Gefahr aus der See für SH

Militärische Altlasten: Munition im Meer – die Bombe tickt

Militärische Altlasten: Munition im Meer – die Bombe tickt

Militärische Altlasten: Munition im Meer – die Bombe tickt

SHZ
Kiel
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Was liegt da an gefährlichen Stoffen im Meer? Mit speziellen Kameras gehen Kieler Wissenschaftler dem auf den Grund. Foto: Geomar/shz.de

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Umweltminister Jan Philipp Albrecht will Geld für die Entsorgung militärischer Altlasten und hofft auf die neue Bundesregierung.

Wir sind jetzt mitten in der verbotenen Zone.“ Claus Böttcher von der Sonderstelle „Munition im Meer“ des Umweltministeriums steht an der Reling des landeseigenen Vielzweckschiffs „Haithabu“ und deutet auf mehrere gelbe Bojen, die auf der friedlich wirkenden Ostsee dümpeln. „Hier in die Kolberger Heide darf sonst niemand fahren.“ Denn die ist für die Schifffahrt gesperrt, weil darunter in wenigen Metern Tiefe und nur rund drei Kilometer vom Ufer entfernt am Ausgang der Kieler Förde das tödliche Erbe aus den Weltkriegen liegt: rund 10.000 Tonnen Munition, deren hochexplosiver Inhalt jeden Tag etwas mehr ins Meer gelangt.

„Die Gefahren, die davon ausgehen, sind jahrelang ignoriert worden“, sagt Böttchers Chef, Umweltminister Jan Philipp Albrecht, der an diesem Tag mit dabei ist. Der Grünen-Politiker gibt zu: „Es ist schon ein total komisches Gefühl, hier drüber zu fahren.“ Seit zwei Jahren will sich Albrecht von Bord des Schiffes aus ein Bild von den Auswirkungen von Munition im Meer machen – doch durch die Pandemie sei der Termin immer wieder verschoben worden.

Nun passt es besonders gut. Bald wollen die Grünen ihren Spitzenkandidaten für die Landtagswahl bestimmen – Albrecht gehört mit Finanzministerin Monika Heinold zur ersten Wahl. Ein paar schöne Bilder des Ministers mit grüner Jacke des Küstenschützers an Bord eines Schiffes können da nicht schaden. Außerdem findet diese Woche die Ministertagung der Helsinki-Kommission zum Schutz der Meeresumwelt des Ostseeraums in Lübeck statt – und da wird Albrecht mitdiskutieren, wie über sieben Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg das Gift aus den Meeren geholt werden kann.

„Und natürlich erwarte ich auch etwas von den Koalitionsgesprächen im Bund“, sagt der Grüne. „Ich hoffe sehr, dass das Thema in einem Koalitionsvertrag vorkommt.“ Denn dann wäre es leichter für eine Bundesregierung mit grüner Beteiligung, im nächsten Haushalt die 100 Millionen Euro bereitzustellen, die Albrecht für ein Pilotverfahren zur Bergung und Entsorgung von Munition im Meer verlangt. „Theoretisch könnte das Ende 2024 beginnen – und zwar in Schleswig-Holstein“, sagt Albrecht.

Entsorgungsplattform für Munitionsreste

Die Technik dafür sei vorhanden. Der Rüstungskonzern Thyssen Krupp Marine Systems aus Kiel hat etwa angekündigt, eine 40 mal 70 Meter große Plattform in zwei Jahren bauen zu können. Von dort sollen Munitionsreste und Sprengstoff geborgen und zum Teil auch schon entsorgt werden können. „Dieses Verfahren könnte sehr gut in der Kolberger Heide ausprobiert werden“, meint Albrecht.

Denn das rund zwölf Quadratkilometer große Versenkungsgebiet ist leicht zu erreichen. Der Boden ist stabil, so dass viele Bomben und Granaten nicht zu sehr eingesunken sind, sagt Böttcher. Und es sei relativ gut erforscht durch mehrere Projekte etwa des Geomar Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel.

An diesem Tag kann Albrecht sehen, wie von einem anderen Forschungsschiff aus Spezialkameras unter Wasser fotografieren, was an Munition dort liegt. Auf den Bildern ist gut zu erkennen, wie intakte Minen neben ziemlich verrosteten Granaten und dem Sprengstoff TNT liegen, der direkt mit dem Wasser in Berührung kommt. Was das für Auswirkungen haben kann, untersucht Toxikologe Edmund Maser von der Uni Kiel, der ebenfalls mit an Bord ist. Vor drei Jahren haben er und sein Team bereits in speziellen Vorrichtungen wasserfilternde Muscheln direkt über dem Sprengstoff platziert – und schon nach wenigen Wochen nachgewiesen, wie sie sich verändern. „Diese Muscheln sollte man jedenfalls nicht mehr essen“, sagt der Professor. „Denn TNT ist krebserregend.“

Maser geht nicht davon aus, dass sich drei Jahre nach seiner ersten Forschung mit Muscheln etwas wesentlich verändert haben könnte. „Es zeigt sich, dass giftige Substanzen in die Nahrungskette des Menschen gelangen können.“ Und die Gefahr nehme zu, weil eben immer mehr Granaten und Bomben durchrosten und so mehr Sprengstoff ins Wasser gelange. „Deshalb ist es wichtig, dass wir jetzt handeln und Geld für Bergung und Entsorgung freigeschlagen wird.“

Kosten sind noch nicht abschätzbar

Doch selbst wenn der Bund oder gar eine internationale Konferenz Millionen für die Bergung bereitstellen würde, müsste eine technische Lösung erst noch ausgeschrieben werden. Wann die Bergung beginnen kann, steht also nicht fest – genauso wenig wie die Höhe der Kosten. „Das werden wir erst im Zuge der Pilotphase lernen müssen – so etwas hat es ja noch nie gegeben“, meint Albrecht. Dann können man auch erst sagen, welche Munition wie gut geborgen und entsorgt werden kann. Dass das viele Milliarden kosten wird, sei aber schon jetzt klar.

Vielleicht hat die Politik auch deswegen viele Jahre das Problem ignoriert – obwohl es bis in die 50er häufig Unfälle durch explodierende Munition auf dem Meer gegeben hat. „Wir können das Zeug jedenfalls nicht da liegen lassen“, sagt Albrecht – und schaut zu wie Edmund Maser und sein Team wieder in ihr Schlauchboot steigen, um erneut für Forschungen in die verbotene Zone zu fahren. Dort wo Stück für Stück das giftige Erbe aus zwei Weltkriegen ins Meer gelangt.

 

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