Interview

So bewertet die Kappelner Logopädin Anke Christensen die Folgen der Corona-Maske

So bewertet die Kappelner Logopädin Anke Christensen die Folgen der Corona-Maske

So bewertet Logopädin die Folgen der Corona-Maske

SHZ
Kappeln
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Aus Sicht der Logopädin könnten die Folgen des Tragens eines Mund-Nase-Schutzes noch kommen. Foto: imago stockamp;people/shz.de

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Welchen Einfluss hat die Corona-Maske auf die Sprachbildung? Die Kappelner Logopädin Anke Christensen berichtet dazu von ihren Erfahrungen und wirft einen Blick auf das, was noch kommen könnte.

Seit knapp zwei Jahren beherrscht das Coronavirus den Alltag der Menschen. Fast genauso lange ist die richtige Mund-Nase-Bedeckung Thema. Aber wenn Menschen mit Maske miteinander reden, kann eine Menge auf der Strecke bleiben. Vor allem die sprachliche Entwicklung von Kindern leidet durch die Pandemie. Die Kappelner Logopädin Anke Christensen erklärt im Interview mit dem Schlei Boten, wie viel Einfluss die Maske auf Spracherwerb und Aussprache haben kann.


Frau Christensen, seit Beginn der Pandemie tragen die Menschen den Mund-Nase-Schutz. Das sind jetzt fast zwei Jahre. Haben Sie seitdem schon eine Veränderung an Ihren Patienten feststellen können?

Anke Christensen: Nein, das kann ich nicht sagen. Ich kann jetzt nur von den Kindern sprechen, die eine Lautbildungsstörung haben. Diese Kinder sind meistens so vier oder fünf Jahre alt, wenn sie zu uns kommen. Der Lauterwerb ist in etwa mit vier Jahren abgeschlossen, dann feilt man noch etwas an der Grammatik, aber zum Termin der Einschulung ist der Prozess weitestgehend zu Ende.

Aber welche Rolle spielt die Mimik für Kinder?

Eine große Rolle. Babys zum Beispiel lernen ihre Welt nur durch Mimik kennen. Es gibt das bekannte Still-face-Experiment des Amerikaners Edward Tronick. Dabei reagiert die Mutter mit einem ausdruckslosem Gesicht und die Kinder werden dann unsicher, ängstlich und fangen an zu weinen, weil die Reaktion des Gegenübers ausbleibt.

Und bei älteren Kindern?

Auch da ist die Mimik sehr wichtig. Wenn die Kinder zum Beispiel das erste Mal in die Praxis kommen, lächle ich sie natürlich an. Das erste Gespräch wird viel durch eine lebhafte Mimik unterstützt. So zeigt man, dass man ein offener, kontaktfreudiger Mensch ist. Und wenn ich in der Situation einen Mund-Nase-Schutz trage, denke ich, können die Kinder allein die Augen noch nicht so gut einschätzen. Sich allein auf Augen und Lachfältchen konzentrieren, damit haben sie häufig Schwierigkeiten.

Was bedeutet also die Maske für die Lautbildung?

Der letzte Laut ist zum Beispiel bei einige Kindern das S-C-H. Das können viele nicht bilden, weil da die Lippenrundung und der Einsatz der Zungenschüssel fehlt. Sie setzen dafür oft das S ein. Und wenn Kinder den Laut erlernen sollen, brauchen sie das Mundbild von ihren Eltern, aber auch von den Erzieherinnen und Erziehern in der Kita, die ja auch Maske tragen müssen. Da sind Kinder häufig die meiste Zeit des Tages. Es ist für sie schwierig, das rein auditiv zu unterscheiden.

Und mit solchen Problemen kommen Kinder zu Ihnen?

Ja, wenn so etwas nicht logopädisch behandelt wird oder Kinder eine auditive Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstörung entwickelt haben, dann sind ähnlich klingende Laute ganz schwer für sie zu unterscheiden. Das ist dann für die Schulkinder ganz schwer. Es zieht sich so bis ins Grundschulalter. Ich schätze also, dass wir jetzt, nach zwei Jahren, die Anfänge der Folgen des Tragens vom Mund-Nase-Schutz zu spüren bekommen werden.

Kann der fehlende Blick auf die Mimik auch Einfluss haben, wie ein Mensch Empathie entwickelt?

Empathie empfinden Kinder ja erst ab einem bestimmten Alter, ich schätze etwa mit drei Jahren, vielleicht aber auch schon früher. Da möchte ich mich nicht festlegen. Dann spielt natürlich mit rein, wie die Bezugspersonen, Eltern oder Erzieher, damit umgehen, wenn zum Beispiel jemand weint. Mit der Maske hat das aber nicht zwangsläufig etwas zu tun.

Ist der Mund-Nase-Schutz hinderlich beim Erlernen einer Fremdsprache?

Das kann ich nicht beurteilen. Da ist natürlich auch die Lehrerin oder der Lehrer gefragt, der erklären muss, dass zum Beispiel beim TH die Zunge etwas durch die Zähne guckt. Aber dann muss die Lehrkraft das eben sprachlich begleiten.

Wer eine Maske trägt, wird schlechter verstanden, weil der Stoff den Schall schluckt. Aber spricht man unter einer Maske tatsächlich auch anders?

Ich habe die Erfahrung mit älteren Kindern und Jugendlichen gemacht, dass sie manchmal sehr undeutlich sprechen. Ich habe den Eindruck, die Maske wirkt für sie wie ein Schutzschild gegen deutliches Sprechen. Da wird einiges weg genuschelt. Wenn die Maske ab ist, ist es nicht mehr so. Aber das passiert auch bei Erwachsenen.

Gibt es etwas, was Ihnen in den vergangenen zwei Jahren besonders aufgefallen ist?

Anke Christensen: (lacht) Es gibt tatsächlich etwas. Alle Kinder, selbst die ganz kleinen, die noch nicht richtig sprechen, können das Wort „Corona“ sagen. Und vor allem: „Corona ist sseisse“ sagen ganz viele. Das ist inzwischen sehr deutlich – und das trifft es ja auch ganz gut.

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