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Kriegsgefahr in Osteuropa: Das erwartet der Schleswiger Russland-Experte Georg Reußner

Kriegsgefahr in Osteuropa: Das erwartet Georg Reußner

Kriegsgefahr in Osteuropa: Das erwartet Georg Reußner

SHZ
Schleswig
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Georg Reußner, hier am Baikalsee, beschäftigt sich bereits seit den 1970er-Jahren intensiv mit Russland. Foto: Privat/shz.de

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Der langjährige Leiter der Domschule war 1979 erstmals in Russland und reist seitdem immer wieder in das Riesenreich. Jetzt befürchtet auch er einen Einmarsch von Putins Truppen in die Ukraine.

Wie oft er schon in Russland war, weiß Georg Reußner gar nicht so genau. „Aber zehn-, zwölf Mal werden es schon gewesen sein“, sagt er. Und nicht nur das: Er liest und hört täglich russische Nachrichten, hat persönlichen Kontakt ins Riesenreich und interessiert sich für fast alles, was zwischen St. Petersburg und Wladiwostok passiert. Deshalb hat der 69-jähirge Schleswiger natürlich auch die aktuelle Russland-Ukraine-Krise fest im Blick – und sagt, wenn auch mit Bauchgrummeln: „Wenn ich darauf wetten müsste, würde ich schon davon ausgehen, dass dort in nächster Zeit ein Krieg ausbricht.“

Dass Russlands Präsident Wladimir Putin die gesamte Ukraine samt der Hauptstadt Kiew angreift, könne er sich zwar nicht vorstellen, einen Einmarsch russischer Truppen in die schon seit Jahren umkämpfte Ost-Ukraine hingegen schon. „Das halte ich inzwischen trotz aller diplomatischen Bemühungen durchaus für realistisch“, sagt er.

In Kiel Russisch und Osteuropäische Geschichte studiert

Selbst möchte sich Reußner nicht als Russland-Experte titulieren. Fest steht aber: Schon seit Anfang der 1970er-Jahre, mit Beginn der sogenannten Neuen Ostpolitik unter Bundeskanzler Willy Brandt, interessiert er sich für Land und Leute, studierte später dann auch in Kiel Russisch und Osteuropäische Geschichte. Eine damals noch ungewöhnliche Wahl für einen jungen Westdeutschen. Offenbar aber die richtige für Georg Reußner, denn er blieb seinen Fächern als Lehrer treu und initiierte später als Schulleiter den Austausch der Domschule mit einer Schule in Irkutsk am Baikalsee.

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Auch heute noch, nach Eintritt in den Ruhestand, begleitet er die Schleswiger Schüler nach Sibirien und hat immer wieder russische Lehrer zu Gast bei sich zu Hause. Zudem arbeitet er hin und wieder mit Kieler Studenten zusammen, beobachtet gemeinsam mit ihnen unter anderem russische Medien. Auch, weil er sich selbst sehr dafür interessiert. „Ich war 1979 erstmals mit der Uni vier Wochen lang in Russland, das war ein sehr prägendes Erlebnis“, erzählt Reußner.


Putin hat sich in schwierige Lage manövriert

Die aktuelle Situation betrachtet er nun mit großer Sorge. „Ich neige dazu zu sagen, dass Putin sich verzockt hat“, sagt er. „Offenbar hat er gedacht, der Westen sei uneins und die EU nur ein zahnloser Tiger. Jetzt hat er sich in eine Situation manövriert, aus der er nur schwer herauskommt, ohne im Inland sein Gesicht zu verlieren.“

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Hinter dem Aufmarsch der Truppen an der Grenze zur Ukraine sieht Reußner einen anfänglichen Versuch Putins, Druck auf den Westen auszuüben. Dahinter stehe die Forderung, die Ukraine dürfe nie Teil der Nato werden, und dass die Osterweiterung des Bündnisses de facto zurückgenommen wird, dass also der Zustand vor Abschluss der Grundakte 1997 wiederhergestellt wird. „Da aber spielt die Nato ja offenbar nicht mit und macht keinerlei Zugeständnisse.“ Stattdessen, so glaubt Reußner, würde Putin auch aufgrund der verschlechterten wirtschaftlichen Situation im Inneren Russlands nun in die Enge getrieben. „Irgendwas muss er jetzt also präsentieren.“

Enge Verbindungen zwischen russischen und ukrainischen Familien

Was seiner Meinung nach zurzeit noch gegen einen Krieg spreche, sei einerseits das Wetter in der Ost-Ukraine. Dort würden wegen des Dauerregens und fehlenden Frosts ganze Regionen im Schlamm versinken, sodass sogar Panzer es schwer hätten voranzukommen. Außerdem sei Putins Rückendeckung durch die Bevölkerung in diesem Fall bei weitem nicht so stark, wie sie es mit Blick auf die Annexion der Krim gewesen sei. „Es gibt enge Beziehungen zwischen vielen ukrainischen und russischen Familien. Spätestens wenn es Opfer geben sollte, würde die Zustimmung für einen Krieg schnell sinken“, so Reußner.

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Dennoch halte er ein militärisches Eingreifen Russlands in absehbarer Zeit für wahrscheinlich. Und sei es unter dem Vorwand, die russische Bevölkerung müsse in der Ost-Ukraine geschützt werden. Passend dazu spricht Putin ja bereits von einem Völkermord.

2022 kein Russland-Austausch der Domschule

Vor diesem Hintergrund wird es wahrscheinlich auch in diesem Jahr keinen Austausch der Schleswiger Domschule mit Russland geben. „Das kann ich mir nicht vorstellen“, sagt Georg Reußner, auch wenn er das sehr bedaure. Denn sowohl er selbst als auch die Lehrerinnen und Lehrer aus Irkutsk können ein Wiedersehen eigentlich kaum abwarten.

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Gwyn Nissen
Gwyn Nissen Chefredakteur
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