Dreharbeiten in Nordfriesland
Am Set von „Mittagsstunde“: Mein erstes Mal als Komparse
Am Set von „Mittagsstunde“: Mein erstes Mal als Komparse
Am Set von „Mittagsstunde“: Mein erstes Mal als Komparse
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Seine Haare schneiden durfte unser Kollege Rüdiger Otto von Brocken nicht: Dörte Hansens Bestseller spielt ja vor allem in den 1960er und 1970er Jahren. Wie sein Einstand als Komparse am Set verlief, beschreibt er hier.
„Bloß nix mehr mit den Haaren machen“, gibt mir die zweite Regieassistentin vor der Fahrt nach Wöhrden (Kreis Dithmarschen) zu verstehen. Die Anweisung kommt direkt aus der Maske und hat ihren Grund: „Sie sollen eine historische Figur verkörpern“, sagt Josefine und lässt mich für einen Augenblick darüber nachdenken, ob wir hier von ein und demselben Film sprechen.
Bin ich womöglich gar nicht als Komparse für „Mittagsstunde“ vorgesehen? Oder habe ich Dörte Hansens Roman falsch in Erinnerung? Der spielt – von gelegentlichen Ausflügen in die Zeit der monolithischen Revolution abgesehen – doch vor allem in den 1960er und 1970er Jahren, gebe ich zu bedenken. „Ja genau“, erwidert Fine unbeeindruckt, „Sag' ich doch: Sie spielen eine historische Figur.“ So richtig will der Groschen erst fallen, als ich Josefin später persönlich kennen lerne. Für eine junge Frau wie sie muss ich tatsächlich schon sehr „historisch“ sein.
Zum Glück kein Text
Aber der Reihe nach: Als ich in der Zeitung las, dass für die Verfilmung der „Mittagsstunde“ Komparsen gesucht würden, dachte ich nicht im Traum daran, mich zu bewerben. Meine Frau dagegen schon. Und ich vermute nicht nur edle Motive dahinter. Im Stillen hat sie sich wahrscheinlich vorgestellt, wie ausgerechnet ihr bekennender Tanzbär für eine Szene in der Line-Dance-Gruppe des Romans ausgewählt wird. Puh, das ging gerade noch mal gut, aber mitmachen darf ich –- nach kurzem Ferncasting – dennoch.
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Nicht auf Herz und Nieren, dafür jedoch auf Konfektionsgröße, lichte Höhe (vom Scheitel bis zur Sohle und von der Hacke bis zum großen Zeh etc.) geprüft, wird mir auch gleich ein möglicher „Verwendungszweck“ angetragen: „Es gibt da eine Szene, da müssen Sie eine Schubkarre durchs Bild schieben“, erläutert Fine. Ich muss an die Anekdote eines ehemaligen Lehrers denken, der wegen seiner besonderen Fertigkeiten als Pferdeflüsterer Komparse in einem Reiter-Film wurde. Am Ende sollte er einen Hügel hinauf galoppieren und einen Satz in den Wind sprechen – nicht viel, nur vier, fünf Worte. Doch just da verließen sie ihn. Und nach dem siebten Versuch wurde sein Wortbeitrag synchronisiert. Das kann dir nicht passieren, freue ich mich; bis mir einfällt, dass ich gar keinen Text habe. Es könnte also noch schlimmer kommen.
Idyllisch nach Wöhrden
Schon die morgendliche Fahrt nach Wöhrden, das im Film zum Romandorf Brinkebüll wird, ist filmreif. Über den Feldern wabert dichter Frühnebel, aus dem gelegentlich der schwarz-weiß gescheckte Kopf eines Rindviechs hervorlugt. Es ist kaum eine Hand vor Augen zu sehen. Und aus irgendeinem Grunde expediert mich der Leitstrahl meines Navigationsgerätes von der B5 auf einen mäandernden Feldweg, der mich ein paar Kilometer und diverse Adrenalin-Schübe später auf die Hauptstrecke zurückgeführt.
Nach Wöhrden (der Drehort wurde bis zuletzt geheim gehalten), sind es erfreulicherweise nur noch zwei, drei Minuten. Aber reinfahren ist nicht, die Ortsdurchfahrt gesperrt. Überall stehen Security-Leute herum, lassen niemanden durch. Wie soll ich jetzt zum Drehort kommen? Bin eh schon spät dran. Da entdecke ich linker Hand ein Firmengelände mit auffallend vielen schneeweißen neuen und einem ganzen Fuhrpark ebenso auffallend alter Fahrzeuge.
