Kinderklinik-Direktor Reinhard Berner im Corona-Interview

Scholz-Experte sicher: Impfpflicht bringt nur wenig!

Scholz-Experte sicher: Impfpflicht bringt nur wenig!

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SHZ
Flensburg
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Foto: Eduardo Parra/shz.de

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Der Dresdener Kinderklinikdirektor Reinhard Berner sitzt im Corona-Expertenrat von Olaf Scholz. Doch während der Kanzler für die Impfpflicht wirbt, ist sich der Fachmann sicher: Das Instrument brächte wenig, hat aber großes Spaltungspotenzial. Warum Berner gegen die Impfpflicht ist, verrät er im Interview mit der shz-Redaktion.

Darin schickt der Arzt und Professor vor dem Corona-Gipfel an diesem Montag die „große Bitte” an die Politik, endlich die Belange der Kinder zu berücksichtigen. Und er appelliert an Kita-Erzieher und Lehrer: „Behalten Sie die Kinder bei sich, so lange es geht!”

Das Interview im Wortlaut:

Herr Professor Berner, die Inzidenzen bei Kindern sind wegen Omikron enorm hoch. Sind deswegen auch mehr Kinder schwer krank und müssen behandelt werden?

Wir sehen bisher keine stark steigende Zahl an stationär zu behandelnden Kindern, natürlich gibt es gewisse regionale Schwankungen auch in Deutschland. Wir haben keine Hinweise, auch nicht aus Ländern wie Afrika oder Großbritannien, dass die Omikron-Variante Kinder schwerer betreffen würde als vorherige Varianten oder andere Bevölkerungsgruppen. Corona hat bei gesunden Kindern bislang zu sehr, sehr wenigen schweren Verläufen geführt, und so ist es auch bei Omikron. Der Eindruck erhärtet sich, dass die neue Variante eher die oberen als die tieferen Atemwege betrifft. Das könnte etwas häufiger zu symptomatischen Infektionen führen, weil die Atemwege bei Kindern enger sind als bei Erwachsenen, aber das ist nicht besorgniserregend. In England scheint sich abzuzeichnen, dass es vielleicht etwas mehr Aufnahmen im Krankenhaus mit allerdings kürzeren Verweildauern gibt.

Auch die Gefahr von Long Covid oder dem Entzündungssyndrom PIMS beunruhigt Sie nicht?

Wir haben bei Kindern noch immer kein genaues Bild zu Long Covid. Außer Frage steht, dass es Long COVID auch bei Kindern und Jugendlichen gibt , eher bei Teenagern als bei kleineren Kindern. So sehen wir etwa jugendliche Leistungssportler, die nach der Infektion kaum mehr Treppen steigen können. Aber die Frage, ob das Virus oder die Pandemie mit all ihren Maßnahmen bestimmte Folgen herbeigeführt hat, ist gerade bei Klein- oder Grundschulkindern vielschichtig und noch schwieriger zu beantworten als bei Jugendlichen oder Erwachsenen. Auch deswegen liegt bisher keine wirklich belastbare Zahl zur Häufigkeit von Long-Covid-Fällen bei Kindern vor. Ein gravierendes Risiko insbesondere für junge Kinder sehe ich aber bislang nicht. Bei PIMS haben wir einen besseren Überblick: in unserem bundesweiten Register sind seit Beginn der Pandemie 569 Fälle gemeldet. Das ist ein durchaus schweres Krankheitsbild, oft müssen die Kinder auf der Intensivstation versorgt werden, aber glücklicherweise ist es sehr selten und wir wissen es mittlerweile gut zu behandeln.

Wie sind vor diesem Hintergrund die Eindämmungsmaßnahmen zu bewerten, über die Bund und Länder am Montag wegen der hochschnellenden Infektionszahlen wieder beraten?

Was mir am Herzen liegt: Es gibt hunderttausende Kinder, die jetzt in die dritte Klasse kommen, und die noch kein normales Schuljahr erlebt haben! Oder noch kein normales Kita-Jahr! Daher habe ich eine große Bitte an die Politik. Auch in der Omikron-Welle muss das Wohl der Kinder im Blick bleiben, darf es nur als allerletztes Maßnahmen wie Schul- oder Kitaschließungen geben, die bei den Jüngsten oft mehr Schaden anrichten statt ihnen zu helfen, auch langfristig gut durch diese Pandemie zu kommen. Auch das Sporttreiben in Vereinen, die gemeinsamen Freizeit- und Kulturerlebnisse dürfen nicht noch einmal unterbunden werden. Neben der körperlichen muss auch die seelische Unversehrtheit der Kinder oberste Priorität haben.

Fällt nicht in der Realität landauf landab schon wieder Unterricht aus, weil Schulkinder nach einzelnen Corona-Fällen heimgeschickt werden?

