Gesundheit

Neurodermitis durch Klimawandel - neue Therapien helfen

Neurodermitis durch Klimawandel - neue Therapien helfen

Neurodermitis durch Klimawandel - neue Therapien helfen

Dirk Jennert/shz.de
Kiel
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Professor Dr. Regina Fölster-Holst aus Kiel zählt zu den führenden Dermatologen in Deutschland. Insbesondere in der Neurodermitis-Therapie für Kinder und Jugendliche am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein hat sie sich einen Namen gemacht. Foto: Michael Ruff/shz.de

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Die Zahl der Neurodermitis-Patienten steigt. Zu den Ursachen zählt der Klimawandel. Welche Zusammenhänge hier bestehen und warum Patienten nicht verzweifeln müssen, erklärt die Kieler Dermatologin Professorin Regina Fölster-Holst.

Frau Professor Fölster-Holst, in Deutschland leiden etwa 3,6 Millionen Menschen an Neurodermitis. Nimmt die Zahl der Fälle zu?

Ja, das ist so. Das sehen wir bei allen Erkrankungen, bei denen Patienten mit einer Überempfindlichkeit auf eigentlich harmlose Stoffe reagieren. Unter diese sogenannten atopischen Erkrankungen fallen Neurodermitis, Heuschnupfen und Asthma. Besonders ausgeprägt ist die Zunahme der Fälle bei der Neurodermitis.

Woran liegt das?

Es gibt verschiedene Faktoren, die zu dieser Zunahme führen. Ich möchte drei nennen: Eine Rolle spielt unser Lebensstil. Das fängt schon bei der Ernährung an. Wir haben keine Scheu, uns mit Fertigprodukten zu ernähren, in denen alles Mögliche drin ist, zum Beispiel Konservierungs- und Farbstoffe. Der zweite Grund ist eine schadstoffbelastete Umwelt. Und der dritte Faktor, der immer mehr Gewicht bekommt, ist der Klimawandel.

Warum leiden insbesondere Neurodermitiker unter der Veränderung des Klimas?

Die mit dem Klimawandel einhergehende Temperaturveränderung verlängert die Vegetationsperiode. Das bedeutet: Die Belastung durch Pollen beginnt früher im Jahr und endet später. Wenn sie auf eine leicht feuchte Hautoberfläche treffen, wird die Hülle der Pollen zerstört. Das setzt wiederum Allergene frei, die in die Haut eindringen können. Zudem stellen wir fest: Die Pollen sind – was sicherlich auch mit dem Klimawandel zusammenhängt - aggressiver geworden. Sie bilden mehr Proteine aus, auf die Menschen allergisch reagieren.

Was ist die Folge?

Man muss sich die Haut bei Neurodermitis in etwa so vorstellen wie eine Ziegelsteinmauer ohne Mörtel. Durch die offenen Fugen kommen die Allergene hinein und lösen eine Entzündungsreaktion aus. Der Patient spürt dies meist in Form eines Juckreizes, der sehr intensiv werden kann.

Sie haben vier Jahrzehnte zu Neurodermitis geforscht und Patienten behandelt. Was sind die größten Unterschiede zwischen damals und heute?

Ich beginne mit einem Aspekt, der sich inhaltlich um 180 Grad gedreht hat. Wir haben neurodermitis-vorbelasteten Eltern früher den Rat gegeben, ihr Baby im ersten Lebensjahr von Lebensmitteln mit allergenem Potenzial fernzuhalten. Also bitte keine Nüsse, keine Kuhmilch oder Hühnereiweiße. Erst eine wissenschaftliche Studie aus Australien hat das komplett auf den Kopf gestellt.

Wie sind Ihre Kollegen aus Australien vorgegangen?

In Australien hat man eine Gruppe von Neugeborenen mit Erdnussbutter versorgt. Einer Vergleichsgruppe wurde die Butter vorenthalten. Und dann haben die Wissenschaftler geprüft, in welcher Gruppe mehr Erdnussallergien aufgetreten sind. Ergebnis: Die Kinder, die im ersten Lebensjahr bereits Erdnussbutter probiert hatten, bildeten viel seltener Allergien dagegen aus als die andere Gruppe. Die Erklärung: Das Immunsystem können der Kinder hatte die Chance, sich auf diese allergenen Stoffe einzustellen. Erdnussallergene sind hochpotent. Wenn Eltern Erdnüsse essen, sind die Allergene der Erdnüsse in der Luft, und die erblich belasteten Kinder nehmen diese Stoffe über die Haut aufnehmen. Wenn der erste Kontakt jedoch über die Haut erfolgt statt über den Darm, steigt das Risiko, eine Allergie auszubilden.

