Flensburg-Neustadt

Knapp 1000 Anwohner beim Impfen ohne Termin im Sultanmarkt

Knapp 1000 Anwohner beim Impfen ohne Termin im Sultanmarkt

Knapp 1000 Anwohner beim Impfen ohne Termin im Sultanmarkt

SHZ
Flensburg
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Letzter Tag im temporären Impfzentrum im ehemaligen Sultan-Markt. Foto: Michael Staudt/shz.de

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Das niedrigschwellige Impf-Angebot richtete sich speziell an Flensburger aus dem dicht bevölkerten Stadtteil.

Das schnörkellose Schild hängt noch draußen am ehemaligen Sultanmarkt: Lebensmittel – Obst/Gemüse – Frischfleischtheke. Drinnen stehen Stühle mit Abständen auf den sandfarbenen Fliesen, an einer Seite versperren leere Stellwände die Sicht. Der Supermarkt für orientalische Lebensmittel und Spezialitäten wurde für insgesamt zehn Tage vom Leerstand zum Impfzentrum. Knapp 1000 Bewohner aus der Umgebung bekamen hier ihre Impfung.

Das Angebot richtete sich speziell an die Neustädter. Die Aktion des Deutschen Städtetags sollte die Anwohner ohne Termin und direkt in der Nachbarschaft niedrigschwellig erreichen, hauptsächlich die Neustädter. Eine große, offizielle Ankündigung gab es daher nicht. Die offenen Impf-Tage sollten sich einfach so herumsprechen in dem vielsprachigen Stadtteil.

Organisator Lothar Baur erklärt, wie das funktionierte: Die verschiedenen Gruppen hätten die Informationen in ihren eigenen, unmittelbaren Kreisen weitergegeben, im direkten Gespräch mit Freunden, Nachbarn und Verwandten oder beispielsweise per WhatsApp. „Für einige war ausschlaggebend, dass die Impfungen hier vor Ort waren, wo sie es kennen“, sagt Baur. Das niedrige weiße Gebäude in der Neustadt ist eben „ihr Sultanmarkt“ um die Ecke, nur dass jetzt Tische und Stühle dort stehen, wo sonst Einkaufswagen und Gemüse-Auslagen waren.

Facebook-Videos in verschiedenen Sprachen

„Ich habe hier am Anfang Live-Videos für meine Facebook-Seite gemacht“, berichtet Sameh Alkali und hält seine Hand so, als würde er sich gerade mit einem Smartphone filmen. Eigentlich ist er Theaterlehrer, jetzt aber steht er in schwarzem Shirt und Ordnungsamt-Weste auf dem Parkplatz vor dem Markt. „In verschiedenen Sprachen habe ich erklärt, was wir hier machen. Auf Arabisch, Türkisch und Kurdisch zum Beispiel.“


Der 34-Jährige ist bei der Impfaktion Ansprechpartner für alle, die eine Übersetzung brauchen. Zwar liegen auch eigens beschaffte Aufklärungsbögen in verschiedenen Sprachen bereit, für viele sei es aber gut gewesen, dass er sie vor dem Gebäude freundlich empfängt und alles nochmal erklärt.

Die Stimmung ist locker, man duzt sich im Team – anders als im „großen Impfzentrum“ sind hier weder Soldaten noch schwere Eingangstore. Dafür gibt für jeden eine Begrüßung auf dem Parkplatz. Eine Frau, die den Zettel mit QR-Code verschusselt hat, wird mit lachend reingewinkt. „Kriegen wir schon hin“, sagt Lothar Baur zu ihr.

„So kriegt man die Leute geimpft“, sagt Impfarzt Tim Petschull. „Dann haben sie Vertrauen, vor allem, wenn sie sehen, dass Sameh und ich uns gut verstehen.“ Bei anderen Impfaktionen sei das ganz anders abgelaufen. „Ich kenne kein Impfzentrum, wo wir so viel Andrang hatten“, sagt Petschull.


Impf-Aktionen über Flensburg verteilt

Der Sultanmarkt ist nur eines der Angebote für terminfreies Impfen an verschiedenen Punkten der Stadt. „Auch bei der Tafel, im 360-Grad-Haus in Fruerlund, bei der Flüchtlingshilfe und beim DRK Rude gab es solche Aktionen. Besonders in den Quartieren, wo wir die Leute oft nicht erreichen“, erklärt Björn Staupendahl von der Stadt Flensburg. „Vor Ort lief es über direkte Ansprache. Hintergrund war, dass gerade jene, die in beengten Wohnverhältnissen wohnen, geimpft werden sollten. Das wirkt sich auch auf uns alle aus.“

Denn nach dem Andrang in den ersten Monaten des Jahres lässt die Nachfrage nach Impfungen inzwischen allgemein nach. Wer Interesse hatte, ist größtenteils schon immunisiert. Nun muss die Impfkampagne weitere Kreise ziehen, um erfolgreich zu bleiben. Bei den Zweiflern und eben bei all jenen, die sonst nur schwer erreicht werden – weil sie keinen Hausarzt haben oder weil sie Deutsch nicht gut verstehen. Die Sprache und das sperrige Anmeldungsprozedere. Auch wenn Schleswig-Holstein mit knapp 65 Prozent Erstimpfungen im bundesweiten Vergleich gut dasteht, ist die Zielmarke von 85 Prozent noch weit entfernt.

An diesem Vormittag, dem letzten Impftag im Sultanmarkt, kommen hauptsächlich Leute für ihre zweite Impfung. Doch auch erste Termine sind noch möglich. Entweder mit dem Impfstoff von Johnson & Johnson, bei dem nur eine Dosis verabreicht wird, oder aber mit einem Zweitimpfungstermin an einem anderen Ort.

Tanz und Schwarzer Tee auf dem Parkplatz

„An den ersten Tagen haben junge Leute hier auf dem Parkplatz getanzt“, sagt Lothar Baur. „Und die Älteren waren erleichtert, denn einige hatten Sorge, dass sie keinen Termin bekommen würden. Einige Leute haben uns Schwarzen Tee und Essen vorbeigebracht.“ Er lobt die gute Stimmung bei der ernsten Sache, auch wenn sie ihm einiges an Organisation abverlangt hat. Ein wenig erleichtert ist er daher, dass die Impf-Aktion im Sultanmarkt nun vorbei ist und er sich wieder auf seine „Kunst und Kultur Baustelle 8001“ nebenan konzentrieren kann.

Und der leere Supermarkt? Den hatte Baurs Verein ursprünglich für Kulturprojekte vorgesehen. Die können nun beginnen, wenn das temporäre Impfzentrum auszieht. „Wir sind ja eigentlich ein Kunstverein“, sagt Baur. „Wir hatten gerade den Raum angemietet, als die Anfrage für das Impfzentrum kam. Aber ich denke, auch damit haben wir etwas für die Kultur getan. Dafür dass sie stattfinden kann – indem wir dafür gesorgt haben, dass sich die Leute impfen lassen.“

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