukraine. Die Zeiten, in denen Russland an taktische Durchbrüche mit Kernwaffen geglaubt hat, sind seit den 1980er-Jahren vorbei.

Aber Putin selbst hat doch auch mit Nuklearwaffen gedroht, wenn auch etwas verklausulierter.

Putin hat vor acht Wochen eine erhöhte Aufmerksamkeit bei den strategischen Angriffsstreitkräften befohlen, aber nicht mit dem Einsatz von Kernwaffen gedroht. Russland wird wegen der Ukraine keinen strategischen Atomkrieg mit den USA anfangen, das wäre reiner Selbstmord. Und auch die USA legen nach und nach ihre Bedenken gegen einen stärkeren Einsatz für die Verteidigung der Ukraine ab. US-Präsident Joe Biden hat vor ein paar Tagen gesagt, dass er nicht zulassen werde, dass Russland die gesamte Ukraine unterwirft. Das ist eine politische Festlegung, die vor wenigen Wochen noch undenkbar war.

Was bedeutet das?

Man könnte daraus schließen, dass sich die USA darauf einstellen, dass Russland zum 9. Mai, dem Feiertag des Sieges über Nazi-Deutschland, auch den Sieg in der Ukraine verkünden wird und dann einen einseitigen Waffenstillstand ausruft. Das würde bedeuten, dass Teile des Landes unter russischer Besatzung bleiben werden. Joe Biden weiß, dass er das nicht verhindern kann, aber das eigentliche politische Spiel geht dann erst los und dafür braucht die Ukraine eine westliche Sicherheitsgarantie und die hat Biden angedeutet.

Wie würde es weitergehen?

Im Falle eines von Russland einseitig verkündeten Waffenstillstands zu einem Zeitpunkt, an dem Teile des ukrainischen Territoriums von Russland besetzt sind, wird die westliche Staatengemeinschaft Festigkeit zeigen müssen. Dann wird es darauf ankommen, alle Sanktionen gegen Russland beizubehalten, bis der letzte russische Soldat aus der Ukraine abgezogen ist. Ob die westliche Staatengemeinschaft die notwendige Einigkeit aufweisen wird, wage ich zu bezweifeln. Der Schwachpunkt wird Deutschland sein, denn ich befürchte, dass vor allem aus der SPD, aber auch von Ministerpräsidenten aus der Union, sofort Forderungen nach einer Aufhebung von Sanktionen gestellt werden, um angeblich besser vermitteln zu können.

Also ist Deutschland der größte europäische Problemfall im Umgang mit Russland.

Das stimmt, Deutschland wird nur übertroffen von Ungarn. Die Kritik an Deutschland wird immer größer und bereitet mir allmählich Sorgen. Das Ansehen Deutschlands in der westlichen Welt ist auf einem absoluten Tiefpunkt angelangt, weil die Bundesregierung bei Sanktionen und Waffenlieferungen permanent auf dem Bremspedal steht. Es wird lange dauern, das Vertrauen wieder aufzubauen.

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