Ukraine-Krieg

Krieg im Kopf – wenn uns Sorgen krank machen und was dagegen hilft

Krieg im Kopf – wenn uns Sorgen krank machen und was dagegen hilft

Wenn uns Sorgen krank machen und was dagegen hilft

SHZ
Schleswig-Holstein
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Viele junge Menschen machen sich aktuell viele Sorgen um die Zukunft. Daraus kann sich eine Angststörung entwickeln. Foto: Petra Schneider-Schmelzer via www.imago-images.de/shz.de

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Viele Menschen macht der Krieg in der Ukraine Sorgen. Aus diesen Sorgen kann irgendwann Angst werden und die macht Menschen krank und schränkt sie ein. Was wir dagegen tun können und wie wir von der Krise lernen:

Meiden berichten rund um die Uhr über den Ukraine-Krieg, Menschen sagen, dass sie Angst haben. Angst vor dem Krieg, Angst vor einem Atomkrieg, Angst vor der Zukunft. Und das quasi on top zur Dauerbelastung der Corona-Pandemie.

Sorgen sind nicht gleich Ängste

Kamila Jauch-Chara, Leiterin des Zentrums für Integrative Psychiatrie (ZIP) am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel, sagt: „Die meisten Menschen haben eher Sorgen als Ängste. Dazu kommt jetzt noch ein starkes Gefühl der Hilfs- oder Machtlosigkeit.“

Die Frage nach: „Was wäre, wenn…“

Denn Sorgen sind nicht gleich Ängste. Sorgen sind Gedanken, die um mögliche Gefahren kreisen. Sie setzen sich zusammen aus der Frage: „Was wäre, wenn…“ und daraus resultieren Katastrophen-Fantasien. Die Betroffenen reden sich ein, dass sie das Eintreffen eines bestimmten Ereignisses nicht ertragen könnten. Angst hingegen ist eine Emotion, welche von körperlichen Reaktionen, wie zum Beispiel beschleunigtem Puls, Schweißausbrüchen und Zittern, begleitet wird.

Angst schränkt im Leben ein

Wenn es einem Menschen nicht gelinge, mit den Sorgen und den dadurch entstehenden Stress umzugehen, könne daraus Angst beziehungsweise eine Angststörung werden. Das mache sich bemerkbar, wenn die Angst einen Menschen in seinem Leben einschränkt. Ob der Ukraine-Krieg nun vermehrt Angststörungen auslöse, können jetzt noch nicht gesagt werden, so Kamila Jauch-Chara. Denn ob aus Stressbelastung eine Angststörung werde, zeige sich erst nach einigen Wochen. Häufig schafften es Betroffene, mit ihren Sorgen umzugehen. „Wie gut das jedem einzelnen gelingt, wird die Zukunft zeigen“, sagt Jauch-Chara. Aber sie rechnet mit einem Anstieg der Angstpatienten.

Retraumatisierung bei älteren Menschen

Einige suchen bereits jetzt psychiatrische Hilfe. Das seien vor allem ältere Menschen, die sich durch die aktuelle Situation an bereits Erlebtes erinnern. “Einige der Betroffenen werden an ihre Flucht während des zweiten Weltkriegs erinnert. Die Nachkriegsgeneration hat während des Kalten Krieges eine ständige Bedrohungslage und während der Kuba-Krise eine atomare Bedrohung erlebt“, sagt Jauch-Chara. Retraumatisierung nennt man das.

Auch Melanie Schreiber, psychologische Psychotherapeutin aus Eckernförde, nimmt einen Anstieg der Sorgen bei ihren Patienten wahr: „Ältere Menschen sagen, sie wollen ihre Papiere zusammensuchen, um sich auf eine Flucht vorzubereiten“.

Jüngere Menschen haben oft Sorgen

Bei jüngeren Menschen handele es sich dagegen häufiger um Sorgen – vor allem um Zukunftssorgen. „Die fragen sich, wie das alles gut ausgehen kann und haben das Gefühl, dass sie keine Zukunft haben“, sagt Melanie Schreiber. Hinzu kämen noch die ungewissen wirtschaftlichen Folgen und die der Klimaerwärmung sowie die Sorge, das Bekannte zu verlieren. „Eine Ausnahme bilden die Menschen, die zum Beispiel eine direkte Verbindung zur Ukraine, dort Verwandte oder Freunde, haben. Sie leiden häufig unter Angst“, sagt Kamila Jauch-Chara.

Potenziale von Angst

Aber Krisen böten auch die Chance, daraus gestärkt hervorgehen zu können. Diese schrecklichen Schicksale und große Sorgen, die viele mit der aktuellen Situation verbinden, lassen eigene Sorgen kleiner erscheinen. So sei man eher bereit, etwas am eigenen Leben zu ändern und die Erfahrung zu sammeln, durch flexible Reaktion und aufgrund der vorhandenen Fähigkeiten schwierige Situationen bewältigen zu können, sagt Jauch-Chara. Dadurch werden wir resilienter.

Atemübungen helfen gegen Stress

Aber was hilft nun gegen Stress? „Ich empfehle meinen Patienten oft Atemübungen“, sagt Schreiber. Die können auch jetzt helfen, denn durch verstörende Bilder in den Nachrichten wird im Körper Adrenalin ausgeschüttet, das erzeuge Stress. Weil das Gehirn aber nicht unterscheiden könne, ob wir jetzt wirklich reagieren müssen, bereite sich der Körper auf eine Aktion wie Flucht oder Kampf vor. Wir atmen schneller. Wichtig sei jetzt: länger aus als einatmen. Zum Beispiel sechs Züge ein und drei Züge ausatmen.

Achtsamkeitsübungen gegen Stress

Kamila Jauch-Chara empfiehlt Achtsamkeitsübungen. Sich bewusst Zeit zu nehmen, um sich auf eine bestimmte Sache zu konzentrieren. Das kann zum Beispiel sein, fünf Minuten lang alle Farben aufzuzählen, die man sieht, wenn man auf dem Fenster schaut. Kurz: sich aktiv auf die Sinne konzentrieren.

Nicht komplett auf Nachrichten verzichten

Auch wenn es einem beim Nachrichtenkonsum nicht gut gehe, empfiehlt Jauch-Chara, nicht gänzlich darauf zu verzichten. Denn ein kompletter Verzicht auf Informationen könne nervös machen und Sorgen eher verstärken. Sie empfiehlt, ganz gezielt und dosiert vertrauenswürdige Nachrichten zu konsumieren. Wichtig sei auch das Sprechen mit anderen Menschen. „Die Menschen merken dann, dass es nicht nur ihnen so geht. Sie bekommen das Gefühl, nicht alleine zu sein.“ Besonders helfe auch immer die Beantwortung der Frage: Wie groß ist die Gefahrenlage jetzt gerade für mich?

Melanie Schreiber sagt: „Was jetzt auch hilft, ist gut zu sich selbst zu sein. Das können ganz unterschiedliche Dinge wie ein Spaziergang, eine Tasse Kaffee, einfach eine Serie bei Netflix sein.“

Und wenn man gar nicht weiß, was einem überhaupt gut tut, hat Diplom-Psychologin Petra Hoffmann noch einen Tipp: „Das Einfachste ist eigentlich zu gucken, was mir keinen Spaß macht. Dann muss man lernen, aufzuhören.“

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