Versorgungskollaps im Februar?

Neue Regeln für ausländische Lkw könnten Lieferketten gefährden

Neue Regeln für ausländische Lkw könnten Lieferketten gefährden

Neue Regeln für Lkw könnten Lieferketten gefährden

SHZ
Neumünster
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Im Februar sollen neue EU-Gesetze in Kraft treten: Experten der Logistikbranche rechnen mit sich verschärfenden Lieferengpässen. Foto: Hannes Harding

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Im Februar gelten neue Spielregeln im Güterverkehr. Zunächst bejubelt, herrschen nun plötzlich Bedenken – auch in Schleswig-Holstein. Die neuen EU-Gesetze könnten den Fahrermangel verschärfen, Lieferketten gefährden.

Mit einem Gesetzespaket hat die Europäische Union im Sommer 2020 die Spielregeln im Güterverkehr auf der Straße neu justiert. In den westlichen Mitgliedsstaaten knallten die Korken, weil das sogenannte EU-Mobilitätspaket die meist günstigere Konkurrenz aus den Peripherieländern schwächt.

Neue Gesetze sollen im Februar in Kraft treten

Doch in Zeiten drohenden Fahrermangels könnten die neuen Gesetze, von denen ein wichtiger Teil im Februar 2022 in Kraft treten soll, auch in Deutschland zu Versorgungsengpässen führen.

Für das Mobilitätspaket stark gemacht hat sich auch der Unternehmensverband Logistik Schleswig-Holstein. Geschäftsführer Thomas Rackow: „Wir vertreten kleine und mittlere Familienunternehmen, die wir schützen wollen.“ Die neuen Regelungen sorgten für einen faireren Wettbewerb.

Nach drei Fahrten in Deutschland muss der Lkw in seine Heimat

Grund: Vom 22. Februar an verschärfen sich die Auflagen für ausländische Fahrer und Speditionen. Zwei Beispiele: Neben der prinzipielle Heimkehrpflicht der Fahrer nach vier Wochen müssen dann auch ihre Brummis alle acht Wochen zurück in den „heimatlichen Hafen“. Das kostet Zeit und Geld. Und bei sogenannten Kabotagefahrten, das ist Inlandsverkehr durch ausländische Speditionen, hat die EU ebenfalls kräftig an der Regulierungsschraube gedreht. Wie bisher bleiben nur drei Kabotagen innerhalb von sieben Tagen erlaubt. Neu ist die sich danach anschließende „Cooling-Off-Phase“. Der Lkw muss vier Tage ins Heimatland, bevor er zum Beispiel wieder nach Deutschland darf.

EU will Nomadentum auf den Straßen beenden

Erklärtes Ziel der EU-Regelungen ist es, das Nomadentum auf den Straßen zu beenden und die Wettbewerbsbedingungen anzugleichen. Die Verkehrsminister von Polen, Bulgarien, Zypern, Estland, Litauen, Lettland, Malta, Rumänien und Ungarn nannten das EU-Mobilitätspaket in einem Schreiben hingegen „restriktiv, diskriminierend und protektionistisch“.

Anteil deutscher Speditionen ist zuletzt stark gesunken

Fakt ist: Die Mautstatistik des Bundesamtes für Güterverkehr zeigt, dass der Anteil deutscher Speditionen auf den Straßen im Land seit Jahren sinkt. Waren es 2012 noch 62 Prozent, sind es zuletzt nur noch 50 Prozent gewesen. Die Hoffnung vieler Speditionen ist daher, dass durch die vorübergehende künstliche Verknappung im Zuge des Mobilitätspaketes Marktanteile hinzugewonnen werden können. Nur steht die Frage im Raum, ob es überhaupt möglich ist, die dafür benötigten Kapazitäten aufzubauen.

Problem: Nur noch wenige Berufseinsteiger wollen Lkw-Fahrer werden

Das größte Problem ist der Fahrermangel. Thomas Rackow sagt: „Der demografische Wandel macht der Branche zu schaffen.“ In Deutschland scheiden jedes Jahr 35000 Trucker aus dem Beruf aus, nur 15000 neue werden ausgebildet. Rackow: „Hier fehlt die Bundeswehr.“ Als es die Wehrpflicht noch gab, konnte dort kostenlos ein Führerschein für Lkw gemacht werden. Und auch die gesellschaftliche Einstellung zum Beruf des Fahrers sei ein Problem, wie Rackow erläutert. Die Berufswünsche seien andere.

Bundesverband Güterkraftverkehr warnt vor Versorgungskollaps

Der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung hat deshalb bereits Alarm geschlagen. „Wir warnen davor, dass wir auch in Westeuropa sehenden Auges in einen schleichenden Versorgungskollaps laufen“, sagte Vorstand Dirk Engelhardt. Zum bestehenden Fahrermangel kommt im Februar nun noch die ursprünglich gewünschte Verknappung durch das EU-Mobilitätpaket hinzu – was auch in Deutschland für leere Supermarktregale sorgen könnte. „Mittlerweile dreht sich daher bei einigen in Branche die Sichtweise“, gibt Rackow zu bedenken.

Gefährden die neue Gesetze die Lieferketten?

Ob aber alles so kommt, wie es das Mobilitätspaket vorsieht, ist noch offen. Sieben Länder, darunter Litauen und Ungarn, haben Klagen beim Gerichtshof der Europäischen Union eingereicht. Unter anderem geht es um die Rückkehrpflicht alle acht Wochen sowie die viertägige „Abkühl“-Phase. Da unklar ist, wie die Klagen enden werden, richten erste osteuropäische Firmen Niederlassungen in Deutschland ein. So erklärte Girteka Logistics aus Litauen (ist unter anderem für Amazon unterwegs): „Um die Anforderungen unserer Kunden für nationale Transporte in Deutschland zu gewährleisten, haben wir eine signifikante Zahl von Lkw mit deutschen Kennzeichen zugelassen.“

Ausländische Speditionen gründen deutsche Niederlassungen

Entsprechende Tendenzen gibt es auch in Schleswig-Holstein. „Wir beobachten das bei baltischen Unternehmen zum Beispiel in Lübeck und Ostholstein“, berichtet Rackow. Die Lkw dieser Speditionen fahren dann mit deutschen Kennzeichen, müssen auch den deutschen Mindestlohn zahlen, sparen sich dafür die Kosten der neuen Regelungen. Rackow: „Gegen einen solchen Wettbewerb unter gleichen Voraussetzungen ist nichts einzuwenden.

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