Sicherheit

So viele Menschen verunglückten 2022 in der Nordsee vor Sylt

So viele Menschen verunglückten 2022 in der Nordsee vor Sylt

So viele Menschen verunglückten 2022 in der Nordsee vor Sylt

Lea Sarah Pischel/shz.de
Sylt
Zuletzt aktualisiert um:
Rettungsschwimmerin Jana Kubikova beobachtet mit einem Fernglas, was im Wasser vor Kampen passiert.  Foto: dpa/shz.de

Diesen Artikel vorlesen lassen.

An den Stränden vor Sylt sorgen zahlreiche Rettungsschwimmer für Sicherheit im Meer. Trotzdem sterben immer wieder Menschen beim Bad in den Fluten. Zu diesen teils spektakulären Einsätzen mussten die Helfer im Sommer 2022 ausrücken.

Der tragische Tod eines Rettungsschwimmers sowie einer 69-jährigen Urlauberin vor Wenningstedt hatte im Spätsommer 2021 bundesweit für Schlagzeilen gesorgt und große Anteilnahme ausgelöst. Der 47-jährige Schwimmer hatte einer badenden und in Not geratenen Frau helfen wollen und war dabei selbst in der Nordsee tödlich verunglückt.

Lebensbedrohliche Szenarien an Sylter Stränden

Dass Menschen vor Sylt im Meer ertrinken, kommt immer wieder vor. Auch in diesem Jahr gab es an den Stränden vor Sylt teilweise lebensbedrohliche Szenarien. Zum Beispiel vor Hörnum: Dort wären Anfang Juni beinahe zwei Menschen gestorben. „Das war einer der Einsätze, die man als Schwimmer nie vergisst. Unser Quad hat den beiden das Leben gerettet, sonst hätten wir keine Chance gehabt, dorthin zu kommen“, sagt Marcus Graening, Teamleiter der Rettungsschwimmer in Hörnum.
Ein junger Mann war bei dem Versuch, seinen Schwiegervater aus einer sehr starken Unterströmung – einem sogenannten Trekker – zu retten, selbst in Not geraten.

Die beiden waren am Campingplatz im Wasser, einem unbewachten Strandabschnitt. Der nächste Rettungsschwimmer-Turm ist nach Norden beziehungsweise Süden von dort mindestens 800 Meter weit entfernt. Seit 30 Jahren arbeitet Graening als Schwimmer. So etwas habe er in all den Jahren nicht erlebt, sagt der 54-Jährige. An vier Stationen sind jeweils zwei Schwimmer auf dem weitläufigen Strand des Inselsüdens im Einsatz. Ein neunter Rettungsschwimmer springt ein, wenn ein Kollege frei hat oder verhindert ist. 

„Wenn man in einen Trekker reinkommt, geht es sehr schnell, dass man abtreibt“. Vom Hauptstrand zu Hilfe gerufenen Schwimmer waren demnach mit dem Quad gekommen und sprangen dann anschließend zu viert in die Nordsee. Eine Viertelstunde brauchten sie laut Graening mit ihrem Quad am Strand vom nebenstehenden Rettungsturm aus zur Unfallstelle. „Das ist ein sehr langer Zeitraum für einen Einsatz.“ 

Zwei Männer von der Strömung vor Sylt mitgerissen

Zunächst hatten sich die beiden Männer in Not auf eine Sandbank, rund 150 Meter vom Ufer entfernt, retten können, wurden aber auch dort von der Strömung erfasst und mitgerissen, sagt Graening. Die Wellen seien an dem Tag bis zu zwei Meter groß gewesen. Zu viert gelang es den Schwimmern, die beiden Männer an Land zu bringen. „Den 55-Jährigen musste ich immer wieder mit Ohrfeigen wacht halten, wenn er das Bewusstsein verliert, wird der Körper schwerer und ich hätte ihn schlechter an Land bekommen.“

Weiterlesen: Übersicht: Was bedeuten die Flaggen am Rettungsschwimmer-Turm?

Beide Männer hatten viel Wasser aspiriert und demnach in der Lunge, waren aber bei Bewusstsein, sagt der Retter. „Der Jüngere erbrach sich mehrmals am Strand und erzählte mir, dass er im Wasser kurz mit seinem eigenen Leben abgeschlossen hatte.“ Und das trotz extremer körperlicher Fitness: Der 20-Jährige ist Kitesurfer, selbst Rettungsschwimmer, groß und gut trainiert, sagt der Sylter. Der Ältere der beiden musste eine Nacht im Krankenhaus bleiben. „Zum Glück haben beide überlebt.“ Bis auf diesen spektakulären Einsatz, sei es allerdings ruhig gewesen an den Stränden im Inselsüden. 

