Einspruch

Naturschutzverbände warnen vor maßloser Energiewende in SH

Naturschutzverbände warnen vor maßloser Energiewende in SH

Naturschutzverbände warnen vor maßloser Energiewende

SHZ
Kiel
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Biogasanlagen stehen bei Naturschützern ganz besonders in der Kritik. Foto: Peter Dethloff/Archiv/shz.de

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Gleich vier Naturschutzverbände legen gemeinsam ihr Veto gegen eine völlig freie Fahrt für den Ausbau Erneuerbarer Energien ein. Ihre Kritik gilt Windkraft, Photovoltaik und Biogas gleichermaßen.

Der beschleunigte Ausbau der Erneuerbaren Energien hat zwischen dessen Verfechtern und Umweltschützern einen offenen Konflikt entfacht. Die von den Branchenverbänden der Erneuerbaren auf ihrem Neujahrsempfang an die Landesregierung gestellten Forderungen lassen bei gleich vier Naturschutzverbänden „die Alarmglocken schrillen“. So heißt es in einem gemeinsamen Protest, den Nabu, BUND, der Landesnaturschutzverband und der Bundesverband Beruflicher Naturschutz veröffentlicht haben.


Die Organisationen stören sich an dem Appell, statt bisher zwei mehr als drei Prozent der Landesfläche für Windräder auszuweisen, Einschränkungen für Freiflächen-Photovoltaik fallen zu lassen und Biogasanlagen auszubauen.


„Das hört sich an, als ob da eine Dampfwalze ankommt“, moniert Carl-Heinz Christiansen, Sprecher des Arbeitskreises Energiewende beim BUND. „Es ist kein Automatismus, dass jede Art des Ausbaus der Erneuerbaren den Artenschutz fördert. Gerade die vielen Vogelzüge durch Schleswig-Holstein kann man nicht unberücksichtigt lassen.“ Besonders reibt er sich am Vorstoß von Lobbyisten, Schleswig-Holstein solle umso mehr Windräder aufstellen, damit andere Bundesländer unter dem von der Berliner Ampel angestrebten Zwei-Prozent-Anteil ihrer Fläche bleiben könnten.

„Geradezu ein Plädoyer für Wildwuchs“

Fritz Heydemann, Vize des Nabu, findet das Verlangen nach „drei Prozent plus“ für Windkraft „geradezu ungehörig“. Den Anspruch, für Solarparks keine Bereiche auszuschließen, geißeln die vier Verbände als „maßlos“ und „Plädoyer für Wildwuchs“.


„Dass der Ausbau der Erneuerbaren Energien zu Gunsten des Klimaschutzes weitergehen muss, ist auch uns klar“, betont Christiansen. Aber genauso erklärt er auch: „Wir können nicht Schleswig-Holstein mit neuen Anlagen vollstellen und dann sagen: Das ist purer Naturschutz.“ Photovoltaik-Platten auf Wiesen und Maisanbau für Biogasanlagen würden Natur verdrängen, und auch Windkraftanlagen hielten Vögel von Ruheplätzen fern, gibt der BUND-Mann zu bedenken.


„Kaum ist die Regionalplanung zur Windenergie des Landes unter Dach und Fach, mit der Schleswig-Holstein als eines der ersten Bundesländer das Zwei-Prozent-Ziel erreicht hat, rufen Windkraftlobbyisten nach mehr“, erbost sich Heydemann. „Die Menschen des ländlichen Raums und auch der Natur- und Landschaftsschutz mussten im Hinblick auf die Ausweisung nicht selten sehr strittiger Vorranggebiete manche bittere Pille schlucken.“

Das spricht gegen Biogasanlagen

Zu Biogasanlagen sagt der Vorsitzende des Landesnaturschutzverbandes, Ulrich Irmler: „Aus Mais und anderen Substratpflanzen erzeugtes Biogas ist in seiner Umweltbilanz verheerend und bleibt in seinem Beitrag zum Klimaschutz bestenfalls bescheiden. Ökologisch sinnvoll sind ausschließlich Reststoffe verwertende Biogasanlagen, aber sie machen leider nur einen äußerst geringen Anteil des Gesamtbestands aus.“


Nach Überzeugung der vier Naturschutzverbände muss sich der Fokus für Klimaschutz viel stärker auf Energieeinsparung und eine effizientere Energienutzung richten.


Umwelt- und Energiestaatssekretär Tobias Goldschmidt (Grüne) versucht zu beruhigen: „Klimawandel und Artensterben sind Zwillingskrisen“. Sie ließen sich nur gemeinsam bewältigen. „Beide Punkte zu entwickeln, wird eine zentrale Aufgabe politischer Gestaltung für dieses Jahrzehnt sein.“ Schleswig-Holsteins bisherigen Weg dabei sieht er als „Erfolgsgeschichte mit bundesweiter Vorbildwirkung“. Als Zutaten dafür betrachtet der Grüne „Verständnis füreinander, kurze Kommunikationswege und Klarheit im Ziel.“


Marcus Hrach, Geschäftsführer des Landesverbands Erneuerbare Energien, gibt zu bedenken: „Natürlich ist es weiterhin das Ziel, die erforderlichen energiepolitischen Ziele auf einem möglichst natur- und artenschutzverträglichen Weg zu erreichen.“ Aber: „Die Klimakrise erfordert ein zügiges Handeln. Und sie ist auch für die Artenvielfalt ein viel zu großes Problem, als dass wir sie nicht mit allen Mitteln verhindern müssen.“ Zukünftig werde grüner Strom auch für die Wärmeversorgung und für die Mobilität, ebenso für die Industrie gebraucht. Hrach: „Diese Transformation des Energiesystems setzt einen gesamtgesellschaftlichen Diskussions- und Abwägungsprozess voraus. Hier sind wir alle in der Verantwortung.“

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