Schleswig-Holstein

So hübsch sah die Hyperinflation vor 100 Jahren in Schleswig-Holstein aus

So hübsch sah die Hyperinflation vor 100 Jahren in Schleswig-Holstein aus

So hübsch sah die Hyperinflation vor 100 Jahren aus

Frank Jung
Flensburg/Flensborg
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Idylle trotz ernstem Anlass: Das Glücksburger Schloss ziert einen Notgeldschein des Landkreises Flensburg Foto: Landesbibliothek

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Vor 100 Jahren hatten die Schleswig-Holsteiner nichts zu lachen: Die Hyper-Inflation von 1923 fraß Erspartes binnen Wochen regelrecht auf und stürzte die Massen in Existenzängste. Weil die Reichsbank nicht mehr hinterherkam, druckte jeder Ort s...

Sie sind äußerst farbenfroh. Viele von ihnen geben sich auch inhaltlich vom Motiv her idyllisch. Zum Beispiel mit dem Glücksburger Schloss, umrankt von geschwungenem Dekor. Oder mit einer Friesin auf dem Deich, die über die Bucht vor Husum blickt. Neumünster hat gleich seine ganz Skyline abgebildet, mit Vicelinkirche, Rathaus und anderen Türmen.

Doch der Anlass, aus dem diese vor Heimatliebe schillernden Illustrationen das Licht der Welt erblickten, war ein sehr ungemütlicher: Es sind Notgeldscheine. Erschienen sind sie vor 100 Jahren, 1923, während der deutschlandweiten Hyper-Inflation.

Teils Millionen, viel häufiger aber Milliarden und Billionen Mark tragen die Zahlungsmittel als Aufdruck. Die Nullen sind weggelassen, weil es zu viele wären, um auf einen Blick den Wert zu erfassen. Stattdessen sind die Beträge in Worten ausgeschrieben.

Die Zahlen schon für die einfachsten Dinge des täglichen Lebens muten verrückt an: Im Mai des Krisenjahres kostet ein Kilogramm Brot bereits 474 Mark.
Im Juli sind es 2200. Im Herbst geht die Explosion dann erst richtig los:
Anfang Oktober müssen die Schleswig-Holsteiner für die selbe Menge Brot 14 Millionen Mark auf den Ladentresen legen, vier Wochen später 5,6 Milliarden Mark.

Weil die Reichsbank nicht mehr nachkommt mit Druck und Verteilung immer wieder neuer aktualisierter Noten, erhalten Provinzen, Kreise, Städte und Gemeinden die Lizenz zum Gelddrucken vor Ort. Selbst kleinste Dörfer, ja sogar die Hallig Langeness, warten mit eigenen Notgeldscheinen auf.

So kam es zur Hyperinflation

Dass es so weit kommen konnte, ist eine Folge des von Deutschland verlorenen Ersten Weltkriegs. Schon durch den Krieg selbst ist der Staat tief verschuldet – das Reich hatte zur Finanzierung der Kämpfe Anleihen herausgegeben; sich also bei der eigenen Bevölkerung verschuldet.

Aus der versprochenen Rückzahlung der Beträge wird nichts, weil Deutschland eben nicht siegte. Im Gegenteil kommen gigantische Zahlungsverpflichtungen hinzu: Reparationen an die Siegermächte. Dafür muss sich das Reich weiter verschulden.

Im Januar 1923 besetzen Frankreich und Belgien das Ruhrgebiet, weil die Weimarer Republik mit den Reparationsbeträgen geringfügig im Rückstand war. Die Reichsregierung rief die Bevölkerung im Kohlenpott aus Protest zum Generalstreik auf, finanzierte den dortigen Arbeitnehmern zwei Drittel ihrer Einkommen – und musste dafür die Notenpresse noch viel stärker anschmeißen als vorher ohnehin schon.

Angesparte Vermögen sind fast über Nacht nichts mehr wert. Die Arbeitslosigkeit steigt auch in Schleswig-Holstein massiv. Weite Teile der Bevölkerung haben keine Ahnung, wie sie in der nächsten Woche über die Runden kommen sollen. Es kommt zu Plünderungen und Protesten. Verbitterung über die ohnehin vielfach nicht akzeptierte neue Weimarer Republik macht sich breit.

Im Oktober 1923 ist die Dramatik auf ihrem Gipfel: Um 100 Prozent steigen die Preise da an einem Tage. Die Löhne erhöhen sich allenfalls wöchentlich. Schließlich entspricht der Kurs für einen US-Dollar 4,2 Billionen Mark.

Es ist deutlich geworden, dass allein eine Währungsreform den Wahnsinn stoppen kann. Die kommt denn auch im November 1923: die so genannte Rentenmark, die Rentenmark, gedeckt durch Grundschulden der Landwirtschaft und Schuldverschreibungen von Industrieunternehmen.

Von da an geht es zumindest für ein paar Jahre bergauf mit der Weimarer Republik. Und die kreative Zeit, in der jeder Ort seine eigenen Geldscheine hatte, ist Geschichte.

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