Freie Waldorfschule Flensburg

Lehrer und Schüler distanzieren sich von Vorurteilen in der Corona-Pandemie

Lehrer und Schüler distanzieren sich von Vorurteilen in der Corona-Pandemie

Lehrer und Schüler distanzieren sich von Vorurteilen

SHZ
Flensburg
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Reinhard Elsler, Antonia Wassermann, Ariane Waldheim, Henning Fitsch und Tive Kühnemund (von links) berichten vom Alltag in ihrer Waldorfschule. Foto: Marcus Dewanger/shz.de

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Die Anthroposophie ist nicht die Quelle der Querdenker, sagt Henning Fitsch. Der Geschäftsführer des Trägers der Flensburger Waldorfschule, Lehrer und Schüler berichten, wie sie an der Schule der Pandemie begegnen.

Henning Fitsch schiebt Zeitungsberichte rüber, unter anderem einen, der eine häufig zitierte Studie der Uni Basel aufgreift. Fitsch hat die Phrase unterstrichen, die besagt, dass es sich um eine nicht repräsentative Studie handelt.

Es stimme ihn nachdenklich, sagt der Geschäftsführer des Trägervereins der Freien Waldorfschule Flensburg, „dass Waldorfschulen im Fokus des öffentlichen Interesses mit einem Duktus genannt werden, nach dem Waldorfpädagogik und Anthroposophie für die erneute Corona-Welle verantwortlich seien.“

Die „journalistische Sorgfaltspflicht“ bleibe „zu oft auf der Strecke“, kritisiert Fitsch. Stattdessen würden „Klischees bedient, die wir schon lange für abgearbeitet gesehen haben.“

Alternativkultur und Nonkonformismus

Erklärungsversuche von Experten führen die Verbindung dieser Tage unter anderem darauf zurück, dass Waldorfschulen als „Anlaufstellen für eine bestimmte Alternativkultur“ (Ansgar Martins) wahrgenommen werden und die Eltern von Waldorfkindern oft nonkonformistischer und weniger staatsorientiert seien (Jost Schieren).

„Die Anthroposophie ist nicht die Quelle der Querdenker“, betont indes Henning Fitsch, der seine Rolle als Geschäftsführer wie eine Art „Bürgermeister“ begreift. Seit über 20 Jahren schon ist er an der Waldorfschule Flensburg. „Seither gibt es Vorurteile“, sagt er und hält dagegen: „Wir sind einfach nicht anders als andere.“


Ariane Waldheim, die zum Schulleitungsteam gehört, vermutet dahinter „mangelnde Kenntnisse“. Mit zwölf Jahren ohne Noten und Sitzenbleiben nennt ihr Kollege Reinhard Elsler doch Unterschiede zu öffentlichen Schulen. „Wir sind eine Provokation“, kommentiert er die Wahrnehmung von außen.

Keine künstlerischen Fächer für den 13. Jahrgang

Einen besonderen Stellenwert an der freien Schule haben Fächer wie Musik und Theater. Für den Schulalltag während der Pandemie bedeutet das, dass „viele Fächer nicht mehr so leicht auszuführen sind“ und der 13. Jahrgang gleich gar keine künstlerischen Fächer mehr habe, erklärt das Mitglied aus der Schulleitung. Das Singen etwa gehöre zum pädagogischen Konzept und wurde vor Corona täglich gepflegt. „Ein ganzes Jahr waren Blasinstrumente nicht im Orchester“, erzählt die Schulsprecherin Antonia Wassermann, die Querflöte spielt.

Bei den gestalterischen Fächern habe man „abgespeckt“, ergänzt Ariane Waldheim, und sich unter anderem mit selbst gedrehten Filmen beholfen, die auf den Plattformen geteilt wurden. In der Oberstufe habe man 120 Elternhäuser besucht, um Materialien zu übergeben, etwa für das Fach Eurythmie.


Begegnungsmöglichkeiten wie zum Schuljahresbeginn oder bei Klassenspielen entfielen, darauf weist Reinhard Elsler hin. All das gebe ein Bild davon, „was uns verwehrt wird“. Sein Resümee: „Wir haben am Lockdown gemerkt, was wir an unserer Schule an Kostbarkeiten haben; auch, was wir aneinander haben.“

Während in den älteren Jahrgängen Distanzlernen angesagt war, „wurden die Klassen eins bis acht nicht digital unterrichtet“, berichtet Tive Kühnemund. Stattdessen gab es Besuche, Telefonate, Unterrichtsmaterial, sagt der 16-Jährige. „Wir hatten Kontakt, zwar eingeschränkt, aber wir hatten ihn“, fügt Ariane Waldheim hinzu.

Schlechtes Netz fürs digitale Lernen

Für die digital lernenden Klassen war wiederum nicht manche Mathestunde am Abend problematisch, sondern die Netzwerk-Qualität vor allem auf dem Lande. Im Präsenz-Unterricht sieht Antonia Wassermann in den Masken und im Lüften kein Problem, ebensowenig wie die Mitschüler, die verstünden, warum. Stattdessen mache ihr „die Ungewissheit am meisten zu schaffen“, sagt die Zwölftklässlerin mit Blick aufs Abi.

Die größten Herausforderungen aus Schulleitungssicht identifiziert Ariane Waldheim in den „enorm kurzfristigen Corona-Vorgaben aus dem Bildungsministerium“. Denn: „Die Waldorfschule ist keine Ausnahme, die Regeln werden genauso umgesetzt“, versichert Waldheim und nennt beispielhaft die logistische Herausforderung der Impfnachweise für 120 Mitarbeiter von einem Tag auf den anderen.

Ariane Waldheim verweist zudem auf eine Stellungnahme des Bundes der Freien Waldorfschulen zum Thema.

Darin betont der Bund, dass es keinen Anhaltspunkt für Abweichungen der Impfquoten, Positivtests oder auch Skepsis vom Rest der Schullandschaft gebe. Zudem grenzt sich der Verband von Maßnahmeverweigerern und Impfgegnern sowie querdenkerischem und rechtsextremistischen Gedankengut ab.

In der neuesten Mitteilung vom 22. Dezember wird der Ton schärfer: „Waldorfschulen wehren sich: Fakten gegen Fake News“. Über das darin betonte Nichtanderssein als die Gesamtbevölkerung sind sich auch die Flensburger Gesprächspartner einig.


Zur Impfquote an der Schule sagt Henning Fitsch: „Hier muss niemand geimpft sein, wir überlassen es dem einzelnen“. Allerdings, so fügt er an: „Die meisten sind geimpft.“ Wer weder das noch seinen Genesenenstatus nachweisen könne, werde täglich getestet. Die Schüler machen zweimal in der Woche einen Coronatest.

Laut Statistik registrierte die Stadt Flensburg für die Waldorfschule in der 49. Kalenderwoche zwei bekannte Neuinfektionen mit dem Coronavirus an der Waldorfschule, in der Woche darauf war es eine.

Um die Einhaltung der Regeln zu gewährleisten und sich zugleich gegen Klischees zu wehren, helfe nur, „miteinander zu reden“, findet Geschäftsführer Fitsch. Das gelte auch unter den Schülern, sagen Antonia Wassermann und Tive Kühnemund. Themen totzuschweigen, bringe nichts, meint die 18-Jährige.

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