In den vergangenen Jahren gab es auch große Fortschritte bei den Medikamenten. Wie sah es in Ihrer Anfangszeit aus?

Vor 40 Jahren haben wir die Neurodermitis-Patienten stationär behandelt, was heute nur noch in schweren Fällen erforderlich ist. Die Standardtherapie war im Wesentlichen der Einsatz von Kortison-Cremes. Nach wie vor ist die Applikation externer Kortikosteroide Therapie der Wahl bei milden-moderaten Formen. Gesteigert kann ihre Wirkung durch Abdeckung der eingecremten Bereiche mit einer Folie. Das kann man aber nicht über Wochen machen, sondern man muss in vielen Fällen bereits nach der ersten Woche die Dosis schrittweise verringern, um Schäden an der Haut zu vermeiden. Für sehr schwere Fälle standen uns Medikamente, unter anderem Chemotherapeutika und Immunsuppressive zur Verfügung, bei deren Anwendung mit Nebenwirkungen zu rechnen ist. Diese haben inzwischen den 2. Platz in der Rangfolge der zu empfehlenden Medikamente eingenommen.

Und welche Möglichkeiten haben Sie heute?

Im Vergleich zu den soeben genannten Methoden sind unsere modernen Medikamente ein Quantensprung. Wir verfügen über Biologika, die unter die Haut gespritzt werden, und sogenannte „Small molecules“, die in Tablettenform aufgenommen werden. Letztere stehen uns erst seit kurzem zur Verfügung stehen. Beide Medikamenten-Arten sind für uns Dermatologen ein Durchbruch. Dadurch, dass diese Medikamente das Immunsystem ganz gezielt an der Entstehungsquelle blockieren, unterdrücken sie die Entzündungsreaktionen in der Haut, womit auch der Juckreiz stark gedämpft oder sogar ausgeschaltet wird. Außerdem ist mit weniger Nebenwirkungen zu rechnen im Vergleich zu den früher eingesetzten Medikamenten. In Abhängigkeit von der Wahl des Medikamentes treten jedoch auch hier Nebenwirkungen auf.

Können die Patienten durch diese neuen Medikamente geheilt werden?

Nein, so weit sind wir leider nicht. Die Symptome werden unterdrückt, so dass die Patienten weitgehend ohne Beschwerden leben können. Aber die Neurodermitis ist damit nicht besiegt, sie wird aber deutlich in Schach gehalten.

Haben Sie die Hoffnung, dass die folgenden Generationen die Neurodermitis besiegen können?

Aus heutiger Sicht ist leider noch Utopie. Wir wissen immer noch nicht ganz genau, wie eine Neurodermitis ausgelöst wird, aber wir wissen, dass der Grund in der Genetik liegt, die letztendlich in Interaktion mit der Umwelt, unserem Mikrobiom (der Gesamtheit der Erreger, vor allem im Darm und in der Haut) und psychischen Faktoren die Entzündung auslöst. Was wir also tun können, beinhaltet die Stabilisierung der gestörten epidermalen Barriere durch regelmäßige Pflege der Haut, den Stopp der immunologisch ausgelösten Entzündung durch die neuen Medikamente, eine vollwertige Ernährung durch positive Beeinflussung des Mikrobioms und eine Neurodermitisschulung, die neben den genannten Aspekten auch auf die psychischen Triggerfaktoren eingeht. Um die Neurodermitis zu heilen, müssten wir den genetischen Defekt beseitigen, aber das ist noch nicht möglich.

Nur 42 Prozent der Erwachsenen, die an Neurodermitis leiden, lassen sich behandeln. Was ist mit den anderen 58 Prozent?

Ich empfehle jedem Neurodermitiker, sich behandeln zu lassen. Denn ohne eine Behandlung können die Symptome schlimmer werden. Dazu bedarf es einer umfassenden Aufklärung, damit man versteht, was in der Haut passiert und wie man reagieren sollte. Wir müssen die Patienten in die Lage versetzen, Manager der eigenen Erkrankung sein zu können.

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