Gesundheitssystem in SH

Patientenschützer: Kritik an Sonderregelung für Ärzte und Pflegekräfte aus Ukraine

Patientenschützer: Kritik an Sonderregelung für Ärzte und Pflegekräfte aus Ukraine

Patientenschützer: Kritik an Sonderregelung für Ärzte und Pflegekräfte aus Ukraine

SHZ
Kiel
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Ohne zugewanderte Fachkräfte stünde unser Gesundheitssystem vor dem Kollaps. Foto: Bodo Schackow / dpa Foto: 90037

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Die Bundesländer wollen die Mediziner-Anerkennung für Geflüchtete aus der Ukraine erleichtern – doch kann das mit den Sprachproblemen funktionieren?

Patientenschützer warnen vor einer überhasteten Anwerbung ukrainischer Pflegefachkräfte und Ärzte. Das nötige Sprachniveau für die Arbeit in Pflege und Medizin könne kaum in weniger als einem Jahr erreicht werden, sagte Eugen Brysch von der Stiftung Patientenschutz. Patientenversorgung brauche „den sicheren Umgang mit der deutschen Sprache“.

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Das Kieler Gesundheitsministerium bestätigte, dass sich die Bundesländer bereits Mitte April für eine schnelle Anerkennung der ukrainischen Berufsabschlüsse ausgesprochen haben. Der Bund prüft offenbar eine notwendige rechtliche Änderung der Approbationsordnung für Ärzte. Ähnliche Initiativen hat es bisher für Flüchtlinge aus EU-Dritt-Ländern wie Syrien oder Pakistan nicht gegeben.


Während Brysch beklagt, dass „nicht nur ältere Menschen schon jetzt Probleme haben, sich mit Ärzten und Pflegekräften sowohl im Krankenhaus als auch in der Altenpflege zu verständigen“, betont die Garg-Behörde, dass geltendes Recht nicht ausgehebelt werde. „Für die Erteilung einer Approbation sind Sprachkenntnisse auf dem Niveau C1 erforderlich, die mit dem Bestehen der Fachsprachenprüfung erreicht werden“, betont Behörden-Sprecher Christian Kohl. Seit Jahren ist bekannt: In der Regel fällt fast jeder Zweite durch die Prüfung.

Jede dritte Pflegekraft stammt nicht aus Deutschland

Dabei sind Krankenhäuser, Kurkliniken und medizinische Versorgungszentren aufgeschmissen ohne Ärzte und Pflegekräfte aus dem Ausland. Jede dritte Pflegekraft und jeder fünfte Arzt stammt inzwischen nicht aus Deutschland. Bundesweit haben etwa 130.000 Ärzte einen Migrationshintergrund. Höher ist der Anteil Zugewanderter nur in der Altenpflege mit 30,1 Prozent.

Die ausländischen Mediziner arbeiten zu fast 80 Prozent im stationären Bereich und sind regional sehr ungleich verteilt. Schleswig-Holstein ist das Flächenland mit dem geringsten Anteil von Medizinern mit Zuwanderungsgeschichte. Zwischen Nord und Ost sind 7,4 Prozent der Ärzte aus dem Ausland, nur im Stadtstaat Hamburg arbeiten mit 6,8 Prozent noch weniger. Zum Vergleich: Im Saarland hatte im Jahr 2020 jeder fünfte Arzt ausländische Wurzeln. Die meisten kommen aus Osteuropa. Auch unter Medizinern aus der Ukraine ist Deutschland äußerst beliebt. Schon vor Kriegsausbruch arbeiten hier 2000 ukrainische Ärzte.

Exodus in den Herkunftsländern

Die Kehrseite der Medaille: In den Herkunftsländern ist durch den Exodus teuer ausgebildeter Fachkräfte die medizinische Versorgung gefährdet. Das zeigt der Sachverständigenrat Integration und Migration in einer jetzt vorgelegten Studie am Beispiel Rumäniens: Das Land kam 2017 nur noch auf eine Arztdichte von 2,9 Ärzten pro 1000 Einwohner – in Deutschland sind es dagegen 4,9. Nur 60.000 rumänische Ärzte arbeiten im eigenen Land, 20000 hingegen im westeuropäischen Ausland. Weil sie schlecht bezahlt werden und mit den politischen Verhältnissen unzufrieden sind, planen aktuell vier von fünf Medizinstudien nach dem Ende ihrer Ausbildung zeitweise oder dauerhaft Rumänien zu verlassen.

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Migrationsforscherin Bendel plädiert deshalb für „Fairness und Transparenz“ bei der Anwerbung – etwa indem man nicht fertige Fachkräfte anwirbt, sondern sie selbst ausbildet. Und Brysch warnt in Bezug auf die Ukraine-Flüchtlinge davor, aus dem Elend Kapital schlagen zu wollen: „Politik, Krankenhausbetreiber, selbst karitative Wohlfahrtsverbände agierten als ,aktive, egoistische Abwerber’, das ist verwerflich.“ Die Ukraine brauche Hilfe aus Deutschland, und nicht umgekehrt.


Gebremst wird aber auch aus anderen Gründen. So fordert der Deutsche Ärztetag, dass Mediziner aus EU-Drittstaaten einen Kenntnisstand nachweisen, über den auch Ärzte verfügen, die in Deutschland ihre Ausbildung absolviert haben – mit dem Ziel, Patienten zu schützen und Wettbewerbsnachteile für deutsche Studierende auszuschließen.

Gesundheitssystem ohne Zugewanderte vor Kollaps

Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery wies darauf hin, dass sich oft die Echtheit der vorgelegten Dokumente „nicht abschließend bestimmen“ lasse. Der Patientenschutz könne daher nur gewährleistet werden, wenn alle Bewerber eine Prüfung analog zu dem zweiten und dritten Staatsexamen ablegten.

Noch sind die Gesundheitsminister dieser Forderung nicht nachgekommen. Der Grund: „Ohne Zugewanderte stünde unser Gesundheitssystem vor dem Kollaps“, sagt die Vorsitzende des Sachverständigenrates Petra Bendel, und Migrationsforscherin an der Universität Erlangen-Nürnberg.

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