Die Frage ist: Dient die Quarantäne den Kindern? Die Antwort ist, in der Regel nein, nicht den Kindern selbst. Die De-facto-Schließungen von Kitagruppen und Schulklassen gehen ja nicht auf schwere Verläufe bei den Kindern zurück, sondern auf Quarantäne von nicht infizierten Mitschülern zum Schutze von Erwachsenen, die eigentlich geimpft sein könnten. Wird daran festgehalten, führt das in der Omikron-Welle schon wieder zu einem dramatischen Ausfall an Unterricht, Erziehung und sozialer Teilhabe. Deswegen: Quarantäne für Kinder und Jugendliche sollte mit Augenmaß betrieben werden. Dann wird zwar vielleicht die ein oder andere Ansteckung nicht verhindert. Im Vergleich zu den Folgen, die die Quarantäne auslöst, kann und muss das aber nach meiner Überzeugung in Kauf genommen werden. Das Festhalten an der Quarantäne angesichts der vergleichsweise geringen Gesundheitsgefährdung für die Kinder selbst ist aus Sicht der Kinder und betroffenen Familien nicht mehr verhältnismäßig.

Eine strenge Quarantäne-Pflicht wurde von den meisten Ländern bereits aufgehoben. Oft sind es besorgte Erzieher oder Lehrkräfte, die Eltern drängen, ihre Kinder daheim zu lassen…

Es wird Einzelfälle geben, in denen Einrichtungen mit Grund strenger vorgehen, als von den Behörden vorgegeben. Das ist auch in Ordnung so. Es darf aber nicht sein, dass Erzieher oder Lehrkräfte die Verordnungen der Länder je nach persönlicher Besorgtheit individuell auslegen. Daher mein Appell an die Verantwortlichen in den Einrichtungen: Behalten Sie die Kinder bei sich, so lange es geht!

Auch dann, wenn die Kinder nicht jeden Tag getestet werden können, etwa, weil es an Tests fehlt?

Bei Aufhebung der Quarantäne sollten die Kinder drei Mal die Woche getestet werden. Jeden zweiten Tag, das wäre aus meiner Sicht zumutbar und ausreichend sicher. Auch hier ist es eine Abwägung.

Dürfen Gesundheitsämter von Kitas verlangen, den Impfstatus der Kinder abzufragen und den Behörden zu melden, um davon die Quarantänepflicht abhängig zu machen?

Nach meiner Überzeugung müssen wir bei den Kindern Geimpfte und Ungeimpfte gleichbehandeln. Die Ständige Impfkommission sagt, Kindern, die sich selbst oder deren Eltern sich gegen eine Impfung entscheiden, darf deswegen kein Nachteil entstehen. Ich stehe zu 100 Prozent hinter dieser Empfehlung.

Der Präsident des Berufsverbands der Kinderärzte Thomas Fischbach pocht auf eine schnellstmögliche Impfpflicht für Erwachsene, damit Kinder nicht länger unter Beschränkungen leiden müssen, die nur dem Schutz ungeimpfter Erwachsener dienen. Stimmen Sie zu?

Es stimmt, dass sehr vieles, was den Kindern zugemutet wird, dem Schutz der Erwachsenen dient und nicht den Kindern selbst. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Pandemie kaum Aufmerksamkeit genießen würde, wenn nur Kinder betroffen wären. Der Alarm kommt durch die Gefahr für Erwachsene.

Sind Sie dann für die Impfflicht ab 18?

Ich persönlich bin ein großer Befürworter der Impfung, aber gegen eine allgemeine Impfpflicht. Der Effekt wäre nach meiner Einschätzung begrenzt, man erreicht die Bequemen und die Zauderer, aber überzeugt nicht die Gegner. Auch die Umsetzung wäre extrem schwierig; die Debatten darüber beginnen ja bereits. Dafür würden die hitzigen Diskussionen in Familien, Freundeskreisen oder Belegschaften noch weiter verschärft. Daher halte ich persönlich wenig von den Rufen nach der Impfpflicht und noch weniger von ihrer Einführung.

Was wäre die Alternative?

Man müsste noch viel mehr tun, um niederschwellige Angebote zu machen und Kampagnen so zu intensiveren, dass sie auch diejenigen erreichen, die weiter entfernt sind von den traditionellen Kommunikationswegen. Vieles ist hier bereits auf dem Weg. Es spricht auch nichts dagegen, öffentlich über die Voraussetzungen für eine Impfpflicht zu debattieren. Ja, sie könnte sinnvoll und notwendig sein, wenn Corona noch gefährlicher werden würde; und man muss dafür nicht erst Vergleiche mit Pocken oder Ebola bemühen. Aber so lange es dafür keine Anzeichen gibt, so lange hilft uns die Impfpflicht meines Erachtens insbesondere mit Blick auf die gesellschaftliche Bewältigung der Pandemie nicht den entscheidenden Schritt weiter.

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