„Mein Ex wollte mich töten, aber kein Frauenhaus nahm mich auf“

„Mein Ex wollte mich töten, aber kein Frauenhaus nahm mich auf“

„Mein Ex wollte mich töten, aber kein Frauenhaus nahm mich auf“

Gitta Schröder
Zuletzt aktualisiert um:
Das Projekt StoP setzt bei Gewalt gegen Frauen auf die Hilfe eine sganzen Stadtteils. Foto: www.imago-images.de

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Als ihr jähzorniger Ex-Mann mit einem Messer auf sie losgeht und danach verschwindet, will Anjou S. mit ihren Kindern in ein Frauenhaus flüchten. Doch alle Schutzhäuser weisen sie wegen Überfüllung ab. Eine katastrophale Folge der langen Coro...

Februar dieses Jahres: Es hämmert an der Wohnungstür von Anjou S. Es ist ihr betrunkener Ex. Er schreit und brüllt, will rein. Am Ende gibt die 38-Jährige nach und öffnet die schützende Tür. Ein fataler Fehler.

Der Heizungsbauer zückt ein Messer und geht auf sie los. „Zum Glück war ich reaktionsschnell und konnte ihm das Messer aus der Hand schlagen. Doch er randalierte weiter in der Wohnung und flüchtete erst, als die Polizei klingelte. Die Nachbarn hatten die wohl angerufen“, erinnert sich Anjou S..

Unter Schock schildert sie den zwei Beamten die Lage und fleht sie an, ihren Ex-Mann zu fassen, bevor er sie und die Kinder (7 und 14 Jahre alt) wirklich umbringt. Aber die Polizisten wollen erst auf Verstärkung warten und empfehlen ihr, den Weißen Ring zu kontaktieren und sich einen Platz im Frauenhaus zu organisieren.

Kein Frauenhaus im Umkreis von 300 Kilometern hatte einen Platz frei

„Ich war fix und fertig und starr vor Angst“, berichtet Anjou. „Denn unsere Stadt ist wirklich klein und wo sollten meine Kinder und ich uns schon sicher fühlen?“ Auch der Weiße Ring kann der aufgelösten Frau nicht weiterhelfen, sondern nur Telefonnummern von etlichen Frauenhäusern der nahen und weiteren Umgebung nennen.

Aber keines der Schutzhäuser im Umkreis von über 300 Kilometern hatte einen freien Platz. Grund: Seit der Corona-Pandemie sind die Frauenhäuer komplett überlaufen, weil die Gewalt in den häuslichen vier Wänden seit Lockdown, Homeschooling und wirtschaftlich angespannter Situation derart eskalierte.

Corona-Lage ließ Fälle von häuslicher Gewalt in die Höhe schnellen

Das bestätigt auch Beatrice Tappmeier von der Landesarbeitsgemeinschaft der Frauenhäuser in Bielefeld: „In der Krisensituation mit starken Einschränkungen im öffentlichen Leben steigt die Gefahr für Frauen und Kinder, häusliche und sexualisierte Gewalt zu erfahren.“

Außerdem käme hinzu, dass „deutlich mehr Frauen in systemrelevanten Berufen arbeiten – etwa im Krankenhaus, in der Pflege oder in Supermärkten. Dagegen müssen viele Männer zuhause bleiben“. Das stelle die Rollenbilder vieler Männer auf den Kopf, sorge für Verunsicherung und Aggressionen.

Bundesregierung will mehr Frauenhäuser und Beratungsstellen

Bundesfamilienministerin Lisa Paus hält aus diesem Grund das Hilfsangebot mit rund 350 Frauenhäusern, 100 Schutzwohnungen und rund 600 Beratungsstellen für unzureichend. „Deshalb bauen wir Frauenhäuser und Beratungsstellen gemeinsam mit den Ländern weiter aus und stellen dafür 120 Millionen Euro aus Bundesmitteln bis 2024 zur Verfügung“, so die Grünen-Politikerin.

Zuständig für das Bereitstellen eines bedarfsgerechten Netzes an Frauenhäusern, Fachberatungsstellen und sonstigen Unterstützungsangeboten für gewaltbetroffene Frauen mit ihren Kindern seien jedoch in erster Linie die Bundesländer. „Deshalb kann eine Weiterentwicklung des Hilfesystems für gewaltbetroffene Frauen nur gelingen, wenn Bund, Länder und Kommunen an einem Strang ziehen“, unterstreicht Paus.

Hausärztin rät nach Gewalt zur Trennung

Auch Anjou S. Ex-Mann beginnt während der Lockdown-Zeit, immer häufiger zu trinken und hasserfüllter zu werden. „Und er fing an, mich zu schlagen“. Irgendwann rastet er dann derartig aus, dass die Zahntechnikerin durch einen Faustschlag einen Tinnitus erleidet.

