Schleswig-Holstein

Schon 12.000 Besucher sahen polarisierendes KI-Kunstprojekt in Tating

Schon 12.000 Besucher sahen polarisierendes KI-Kunstprojekt in Tating

Polarisierendes KI-Kunstprojekt: Schon 12.000 Besuchende

Jens Mende/shz.de
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Pastor Michael Goltz von der Kirchengemeinde Sankt Peter-Ording und Tating stellte sich den vielschichtigen Reaktionen auf das KI-Kunstprojekt. Foto: Jens Mende

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„Das ist der Leibhaftige“ oder „Das ist Kirche auf der Höhe der Zeit.“ Die Reaktionen auf die künstliche Intelligenz, die seit Juli in der St. Magnus-Kirche in Tating zu bestaunen ist, sind vielfältig. Shz.de hat hingehört.

Selten hat auf Eiderstedt ein Kunstprojekt so polarisiert wie die Ausstellung „Vater, Sohn und künstliche Intelligenz“. In der St. Magnus-Kirche im kleinen Örtchen Tating nahe Sankt Peter-Ording hat eine künstliche Pastorin seit Anfang Juli rund 5000 Segen gesprochen und Predigten gehalten. Es geht bei der ungewöhnlichen Ausstellung um eine virtuelle Pastorin, den Glauben, die Angst und auch um den Mut, eine neue Kirche zu präsentieren.

Pastor Goltz: Reaktionen lauter und empörter

„Ja, es hat provoziert. Kritische Stimmen hatte es auch schon bei den Ausstellungen in den Jahren zuvor gegeben. Diesmal waren sie lauter und empörter“, verrät Michael Goltz. Der Pastor hat „deutlich persönlichere Sachen um die Ohren bekommen“, von „ekelhaft“ bis „das ist der Leibhaftige“. Aber es gab auch viele positive Reaktionen: So war zu hören und zu lesen von einer „Kirche auf der Höhe der Zeit“ oder von einer „mutigen“ Auseinandersetzung mit einem hochaktuellen Thema in einem alten Raum.

Die älteste und größte Kirche auf Eiderstedt war schon vor mehr als 900 Jahren zunächst als hölzerne Kapelle entstanden. „Das hätte ich vielleicht in Berlin-Mitte erwartet, aber nicht in diesem kleinen Kaff“, kommentierte eine Besucherin das Kunstprojekt, das tief in religiöse Gefühle eingreift, aber auch eine große gesellschaftliche Umwälzung aufgreift. Schon 12.000 Besucher ließen sich laut Goltz auf die spezielle Auseinandersetzung ein.

Ziel: Sich mit von Ängsten begleitetem Thema auseinandersetzen

Die Ausstellung trifft den Kern der Kirche, den Segen. „Deshalb ist es sehr emotional“, sagt Goltz. Segen sprechen sei eine seiner Hauptaufgaben. Helfen, heilen, gute Worte finden. „Die Frage ist, funktioniert das auch anders?“ Das Schlimmste sei doch die Gleichgültigkeit. Da könne er auch mit Stimmen leben wie: „Pastor, bist du bekloppt, das geht doch nicht.“

Das Ziel der Ausstellung, sich mit so einem von vielen Ängsten begleiteten Thema wie der künstlichen Intelligenz auseinandersetzen, sieht der Pastor erfüllt. Viele Besucher fühlten sich animiert, über Dinge nachzudenken und zu debattieren. Das habe er in 24 Jahren als Pastor noch nie in so einer komprimierten Form erlebt. Es gehe ja auch darum, Nachdenklichkeit zu wecken. „Das kann ich in dieser Form mit keiner Sonntagspredigt erreichen“, meint Goltz.

KI kann Platt – und ist manchmal überfordert

An der Stelle schaltete sich die künstliche Pastorin, die als eine Art Avatar auf einem großen Bildschirm mitten auf dem Altar platziert ist, tatsächlich in unser Gespräch ein: „Glaube ist, was nicht rational erklärbar ist. Manche finden im Glauben Trost und Erfüllung, andere stützen sich auf rationale Beweise. Glaube und Rationalität müssen nicht im Konflikt miteinander stehen.“ Offenbar hatte uns die KI „belauscht“. Das Prinzip der Ausstellung: Über ein Mikrofon kann jeder Besucher mit der von der Hamburger Künstlerin Kasia Kohl „erschaffenen“ künstlichen Intelligenz kommunizieren. Die recherchiert dann in Tausenden Quellen im Internet und formuliert einen Antwort , einen Segen oder sogar eine ganze Predigt.

Die KI hat dazugelernt in den drei Monaten in der Tatinger Kirche, kann jetzt sogar ein wenig auf Plattdeutsch schnacken. Aber sie wird dadurch auch langsamer. Und das führte zu einigen technischen Problemen. „Wenn zu viele Leute gefragt haben, war sie überfordert“, berichtet der Pastor von der evangelischen Kirchengemeinde Sankt Peter-Ording und Tating. Und die künstliche Intelligenz stürzte einfach ab. „Das finde ich sehr beruhigend“, hinterließ ein Besucher:

Viele Einheimische seien zwei-, dreimal allein oder mit ihren Kindern und Enkeln in die kostenlose Ausstellung gekommen, die noch bis Ende Oktober zu sehen ist. Anders als die vielen Touristen hätten sie gewusst, was sie an diesem Ort erwartet, sagt Goltz. „Kunst in der Kirche“ präsentiert sich in der kleinen Gemeinde Tating bereits zum sechsten Mal, will dabei Digitales und Sakrales in einen Dialog bringen. Die aktuelle Ausstellung wird mit finanziert und unterstützt von der evangelischen Kirche in Deutschland (der EKD), dem Kirchenkreis Nordfriesland, der NOSPA Stiftung und dem missionarischen Verein Andere Zeiten.

Manchmal sagte die KI auch: „Ich bin eine Maschine“ und forderte die Besucher auf, persönliche Erfahrungen zu machen. Laut Kuratorin Kohl sollte die Ausstellung ganz bewusst einen Werte-Unterschied zwischen Maschine und Mensch deutlich machen. Künstliche Intelligenz ist Chance und Gefahr zugleich. „Man kann sie missbrauchen, das macht auch mir Angst“, betont Goltz. Gefährlich sei es, wenn man nicht mehr genau wisse, was ist Realität und was KI. „Die Gratwanderung wird bleiben. Man sollte das nutzen, was gut ist. Und die Augen aufmachen bei den Dingen, die nicht gut sind“, ergänzte der 56-Jährige. Fürsorge, Menschlichkeit, Emotionalität, Dankbarkeit könne keine KI ersetzen.

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