Gesundheit

So lebt der sechs Monate alte Christoph mit einem neuen Herzen

So lebt der sechs Monate alte Christoph mit einem neuen Herzen

So lebt der sechs Monate alte Christoph mit neuem Herzen

Hagen Wohlfahrt/shz.de
Risum-Lindholm
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Glücklich hält Svea Holtkamp-Nordmeier den kleinen Christoph auf dem Arm. Im Hintergrund Papa Jurij Rutz mit dem ersten Sohn des Paares, Stefan (2). Foto: Hagen Wohlfahrt/shz.de

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Der Junge aus Risum-Lindholm wurde am 24. Februar dieses Jahres geboren, doch für seine Familie ist es so, als sei er er 11. Juni noch einmal zur Welt gekommen. Die ersten Monate im Leben des Säuglings waren dramatisch.

„Diesen Tag feiert man wie einen zweiten Geburtstag“, sagt Svea Holtkamp-Nordmeier aus Risum-Lindholm. Oder aus Niebüll. Denn in der Nachbargemeinde wohnt die Familie erst seit wenigen Tagen, die alte Wohnung in Niebüll ist noch nicht ganz ausgeräumt. Der Umzug in ein Haus mit mehr Platz kommt viel früher, als es die 22-Jährige und ihr Lebenspartner Jurij Rutz eigentlich geplant haben. Aber die Umstände erfordern es.

Irgendetwas stimmte nicht

Wenn seine Mutter nicht so hartnäckig darauf bestanden hätte, dass ihr neugeborenes Baby noch einmal gründlich untersucht wird, wäre es wohl nicht mehr am Leben. Doch der Reihe nach.

In den ersten Minuten nach der Geburt am 24. Februar ist noch alles okay, doch schon bald merkt die junge Mutter, dass mit dem kleinen Christoph etwas nicht stimmt. Ihr fällt auf: „Er atmet so schwer“, und sie bittet im Krankenhaus darum, dass man ihr Kind untersucht. Es habe komisch geschrien und sei grau angelaufen.

„Das war sehr auffällig“, erinnert sich Svea Holtkamp-Nordmeier, die vor knapp zwei Jahren ihr erstes Kind, Stefan, zur Welt brachte. Doch in der Klinik stellt man nichts Außergewöhnliches fest, und erst nachdem die Mutter in den nächsten beiden Tagen „fast stündlich“, wie sie sagt, weitere Untersuchungen fordert, kommt ihr Baby in eine Kinderklinik.

Dort erhalten die Eltern von Spezialisten des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH) Gewissheit: Sie haben einen Herzklappenfehler bei dem Kleinen, der gerade zwei Tage alt ist, entdeckt. „Der relativ kleine Herzfehler“, erzählt die Mutter, sei dann durch eine Operation behoben worden.

Irgendwann scheint alles überstanden, die Entlassung aus der Klinik steht an. Doch das ist ein Irrtum: Irgendetwas stimmt noch immer nicht, spürt Svea Holtkamp-Nordmeier. Und tatsächlich: Es wird auch noch eine Gefäßverengung festgestellt. Das Herz des Kleinen ist aber inzwischen derart geschädigt, dass es kaum Hoffnung gibt. Den Eltern sagen die Ärzte: Ihr Baby wird wahrscheinlich sterben. Helfen könne nur eine Herztransplantation, doch die Wartezeit für ein Spenderorgan liege bei zwei bis vier Jahren. „Das schafft er nicht“, lautete die Prognose vor wenigen Monaten.

Christoph kommt auf die Warteliste, von nun an müssen die Eltern rund um die Uhr erreichbar sein, dürfen das eingeschaltete Handy nie aus den Augen lassen. Denn unerwartet geht es manchmal auch schnell, wenn alle Voraussetzungen stimmen. Bedeutet aber auch: „Jedes Mal, wenn das Handy klingelt, ist man voller Hoffnung“, schildert die 22-Jährige ihre Gefühle. Und dann kommt der erlösende Anruf tatsächlich: Es gibt ein Spenderherz für Christoph. „Ich habe mich noch nie in meinem Leben so gefreut“, sagt Svea Holtkamp-Nordmeier, die sich wünscht, dass sich mehr Menschen für eine Organspende entscheiden. Am 11. Juni ist die OP, sie dauert achteinhalb Stunden.

Vieles im Leben von Christoph ist anders

Knapp zwei Monate später ist der Kleine wohlauf, nuckelt an der Flasche wie andere Säuglinge auch, macht brav sein Bäuerchen. Doch vieles im Leben von Christoph ist anders, und nur wenig wird sich ändern, wenn er das erste halbe Jahr nach der OP, die kritischste Zeit, in der der Körper das neue Herz abstoßen könnte, überstanden hat. Er bekommt viele Medikamente. Und die Familie musste ihren Alltag umkrempeln. Am deutlichsten wird das durch den Umzug. Denn räumliche Enge ist fehl am Platz.

Für Familie Holtkamp-Nordmeier/Rutz gelten praktisch noch die Corona-Bestimmungen: strengste Kontaktverbote und pingeligste Hygieneregeln. Wenn sich der Säugling etwas einfängt, könnte das fatal sein. Besuche zu Hause gibt es praktisch nicht, nur in Ausnahmefällen; mit Abstand und Maske, versteht sich. Die Hebamme zum Beispiel darf kommen. Oma und Opa nicht. Gewaschen wird ausnahmslos bei 60 oder 90 Grad – nicht nur die Babykleidung, auch die von Mama, Papa und dem „großen“ Bruder.

Mehrmals täglich wird im Haus geputzt, werden Gegenstände desinfiziert und Spielzeug sterilisiert. Pflanzen sucht man vergeblich im Haus. Da liegt aber nicht daran, dass die Familie noch beim Einrichten ist. Es wird auch später keine geben: Gefahr durch Pilzsporen in der Erde. Auch wenn Christoph ein wenig älter ist, wird er nicht auf öffentlichen Spielplätzen herumtoben dürfen.

Später in eine Kita? Eher nicht

Schon heute müssen sich die Eltern Gedanken machen, ob ihr Kleiner einmal in eine Kita gehen soll. Wahrscheinlich eher nicht, die Infektionsgefahr ist viel zu groß. Und sobald dort ein Infekt herumgeht, müsste Christoph für Tage oder Wochen nach Hause geholt werden. Die gleiche Überlegung müssen sie in puncto Einschulung anstellen.

Auch im Berufsleben gibt es Einschnitte. Jurij Rutz hat sich gerade als Gebäudereiniger selbstständig gemacht; so ist er flexibler. „Ich arbeite mehr am Wochenende“, sagt der 34-Jährige. Immerhin müssen seine Lebenspartnerin und unter der Woche ein- bis fünfmal nach Kiel ins UKSH. Wann seine Partnerin in ihren Beruf als Sport- und Fitnesskauffrau wird zurückkehren können, wissen sie noch nicht.

Und obwohl schwierige Monate hinter ihr liegen, schöpft Svea Holtkamp-Nordmeier Kraft aus dieser Zeit. „Man bekommt einen ganz anderen Blick aufs Leben“, sagt sie.

Zum Beispiel das Zusammensein. „Das weiß man anders zu schätzen.“ Im nächsten Jahr soll es ein Fest geben. An Christophs zweitem ersten Geburtstag, dem 11. Juni.

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