Krieg in der Ukraine

„Die Selbstzerstörung traue ich Putin nicht zu“

„Die Selbstzerstörung traue ich Putin nicht zu“

„Die Selbstzerstörung traue ich Putin nicht zu“

SHZ
Kiel
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Alexander Trunk (li) im Oktober 2021mit dem Zivilrechtsprofessor Roman Majandyk an der Taras-Schevchenko-Universität in Kyjiw. Foto: privat

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Der Kieler Professor für osteuropäisches Recht, Alexander Trunk, über den Ukraine-Krieg, die historischen Verbindungen zwischen beiden Ländern und Putins weitere Optionen.

Herr Trunk, Wladimir Putin hat vor seinem Krieg gegen die Ukraine seine Argumentationslinien auch in der russisch-ukrainischen Geschichte gesucht. Warum macht er das, bevor er Völkerrecht bricht?

Ich denke, diese Argumentation war als Legitimation nach außen gedacht, aber auch für sein eigenes Volk. Da trifft er in Teilen ja auch auf Verständnis.

 

Wie eng ist denn die historische Verbindung zwischen der Ukraine und Russland?

Nun, Russland, Weißrussland und die Ukraine haben eine gemeinsame historische Entwicklungslinie, die weit bis ins Mittelalter zurückreicht. Dieses Reich, die Kiewer Rus, ist durch Erbstreit und den Ansturm der Mongolen zerfallen. Trotzdem löst es bei vielen Russen immer noch Erinnerungen an eine glorreiche Zeit aus, vielleicht ist das vergleichbar mit dem Blick der Franzosen und Deutschen auf Karl den Großen. Und dann ist da noch die enge emotionale und familiäre Bindung zwischen Russland und der Ukraine, die natürlich ganz von allein entsteht, wenn zwei große Länder über mehrere Jahrhunderte verbunden waren. Putin sieht beide Länder als eine Nation, aber daraus Argumente auf einen völkerrechtswidrigen Krieg abzuleiten, ist natürlich absurd.

Zumal er jetzt das Land mit Bomben und Granaten überzieht, das nach seiner Argumentation die historische Wiege Russlands ist.

Dass ist tatsächlich besonders perfide, weil er anfangs ja mit dem Schutz der russischsprachigen Bevölkerung argumentiert hat – und jetzt sterben da Tausende. Aber leider ist es in der geschichtlichen Betrachtung nicht das erste Mal, das ein historisches Gefühl von Zusammengehörigkeit von verbrecherischen, revisionistischen oder expansionistischen Politikern benutzt wird.

 

Waren Sie als Kenner der Region ebenso überrascht von dem Angriff wie der Rest der Welt?

Ja, das war ich. Ich habe mich immer wieder mit Kollegen über die Situation unterhalten, auch als sich der Konflikt und die Rhetorik zugespitzt haben: Keiner hat sich vorstellen können, dass es zu einer Invasion kommt.

Es gibt Stimmen, die sagen, der Westen hätte den russischen Unmut über die Entwicklung der Nato ernster nehmen müssen.

Wenn man eine Großmacht in der Nachbarschaft hat, die militärisch stark und wirtschaftlich schwach ist, sollte man immer genau zuhören, was deren politische Führung sagt. Die Kritik an der Ostausdehnung der Nato ist ja nicht neu und auch wenn es diesbezüglich keine schriftliche Vereinbarung gibt, existieren Dokumente, die belegen, dass über dieses Thema gesprochen wurde. Mit welchem Grad an Verbindlichkeit, ist dann Auslegungssache. Das fällt dem Westen jetzt auf die Füße, weil man immer der Meinung war, die wirtschaftliche Entwicklung sei Russland wichtiger als die geopolitische.

 

Diese Annahme war ja nicht unbegründet. Wann hat sich dieser Fokus verschoben?

Es gab eine Reihe von rhetorischen Konflikten, in denen deutlich wurde, dass globale Entwicklungen zwischen Ost und West unterschiedlich bewertet werden. Man kann davon ausgehen, dass Putin und seine Gefolgschaft das Gefühl hatten, zunehmend in Richtung einer militärischen Option gedrängt zu werden. Da geht es dann irgendwann um Gesichtswahrung, auch vor den eigenen Leuten.

Das klingt nicht danach, als wäre eine zeitnahes Ende dieses Krieges möglich.

Der Schlüssel dazu liegt bei den Verhandlungen zwischen der ukrainischen und russischen Seite. Das zentrale Thema ist und bleibt die Neutralität der Ukraine. Wichtig ist jetzt, dass die Eskalationsspirale durchbrochen wird. Wenn die westlichen Verbündeten die Ukraine mit immer neuen Waffenlieferungen zum Widerstand ermutigen, aber selbst nicht militärisch eingreifen, wird das viele, viele Menschenleben auf beiden Seiten kosten. Schon jetzt sind zahlreiche Familien in der Ukraine und in Russland betroffen, auch viele Freundschaften über die Grenzen hinweg werden zerstört – dieser Krieg zerschneidet Seelen. Deshalb brauchen wir einen schnellen Frieden am Verhandlungstisch, auch wenn ich fürchte, dass der überwiegend zu den russischen Bedingungen ausgehandelt wird.

Für wie realistisch halten Sie das Szenario eines Einsatzes nuklearer Waffen?

Wenn die Nato-Staaten sich an den Kampfhandlungen beteiligen, steigt es. Aber derzeit sehe ich das nicht, denn die Gefahr ist bekannt. Putin glaubt zwar, dass er härter ist alle anderen Staatsmänner und -frauen dieser Welt und Menschenleben bedeuten ihm nicht viel, aber die Selbstzerstörung traue ich ihm nicht zu.

In Russland haben 7000 Wissenschaftler einen Brief gegen Putins Krieg unterzeichnet, gleichzeitig werden Forschungskooperationen mit Russland auf Eis gelegt. Wie bewerten Sie das?

Ich bewundere den Mut der Kollegen. Umso mehr würde ich mir wünschen, dass wir die Verbindungen in die russische Gesellschaft nicht abbrechen. Viele Wissenschaftler in Russland stehen Putin kritisch gegenüber. Und was ist mit den jungen Russen, die hier bei uns seit Jahren forschen und promovieren? Müssen die gehen? Wir stecken im künftigen Umgang mit Russland in einem echten Dilemma, aber ich würde davon abraten, die Brücken ganz abzubrechen. Das wäre nicht nur im großen Feld der Klimapolitik keine gute Idee.

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