Bürgerbeteiligung abgelehnt

Mehr direkte Demokratie – Gemeinde Sylt entscheidet sich dagegen

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Mehr direkte Demokratie – Gemeinde Sylt entscheidet sich dagegen

SHZ
Keitum
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Teilnehmer des Bürgerrates diskutieren über politische Themen. Foto: Hendrik Schmidt/dpa Foto: 90037

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In der Gemeinde Sylt wird es auch künftig keinen Bürgerrat geben. Die Gemeindevertretung hat sich mehrheitlich gegen eine Bürgerbeteiligung per Losverfahren ausgesprochen. So begründen die Fraktionen die Entscheidung.

Es war eine außergewöhnliche Atmosphäre am Donnerstagabend im Keitumer Friesensaal. Knisternde Spannung lag in der Luft. Ungewöhnlich viele Bürger waren zur Gemeindevertretung gekommen. Bis auf den letzten Platz war jeder Stuhl im Saal besetzt. Die meisten wegen eines einzigen Punktes auf der Tagesordnung: der Teilnahme am Bürgerbeteiligungsprojekt von „Losland“. Am Ende überwog bei den Gästen die Enttäuschung. Die Bürgerbeteiligung per Losverfahren wurde mehrheitlich abgelehnt.

Volles Haus im Friesensaal

Bis zur finalen Entscheidung, nicht teilnehmen zu wollen, gab es jedoch allerhand Gesprächsbedarf. Vor allem von Seiten der gewählten Gemeindevertreter. Aber auch Teile des Publikums konnten sich so manchen Zwischenruf, kurzzeitig aufbrandenden Applaus oder enttäuschten Kommentar nicht verkneifen.

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Doch kurz zur Vorgeschichte und zur Erklärung des Projektes von „Losland“. Bei diesem bundesweiten Bürgerbeteiligungsprojekt handelt es sich um eine Gruppe zwischen 20 und 25 Personen, die zufällig aus dem Einwohnermelderegister ausgelost werden und einen Querschnitt der hiesigen Bevölkerung nach Alter, Geschlecht, Bildung, Wohnsitz und Herkunft bilden sollen. Sie haben die Möglichkeit, sich mit ausgewählten politischen Themen zu befassen und Empfehlungen an die Politik auszusprechen. Die letztgültige Entscheidung liegt weiterhin bei den gewählten Vertretern in den politischen Gremien.

Vertreter von „Losland“ hatten ihr Projekt vor ein paar Wochen auf Sylt vorgestellt. Eine Beteiligung der Gemeinde Sylt am Bürgerbeteiligungsprojekt hatte die Gruppe Merret reicht´s initiiert. Nun war es am Donnerstagabend an der Gemeinde, über die Teilnahme am Projekt zu entscheiden.

CDU, SPD, SWG und Insulaner gegen das Projekt

In den Plädoyers der Fraktionen ergriff als Erste Ulrike Körbs für die Insulaner-Fraktion das Wort: „Wir haben in der Gemeinde Sylt bereits sieben Fraktionen, dazu kommen die Amtsgemeinden, die auch noch jede Menge Fraktionen haben. Wir Kommunalpolitiker vertreten bereits die große Gesellschaft im Kleinen und repräsentieren 18.000 Menschen auf der Insel. Alle, die sich einbringen wollen, können das schon jetzt tun. Wir Insulaner lehnen die Teilnahme am Projekt ab.“

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Oliver Ewald (CDU) betonte, seine Partei mache sich seit jeher für Bürgerbeteiligung stark, nannte unter anderem die Beispiele Keitumer Verkehrsforum und „Keitum im Dialog“. „Wir stehen auch für die Stärkung der Ortsbeiräte, wollen Bürgerbeteiligung aber nicht dem Zufall per Losverfahren überlassen. Jeder Bürger muss mitreden können, nicht nur per Losverfahren. Daher werden wir als CDU nicht zustimmen.“


So ging es weiter. Gerd Nielsen (SPD) bezeichnete die Gemeindevertretung bereits als Bürgerbeteiligung, genauso wie die Ortsbeiräte und im Übrigen auch die Gruppe Merret reicht´s, an die er appellierte, bitte weiterzumachen. Dennoch äußerte auch er Kritik am Zufallsprinzip der Bürgerbeteiligung per Losverfahren und sagte, dass auch seine Fraktion nicht zustimmen werde. Einer ähnlichen Auffassung war zuvor auch Stefan Klaus (SWG), der sagte: „Das Auslosen von Teilnehmern ist nicht nachhaltig.“

Grüne, SSW und Zukunft für das Losland-Verfahren

Nach den Stellungnahmen von Insulanern, CDU, SPD und SWG änderte sich die Tonlage der Redner am Mikrofon. „Frische Ideen hier reinzubringen, wäre gut. Demokratie könnte mehr. Wir sind deshalb für das Projekt, auch wenn es hier nicht durchkommen wird. Schade“, sagte Roland Klockenhoff (Grüne). Peter Erichsen (SSW) fasste sich kurz: „Wir werden dem Konzept zustimmen.“ Wer sich wie immer nicht kurz fasste, war Lars Schmidt (Zukunft). Er holte zum Rundumschlag aus.

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„Wir decken hier nicht repräsentativ die Bevölkerung ab, wir haben zum Beispiel eine große polnische Community auf Sylt, die hier überhaupt nicht politisch repräsentiert wird. Losland würde dazu beitragen, dass wir wenigstens halbwegs repräsentativ werden. Wir sind zu alt, da läuft irgendwas falsch.“ Gleichzeitig war auch ihm bewusst, dass sich keine Mehrheit für das Projekt finden wird. Das kommentierte Schmidt als „vertane Chance„ und als „hochgradig bedauerlich“. Am Ende wurde die Teilnahme am Bürgerbeteiligungsprojekt von Losland durch die Mehrheit der Stimmen von CDU, SPD, Insulanern und SWG abgelehnt.


Das Bürgernetzwerk Merret reicht´s zeigte sich enttäuscht über die Entscheidung der Gemeindevertretung. „Es bleibt ein großes Rätsel, wie wir hier auf Sylt überhaupt noch zu Antworten in den ganz großen Fragen der Zukunft in Bezug auf Tourismus, Klimaneutralität, Ausverkauf, Dauerwohnraum und Verkehrskollaps kommen wollen“, so Gründerin Birte Wieda. Mit dieser Absage an einen Bürgerrat habe Sylt eine große Chance verpasst, zumal die Finanzierungszusage und personelle Ausstattung des Projektes bereits da war. „Es liegt kein Mehltau auf der Sylter Kommunalpolitik, sondern Beton.“

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