Seit Jahren kritisiere Graening, dass am Strand vor dem Hörnumer Campingplatz ein Rettungsstand fehle. Ein Abschnitt von rund zwei Kilometern sei demnach unbewacht. Das sei fatal und unverantwortlich. „Ich bin verantwortlich für die Schwimmer in Hörnum und sehr besorgt“, sagt der Rettungsschwimmer-Chef. Die Einrichtung eines weiteren Rettungsstandes im Bereich Campingplatz sollte seiner Meinung nach im Hörnumer Gemeinderat im Sinne der Sicherheit der Badegäste diskutiert werden.  

Einsätze in Kampen und Westerland

In Kampen sei in diesem Jahr alles ruhig geblieben, sagt Lars Lunk, verantwortlicher Rettungsschwimmer in der Gemeinde. Zweimal musste demnach ein Krankenwagen gerufen werden, das sei aber eher vorsorglich geschehen. Länger stationär behandelt werden musste keiner der Badegäste. Eine ähnlich ruhige Saisonbilanz zieht Ralf Jörgensen vom Tourismus-Service Wenningstedt-Braderup. „Wir hatten eine sehr ruhige Saison, dazu ein sehr starkes Team, von dem auch schon keiner mehr im Einsatz ist. Der 30. September war der letzte Tag, seit dem haben wir keine eigenen Rettungsschwimmer mehr draußen.“ Bernd Struve, Chef der Rettungsschwimmer in List, war bislang noch nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.

Lassen ist verantwortlich für rund 17 Rettungsschwimmerstände in Westerland und Rantum. Über mögliche Unfälle außerhalb seiner Dienstzeit werde er demnach nicht zwangsläufig informiert. Mit Pflaster kleben, Splitter ziehen und Quallen-Verbrennungen behandeln, beschäftigen die Schwimmer demnach am häufigsten.

An den Stränden sei es in dieser Saison „sehr ruhig“ gewesen: „Im Verhältnis zum letzten Jahr war das Badeverhalten in diesem Jahr eher mau“, sagt Lassen. Nur im August hatte fast durchgehend schönes Wetter die Menschen über mehrere Tage auch in die Nordsee gelockt.

Rettungsschwimmer vor Sylt im Hauptjob

Während auf Sylt die meisten Rettungsschwimmer fest bei den Inselgemeinden angestellt sind, werden die restlichen Badestellen und Strände in Schleswig-Holstein meist von Ehrenamtlichen der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) bewacht – sie stellen mehr als 90 Prozent aller eingesetzten Rettungsschwimmer im Land, sagte Thies Wolfhagen, Geschäftsführer der DLRG SH, zuletzt auf Nachfrage von shz.de.

Dass Rettungsschwimmer sterben, ist vor dem Unglück in 2021 in den vergangenen Jahrzehnten nicht vorgekommen. Der letzte bekannte Einsatz, bei dem ein Sylter Rettungsschwimmer ums Leben kam, ist 60 Jahre her: Im Juli 1961 kam der Polizeibeamte und ausgebildete Rettungsschwimmer Georg Morell, der eine Kindergruppe aus Kassel begleitete, im Meer zwischen Kampen und List einem erschöpften Jungen zur Hilfe. Die Rettungsleine legte sich dabei so unglücklich um den Hals von Morell, dass er beim Anziehen der Leine von Land aus erdrosselt wurde.

Dramatische Todesfälle im Meer vor Sylt

Zu tödlichen Unglücken in der Nordsee vor Sylt mit Urlaubern kam es indes immer wieder. Ein Berliner Bankier war 1908 der nachweislich erste Badetote unter den Sommerfrischlern. Die Zahlen sind in den vergangenen Jahren auch wetterbedingt zurückgegangen, sagte Karl-Heinz Kroll, langjähriger Leiter des DRK Sylt, zuletzt auf Nachfrage von shz.de. Die Sommer sind demnach oft frischer und weniger Menschen springen zur Abkühlung in die Nordsee.

Bei Extremlagen sieht das aber anders aus: Im Supersommer 1997 etwa ereigneten sich so viele Badeunfälle wie selten zuvor. 14 Unglücke wurden damals registriert, davon vier mit tödlichem Ausgang. Dass die Zahl der Toten in jenem Jahr nicht noch höher lag, grenzte an ein Wunder: Drei weitere Badegäste waren bereits klinisch tot, konnten aber in letzter Sekunde reanimiert werden.

Für bundesweite Schlagzeilen sorgte dabei 2003 das „Heldenepos vom Hauptstrand“: Am 19. Juli 2003 zog Rettungsschwimmer Manfred Winkler innerhalb weniger Stunden acht Menschen aus der Nordsee vor Sylt und rettete ihnen damit das Leben. 

Mehr lesen