Erstmal ein Corona-Test
Das wird doch nicht...? Braucht es nicht, es ist die Werkstatt von Floridafilm, dem Studio um Regisseur Lars Jessen, das „Mittagsstunde“ produziert. Von hier aus begibt sich der ganze Tross Szene für Szene zum Dreh ins Herz von Brinkebüll alias Wöhrden. Bis dahin ist es zwar nur ein Katzensprung, aber doch ein weiter Weg. Also erst mal orientieren, was mir insofern leicht fällt als mich Fine dank meiner Bewerbungsmail wiedererkennt. „Du bist Rüdiger?“, fragt sie rhetorisch, um mich danach sogleich durch die hohe Schule professionell organisierter Dreharbeiten in Zeiten der Pandemie zu schleusen.
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Die beginnt mit einem Corona-Test vor der offenen Werkhalle. Danach gehe ich an einem halben Dutzend Filmwagen, auf denen die Namen der Romanfiguren zu lesen sind und an der mobilen Kostümausgabe vorbei zur Maske. Die Frage, wie viele Leute er heute schon in die 70er zurückversetzt habe, beantwortet der Maskenbildner mit einem Achselzucken: „Viele, hab' aufgehört, mitzuzählen. Die Koteletten bitte nicht abreißen!“, gibt er mir noch mit auf den Weg. Die seien handgeknüpft und unsachgemäße Behandlung ein Sakrileg.
Wohin mit dem Rucksack?
Bevor er mich mit besagten Koteletten, professionell zerzausten Haaren und geschwärztem Blaumann, den mir die Theatergruppe Ramstedt geliehen hat in die Film-Historie entlässt, muss allerdings noch allerhand Papierkram erledigt werden. Was ich mit dem Durchschlag meines Komparsenvertrages machen soll, frage ich Fine. Die lächelt verschmitzt und antwortet: „Wegwerfen oder einrahmen, je nachdem, was er Dir wert ist.“ Ich packe ihn vorsichtshalber in den Rucksack.
Aber wohin jetzt mit dem? Das Set soll sinnigerweise möglichst „sauber“ bleiben, damit nachher nicht Dinge im Bild sind, die da nicht hingehören oder schlimmer noch: nicht aus der Zeit stammen, in der die Szene spielt. Ich lasse den Rucksack in der Garderobe und gehe zur Eingangshalle zurück. Doch warten bereits andere „historische Gestalten“. Einige Komparsen sind schon zum siebten oder achten Mal für „Mittagsstunde“ im Einsatz, erfahre ich. Andere haben vor Jahren Lunte gerochen und sich bei mehreren Komparsen-Agenturen eintragen lassen.
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Mit teilweise bemerkenswertem Erfolg: Wolf zum Beispiel, ein Steuerberater aus Schleswig, hat in mehr als 100 Film- und Fernsehproduktionen mitgewirkt und sogar schon Angebote ablehnen müssen, weil es zu viele wurden.
Plötzlich erscheint Fine in der Halle, wo wir bei Wasser und belegten Brötchen auf unseren Einsatz warten. „Es geht los“, sagt sie und bittet uns, ihr zu folgen.
Zurück in die 70er
Mit jedem Schritt auf dem Weg zum Set geraten wir ein Stück tiefer in die Romanhandlung hinein. Hinter der nächsten Kurve ist es dann soweit: Ein Eriba-Wohnwagen der ersten Stunde neben der Bäckerei, die knallgelbe Telefonzelle, der prustende VW Käfer, aber auch der Lebensmittelladen mit dem Aushang „Husumer Korn - 40 Prozent, Fl. 0,75 Liter, 8,90 DM“ machen deutlich, dass wir nach nur 200 Metern in den 1970er Jahre angekommen sind. Die aufwendige Kamera- und Tontechnik ringsherum und das emsige Treiben der Crew bilden dazu einen seltsamen Gegensatz – wie die Kehrseite einer Medaille. Aber in gewisser Weise sind sie das ja auch.
Langmut und Geduld – das seien die wichtigsten Tugenden eines Komparsen, erklärt mir Rolf, der aus Flensburg hergekommen und im Vergleich zu Wolf noch ein Laiendarsteller-Novize ist, während wir auf unsere Rollen-Verteilung warten. Darauf, es einmal als Komparse zu versuchen, hat den ehemaligen Piloten seine Reinmacherfrau gebracht.
Dann ist die Schubkarre weg
Ein paar Minuten später werde ich erfahren, dass Wolf eine weitere wichtige Tugend des Komparsen unterschlagen hat. Er darf nicht zart besaitet sein. Beherzt verteilt Regieassistentin Cecile Heisler-Zigulla die Laiendarsteller im Brinkebüller Straßenbild. Und ehe ich mich versehe, schiebt ein anderer mit „meiner“ Schubkarre ab. Überhaupt sind plötzlich alle um mich herum verschwunden, nur ich bin noch da. Fine bemerkt meinen verstörten Blick und schenkt mir ein Lächeln der Marke „Das wird schon“.