Da schreitet ihre Hausärztin ein und rät Anjou, Anzeige bei der Polizei zu erstatten. Außerdem fasst die Schleswig-Holsteinerin endlich den Mut, sich von ihrem Ehemann und Stiefvater ihrer Kinder zu trennen. Allerdings mit einem unguten Gefühl im Magen.

Frauenhäuser konnten Anjou S. erst ein halbes Jahr später Schutz bieten

Leider zu Recht – Anfang des Jahres hätte er sie dann beinahe erstochen. „Zum Glück waren meine Kinder nicht zu Hause und haben das alles nicht miterlebt“, meint die 38-jährige Anjou S. Sie habe bis zur Festnahme ihres Ex am nächsten Mittag Todesängste ausgestanden.

Zum Glück gewährt eine entfernte Bekannte ihr und den zwei Kindern Unterschlupf. Bei den Frauenhäusern hätte Anjou bis zu sechs Monate auf einen Schutzort warten müssen.

Schlechte Situation von Frauen, die gewalttätigen Partner verlassen, ist bekannt

Ein Problem, das Prof. Dr. Sabine Stövesand von der Hamburger Hochschule für angewandte Wissenschaften nur zu gut kennt. Die Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit war früher lange in einem Frauenhaus in St. Pauli tätig. Und sie hat oft genug die verzweifelte Situation von vielen geschlagenen Frauen erlebt.

Frauen, die sich entweder nicht trauten, vor ihrem gewalttätigen Partner zu fliehen oder die zu ihm zurückkehrten, weil sie es sich schlichtweg nicht leisten konnten, mit ihren Kindern ein neues, anonymes Leben in einer anderen Stadt zu beginnen. In ihrer Dissertation erarbeitete Sabine Stövesand daher ein neuartiges Konzept, das auf gezielte und solidarische Hilfe durch die Nachbarschaft und Bekannte abzielt.

Stadtteilprogramm StoP will soziales Netz unter Opfern von Partnergewalt spannen

StoP – Stadtteile ohne Partnergewalt“ heißt das Programm und setzt auf die Zivilcourage der Öffentlichkeit. In Stövesands achtstufigem Handlungsmodell werden die vielen Multiplikatoren eines Stadtteiles sensibilisiert und mobilisiert, um so ein starkes lokales, soziales Netzwerk für Gewaltopfer aufzubauen.

Ein Beispiel: Bruna, eine berufstätige Frau, verheiratet, vier Kinder, vertraut sich bei einem Elterngespräch der Sozialarbeiterin des Kindergartens an. Ihr Mann misshandele sie seit langem und sperre häufig die Kinder ein, statt sie in den Kindergarten zu bringen.

Darauf startet die Sozialarbeiterin in Absprache mit Bruna eine Nachbarschaftsinitiative. Auch Polizei und soziale Dienste werden informiert. Ziel ist es, Brunas Mann dazu zu bewegen, die Kinder und seine Frau in Ruhe zu lassen.

Bei StoP helfen Nachbarn Nachbarn gegen häusliche Gewalt

Treffen werden organisiert, bei denen Mitarbeiterinnen lokaler sozialer Einrichtungen mitmachen, aber auch zahlreiche Anwohnerinnen – vom Hafenarbeiter bis zur Hausbesetzerin. Ein Nachbar hat von seiner Frau gehört, dass Hilfe gebraucht wird. Er kommt beim Unterstützungskreis vorbei, gibt seinen Schichtplan ab und sagt: „Wenn ich keine Schicht habe, könnt ihr mich einplanen.“

Ein anderer Nachbar, er ist Schreiner, repariert und verstärkt Brunas Wohnungstür, damit der Mann sie nicht mehr auftreten kann. Eine Telefonkette mit nächtlichem Bereitschaftsdienst wird eingerichtet, damit Bruna anrufen kann, wenn ihr Mann wieder randaliert und sie Angst hat. Die kommen dann zu ihrer Unterstützung vorbei.

Tagsüber sitzen ein halbes Jahr lang für mehrere Stunden immer drei Leute vor Brunas Haus. So signalisiert ein ganzer Stadtteil dem Gewalttäter: Bruna ist nicht allein. Wir sind da und passen auf!

26 StoP-Projekte in Deustchland und Österreich

Heute gibt es 26 StoP-Projekte in diversen deutschen und österreichischen Städten, wobei ständig neue StoP-Fortbildungen angeboten werden, um noch mehr Menschen für das nachbarschaftliche Engagement gegen Partnerschaftsgewalt zu mobilisieren.

Ein guter Schritt, der auch Frauen wie Anjou S. und ihren Kinder helfen könnte, keine Angst mehr vor dem Tag zu haben, wenn ihr gewalttätiger Ex eines Tages aus dem Gefängnis entlassen wird.

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