Vorfälle im Kieler Landesfunkhaus

Der NDR und seine hausinterne Klimakrise – Intendant will Unternehmenskultur ändern

Der NDR und seine hausinterne Klimakrise

Der NDR und seine hausinterne Klimakrise

Martin Schulte/shz.de
Kiel
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Hinter diesen Mauern gibt es einiges zu klären: Das NDR-Landesfunkhaus Schleswig-Holstein in Kiel. Foto: Axel Heimken

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Das Arbeitsklima beim NDR in Kiel, aber auch in Hamburg ist angeschlagen. Intendant Joachim Knuth will die Unternehmenskultur ändern – aber warum erst jetzt?

Der NDR kümmert sich gerade sehr intensiv um Klimafragen. Das kann man zwar in diesen Zeiten nur loben, allerdings richtet sich der Fokus dabei nach innen. „Von den klimatischen Bedrohungen, die sich in den vergangenen Wochen und Monaten aufgetan haben, habe ich nichts gewusst“, gab Intendant Joachim Knuth unlängst während einer Interviewrunde zu.

Es ging dabei vor allem um das Arbeitsklima in Kiel, aber auch in Hamburg. Eine Stunde lang stand Knuth dabei zahlreichen Journalisten Rede und Antwort, nachdem der NDR zuvor einen 40-seitigen Bericht zu den Vorkommnissen im Kieler Landesfunkhaus veröffentlicht hatte. Transparenz ist dabei das neue Stichwort, und es überraschte doch etwas, warum die Einsicht in diese offensichtliche Notwendigkeit im Haus so lange gedauert hat.

Kieler Vorfälle beunruhigen die gesamte ARD

Der NDR – das ist unstrittig – hat schon bessere Tage gesehen. Auch wenn Intendant Knuth pflichtgemäß betonte, dass man mit den Programminhalten so erfolgreich sei wie selten zuvor. Nur interessiert das offensichtlich nicht einmal die Intendanten-Kollegen, denn das, was dem NDR in Kiel vorgeworfen wird, hat die gesamte Führungsebene in Unruhe versetzt. „Meine Kolleginnen und Kollegen in der ARD waren beunruhigt, weil es bei den Vorwürfen in Kiel um die Frage einer Schräglage in der Berichterstattung oder gar der Nachrichtenunterdrückung ging“, sagte Intendant Knuth. Dieser Verdacht habe sich nicht bestätigt. So ist es auch in dem vom NDR in Auftrag gegebenen Bericht über die Ereignisse in Kiel nachzulesen, den der Sender am Dienstag veröffentlichte.

Wenn es um journalistische Unabhängigkeit und den Vorwurf der politischen Einflussnahme auf die Berichterstattung geht, kann das schnell einen Flächenbrand auslösen, der die ganze öffentlich-rechtliche Familie erfasst. Man darf also davon ausgehen, dass derzeit viele Intendanten sehr genau in ihre Häuser lauschen und jeden Tag preisen, an dem sie selbst nicht zum Teil der bundesdeutschen Berichterstattung werden.

Ein Überblick über den ganzen NDR

Intendant Knuth dagegen steht mittendrin in einem Prozess, den er als notwendig bezeichnet. „Dieser Prozess wird Hinweise und Empfehlungen mit sich bringen, die mir und anderen möglicherweise nicht schmecken werden“, sagte er. Knuth hat mit dem Theologen und ehemaligen Diakonie-Chef Stephan Reimers einen externen Experten beauftragt, der nun den gesamten Sender unter die Lupe nehmen soll. „Wir müssen uns einen Überblick verschaffen, der den ganzen NDR einschließt, weil ich nicht mehr hundertprozentig sicher bin, dass es sich bei den Ereignissen in Kiel und Hamburg um Einzelfälle handelt“, sagte Knuth – und sah dabei nicht besonders glücklich aus. Auf die Frage, warum er dann vor Ende der Gesamtprüfung schon die Rückkehr des Kieler Landesfunkhausleiters Volker Thormählen verkündet hat, sagte Knuth: „Ich habe dazu viele Gespräche geführt. Volker Thormählen hat keinen unzulässigen oder fragwürdigen Einfluss auf das Programm genommen.“ Auch habe der Funkhausleiter nicht versucht, Menschen zu unterdrücken oder klein zu machen.

Das ist ein erstaunlicher Satz, allerdings nur, wenn man den NDR-Bericht über die Kieler Verhältnisse nicht gelesen hat. Sonst kommt man schnell zum Schluss, dass es Autokraten nicht nur in Unrechtsstaaten gibt. Das Vokabular in dem Bericht, der ausschließlich die Probleme im Kieler Ableger des NDR beschreibt, ist dramatisch: Dort ist die Rede davon, dass die Mitarbeiter in Konferenzen nicht mehr diskutierten, weil sie sich nicht „als Futter“ für den Chefredakteur hinschmeißen wollten: „Es war wie früher im Circus bei den Gladiatoren, man hat immer auf den Moment gewartet, geht der Daumen hoch oder runter?“, wird eine Redaktionsmitarbeiterin zitiert. Außerdem ist von Kälte, Tribunalen und Angst die Rede. „Wir wollen uns künftig imprägnieren gegen solche Entwicklungen, die uns geschadet haben“, sagte Knuth: „Wenn es in Redaktionsprozessen keine Kultur des Dialogs und des Widerspruchs gibt, ist das schlecht.“

Ein Redaktionsbericht, der nie öffentlich werden sollte

Eine Schlussfolgerung, die ebenso naheliegend ist wie die Frage, warum Landesfunkhausdirektor Thormählen und der Intendant selbst diese Dinge nicht früher mitbekommen und moderiert haben. Immerhin hatte der Bericht des Redaktionsausschusses, den Knuth und Thormählen im Dezember 2021 vorliegen hatten, die Probleme überdeutlich skizziert. Dieser Redaktionsbericht war später öffentlich geworden und hatte das Landesfunkhaus in die Krise gestürzt.

Der Intendant und die eigenen Fehler

„Die Frage, ob ich früher hätte reagieren müssen, treibt mich auch um“, sagte Knuth und lieferte die Antwort gleich mit: „Ich hätte das Thema unabhängig von formalen Zuständigkeiten besser stärker an mich gezogen. Das war nicht gut, denn dann wäre es vielleicht nicht zu dieser Eskalation gekommen.“ Ein Satz, aus dem man dann doch Kritik an Thormählen herauslesen kann.

Viele Berichte zum gleichen Thema

Jetzt aber wird der Sachverständige Stephan Reimers drei Monate lang die Gesamtlage des Senders betrachten und möglicherweise sogar neue Problemfelder ausmachen. Das ist jedenfalls in seine Aufgabenbeschreibung mit eingepreist. Außerdem wird der Landesrundfunkrat die Vorfälle im Landesfunkhaus untersuchen – auch mit externer Expertise. An Berichten, so viel ist sicher, wird es dem NDR nicht mangeln. Aber bei der Suche nach Lösungen für Klimafragen soll man ja nicht sparsam sein.

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