Kolumne

„Robert Habeck und das Dilemma mit den Klimaterroristen“

Robert Habeck und das Dilemma mit den Klimaterroristen

Robert Habeck und das Dilemma mit den Klimaterroristen

Miriam Scharlibbe/shz.de
Flensburg
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Minister Habeck bei „Maischberger“ Foto: Oliver Ziebe/shz.de

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Grün war mal gut und Terroristen böse. Doch so einfach ist das nicht mehr. Jetzt diskutiert Deutschland über Klima-Kleber, Baumbesetzer und einen Wirtschaftsminister, der die Räumung von Braunkohle-Dörfern verteidigt. Wer soll da noch den Überblick behalten?

Klein gegen Groß, David gegen Goliath, West gegen Ost - die Erzählungen unserer Kindheit sind geprägt von einfachen Wahrheiten. Die Welt ist schwarz-weiß, im Zweifel unterdrückt die Mehrheit die Minderheit und die Minderheit hat recht. Wir sollen gegen den Strom schwimmen, unseren eigenen Weg gehen und Gutes tun, auch wenn andere darüber nur müde lächeln. So lernen wir es.

Aber gelten diese Wahrheiten noch, wenn die Welt immer komplexer wird? Wenn Grünen-Politiker nicht mehr in der Minderheit, sondern in der Regierung sind?

Über Sinn und Unsinn von Aktionen selbsternannter Klimaaktivisten wird schon seit Jahrzehnten durchaus kontrovers gestritten. Aber es waren immer Einzelne, die sich von Autobahnbrücken abseilten, Castortransporte oder Walfängerschiffe blockierten. Mit der Gründung von Fridays for Future im Jahr 2018 erreichte das Thema dann die breite Mitte der Gesellschaft. Auf einmal hatte jeder eine Meinung dazu, ob man die Schule für die Rettung der Erde schwänzen darf, sollte oder gar muss. Im vergangenen Jahr gewann die Debatte dann noch einmal an Tempo. Ob es nun wirklich radikal ist, sich selbst an Straßen oder Kunstwerken festzukleben, sei dahingestellt, aber der von Corona und Krieg wund gescheuerte Nerv der Deutschen wurde getroffen.

Wieviel Kampf darf im Klimaschutz stecken?

Und auch 2023 startet mit der Frage, wie viel Kampf im Klimaschutz steckt. Zu Beginn der Woche wurde gleich einmal das Unwort des vergangenen Jahres gekürt: Klimaterroristen. Der Begriff sei im öffentlichen Diskurs benutzt worden, um Aktivisten und deren Proteste für mehr Klimaschutz zu diskreditieren, hieß es in der Begründung der Jury. Sie kritisierte die Verwendung des Wortes, weil Aktivisten mit Terroristen „gleichgesetzt und dadurch kriminalisiert und diffamiert werden“. Gewaltlose Protestformen zivilen Ungehorsams und demokratischen Widerstands würden so in den Kontext von Gewalt und Staatsfeindlichkeit gestellt, rügte die Jury.

Nun mag es Zufall sein, dass keine 48 Stunden nach dieser Nachricht genau so eine Form des vermeintlich zivilen Ungehorsams in einem kleinen verlassenen Dorf im Rheinland für bundesweite Schlagzeilen sorgt. In Lützerath stehen sich die Bewegung, die man als „Klimajugend“ beschreiben kann und der Energiekonzern RWE unversöhnlich gegenüber. Die einen wollen Braunkohle abbauen, die anderen genau das verhindern. Der Energiekonzern kann dabei auf den Staat in verschiedenen Formen als Unterstützer zurückgreifen: der Polizei, der Landes- und der Bundesregierung. Also wird das Dorf geräumt. Und trotzdem gewinnen am Ende die Klimaaktivisten.

Denn erstens bekommen sie genau die Bilder, die der geschickten Social Media-Strategie helfen: junge Demonstranten werden von der Polizei weggetragen. Das steigert den Bekanntheitsgrad, appelliert an den Gerechtigkeitssinn und bedient eben genau das David-gegen-Goliath-Prinzip. Zweitens sorgt es für Aufmerksamkeit bei den eigenen Idolen. Greta Thunberg, die Ikone der jungen Klimaschützer, hat ihren Besuch für diesen Samstag angekündigt. Und drittens – und das ist vielleicht am wichtigsten – entlarvt es einmal mehr die Hilflosigkeit der grünen Regierungsmitglieder.

Hilfloser Habeck entlarvt sich selbst

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hält weiterhin am Ende der deutschen Atomkraftwerke fest, hat aber kein Gas mehr, um die Energielücke zu schließen. Es bleibt ihm also nur, auf die vergleichsweise dreckige Kohle zu setzen - und öffentlichkeitswirksam die Räumung von Lützerath zu verteidigen. Die Idee, man könne aus beiden Energieträgern - Atom und Kohle - aussteigen, bevor ausreichend Ökostrom, Wasserstoff und eine leistungsfähige Speichertechnologie zur Verfügung stehen, hat sich als Irrglaube erwiesen.

In einen sauren Apfel muss Habeck also beißen und nun übergangsweise doch mehr Braunkohle abbaggern und zur Stromgewinnung verfeuern lassen, als eigentlich geplant. Genau genommen müsste die Klimajugend also vor der Parteizentrale der Grünen in Berlin demonstrieren, aber da gibt es keine Baumhäuser. Und wenn es um „Widerstand“, „Verteidigung“ und „Kampf“ geht, ist die Kulisse eben auch entscheidend.

Am Ende des Tages geht es den Baumbesetzern aber auch um Gerechtigkeit. Sie sprechen von Klimagerechtigkeit, einem klug gewählten Begriff, bei dem es inzwischen auch um die nicht gehaltenen Versprechen zwischen den Generationen geht.

Nach der Räumung von Lützerath wird es viele Analysen geben. Die Aktivisten werden tausende von digitalen Unterstützern dazugewonnen und Robert Habeck wohl einige Sympathiepunkte mehr verloren haben. RWE stört das alles nicht. Der Konzern hat seine Kohle. Im doppelten Wortsinn. Und uns bleibt am Ende nur, es mit dieser immer komplizierter werdenden Welt aufzunehmen und auf die Grautöne zu achten.

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