Dann dreht Cecile eine letzte Runde und hält plötzlich inne: „Der da hinten sieht für die Rolle viel zu intellektuell aus“, sagt sie, ohne dass es für ihre Worte einen erkennbaren Adressaten gibt. Dann schaut sie kurz auf, sieht mich und befindet: „Geh' Du da mal rüber!“ Ich tue, wie mir geheißen wurde und stoße zu Wolf. Gemeinsam sollen wir an einem alten Mercedes herumfummeln, der nicht anspringen will. Als ich ihm erzähle, wie ich zu dieser Rolle gekommen bin, ist er genauso amüsiert wie ich und bemerkt lakonisch: „Na ja, Kleider machen eben Leute.“ Ich schaue auf meinen eingeschwärzten Blaumann, die fiktional verschmutzten Gummistiefel und denke: genau.
Erstmal abwarten
Minuten vergehen. Wir stehen herum. Geduld und Langmut. Dann ist plötzlich Ceciles kräftige Stimme zu hören: „So, Achtung, wir drehen“, ruft sie und Sekunden später heißt es „Ton und Kamera ab“. Wolf und ich hatten noch keine Gelegenheit, uns in die zugedachte Rolle hineinzuversetzen. Und obwohl es hier nicht um uns, sondern um Marret „Unnergang“ geht, ist Cecile nicht unbemerkt geblieben, dass Wolf und ich viel zu inaktiv sind. „Nicht nur reden. Ihr seid die ganze Zeit im Bild, also etwas mehr Action, bitte“, sagt sie im Vorbeigehen. Kurz zuvor hatte sie „in der Totalen“ noch ein paar Plakate zur Bundestagswahl entdeckt und abnehmen lassen.
Unnergangs-Szene
Wir sind Gottseidank noch da. Gebannt schauen wir zu, mit welcher spannungsgeladenen Ruhe das Team nichts dem Zufall zu überlassen scheint. Ganz allmählich beschleicht uns das Gefühl, Teil von etwas Größeren zu sein. Das ist mehr, als ich als Film-Frischling erwartet hatte. Als ich mich unter den Wagen bücke und so tue, als würde ich prüfen wollen, ob der Motor Öl verliert, reißt ein Hosenknopf. Sofort ist jemand da, um den Blaumann mit einer Sicherheitsnadel wieder zusammenzuflicken. Unterdessen wird die Szene, in der Marret (mit Gro Swantje Kohlhof bestens besetzt) ein paar Frauen im Dorf erklärt, dass die Welt untergeht, bereits in der dritten Einstellung gedreht. Erbarmungslos tickt die Uhr der Mittagspause entgegen. Aber eine Szene muss vorher noch in den Kasten. Also weiter im Bild.
Während des Umbaus kommt Rolf zu uns herüber und zeigt uns ein Foto von seinem Vater auf einem alten Traktor. Er sei richtig gerührt gewesen, als er für die „Unnergangs-Szene“ selbst auf einen Traktor steigen und an seinen alten Herrn habe denken müssen. Inzwischen hat mir Fine erklärt, dass es nach dieser Szene „für mich nichts mehr zu tun gibt“.
Für die 1970er Jahre hatte ich klare Order, ja die Finger von meinen Haaren zu lassen. Doch am Nachmittag wird es noch historischer, sind die 1960er Jahre dran. Und dafür ist meine Matte wieder zu lang.
Begegnungen am Set
Plötzlich holt mich Gelächter aus den Pausen-Gedanken. Es kommt von Wolf und Rolf, denen ich mich kurz zuvor als Reporter der Zeitung zu erkennen gegeben habe. Bei dieser Gelegenheit hört Rolf den Nachnamen seines Kollegen und fragt, ob er mit dem früheren Stadtpräsidenten von Flensburg verwandt sei. „Ja“, antwortet Wolf Laturnus, das sei sein Vater. „Gibt's ja nicht!“, entfährt es Rolf Jöns, „dann kennst Du ja sicher auch Timo?“ Wolf antwortet abermals mit „Ja.“ „Das ist mein Schwager“, sagt er. „Mmh“, lässt Rolf den Kollegen einen Augenblick zappeln. „Und mein Cousin“, sagt er dann. „Das ist Schleswig-Holstein“, fassen die zwei die ungeahnte Anhäufung von Zufällen zusammen. Und: „eine typische Begegnung am Set. Da triffst du immer interessante Leute.“ Wie wahr. Aber jetzt ist erst mal Mittagspause und danach Mittagsstunde – jedenfalls für mich.