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So werden nahezu alle Blitzer Schleswig-Holsteins geeicht

So werden nahezu alle Blitzer Schleswig-Holsteins geeicht

So werden nahezu alle Blitzer Schleswig-Holsteins geeicht

Mahé Crüsemann/shz.de
Flensburg
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Fast alle Geschwindigkeitsmessgeräte kommen aus Wismar. Foto: Vetro

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Fast alle Blitzer auf deutschen Straßen kommen aus Wismar. Die Firma Vetro vermietet die Geräte europaweit. Damit alles rechtens ist, müssen die Blitzgeräte penibel geeicht werden. Shz.de war dabei.

Ein leises Klicken, ein heller Blitz. Was auf offener Straße der Schrecken eines jeden Autofahrers ist, wird in Wismar gerade wieder und wieder getestet: ein Blitzer. Dennis Derichs von der Eichdirektion Nord sitzt im Eichraum im Gebäude der Firma Vetro im Gewerbegebiet von Wismar.

Der junge Eichbeamte schaut auf einen Bildschirm. Immer wieder löst das Blitzgerät aus, das auf einem Gestell direkt neben ihm steht und blitzt in eine lange Nische, an dessen Ende eine markierte Platte hängt.

Der Eichraum, in dem Dennis Derichs arbeitet, ist zwar im Gebäude von Vetro Electronics, der Firma, die die meisten in Norddeutschland verwendeten Messgeräte herstellt und vermietet, betreten werden darf der Bereich allerdings nur in Anwesenheit von Rolf Roloff. Der Eichraum ist nämlich sein Reich. Er ist Industriemeister und Werkstattleiter und bei Vetro angestellt und arbeitet gleichzeitig für die Eichdirektion. Sein Arbeitsplatz gehört zum Hoheitsgebiet der Anstalt, ohne seine Genehmigung passiert hier nichts.

Einmal jährlich müssen alle Verkehrserfassungsgeräte bundesweit geeicht werden, so ist es Vorschrift in Deutschland. In Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern ist die Eichdirektion Nord dafür zuständig. Die verschiedenen Apparate aus allen drei Bundesländern müssen dazu jährlich einem standardisierten Prüfverfahren unterzogen werden, bevor sie wieder in Umlauf kommen dürfen. In speziellen Räumen – deren Aufbau ebenfalls genaustens vorgeschrieben ist – werden sie sorgfältig kontrolliert und getestet. Alle Grenzwerte müssen eingehalten werden, sonst darf ein Gerät nicht mehr eingesetzt werden und wird buchstäblich aus dem Verkehr gezogen.

Vergangenes Jahr wurden in den Räumlichkeiten von Vetro in Wismar etwa 300 Geräte geeicht, erzählt Derichs. In diesem Jahr werden es mehr werden, mit etwa 330 Blitzern rechnet der Beamte. Aussortiert würden nur Geräte, die nicht mehr durch die Eichung kämen. Solange alles funktioniere, blieben die Anlagen in Betrieb.

Die Software der Messgeräte sei außerdem so programmiert, dass sie bei kleinsten Fehlern zum automatischen Ausschalten führe. So könne verhindert werden, dass Kontrollen inkorrekt seien. „Es ist praktisch nicht möglich, dass eine Messung fehlerhaft ist“, sagt Roloff.

Das hält zahlreiche erfasste Verkehrsteilnehmer nicht davon ab, immer wieder auch gerichtlich gegen Bußgeldbescheide vorzugehen. „Es gibt immer mehr Anwaltskanzleien, die sich ausschließlich auf solche Fälle spezialisiert haben“, sagt Thomas Fabricius. Er ist Leiter für Vertrieb und Marketing bei Vetro in Wismar. Für Anwälte sei es ein durchaus lukratives Geschäft – denn für jedes Schriftstück werde der Anwalt bezahlt. Jeder Antrag sei Arbeit für die Behörden – egal wie wenig erfolgversprechend er sei.

Bei berechtigten Zweifeln ist Widerspruch rechtens

„Bei einem begründeten Verdacht, dass eine Messung fehlerhaft war oder nicht rechtens, kann selbstverständlich Widerspruch eingelegt werden“, sagt Fabricius. Dann müsse natürlich auch alles geprüft werden. „Nur ist es in den meisten Fällen wirklich nicht begründet, wenn sich die Leute beschweren“, so der Vertriebsleiter. Er ist der Überzeugung, es handle sich oft um grundsätzliche Einstellungen. „Es lohnt sich wirklich in den wenigsten Fällen wegen einer Ordnungswidrigkeit, was eine Geschwindigkeitsübertretung nun einmal darstellt, vor Gericht zu ziehen und vielleicht hunderte Euro an Gerichtskosten zu riskieren.“

Auch im Eichraum ist man sich sicher: Was diese Geräte messen, ist hundertprozentig verlässlich: „Es wird auf den Kilometer genau gemessen“, sagt Werkstattleiter Rolf Roloff. „Und allein schon, um überhaupt betrieben werden zu dürfen, müssen die Geräte einen langen Zulassungsprozess durchmachen.“ Zwei Jahre dauere die kürzeste Zulassungszeit. Das sei unter anderem einer der Gründe, warum die Geräte oft viele Jahre in Betrieb blieben. Das, und die nahezu konstant gleich bleibenden Vorschriften für Blitzgeräte in Deutschland.

Das einzige, wo es regelmäßig Veränderungen gebe, sei die Software, so Fabricius. Und Roloff ergänzt: „Die können wir dann auf den Geräten updaten, und sie sind wieder auf dem neusten Stand.“ Auch da sei die Funktionsfähigkeit also gewährleistet, so der Experte.

Tausende Messpunkte in Millisekunden erfasst

Erfasst werden bei einem Blitzvorgang eine ganze Reihe an Daten. Auf einer festgelegten Strecke werden an unzähligen Punkten die Geschwindigkeiten eines Fahrzeugs gemessen – und das schon einige Meter vor dem Bereich, der überhaupt zählt. Dann erfasst die Anlage das Fahrtempo auf der Strecke, die für die Messung relevant ist. Bis zu 2000 Messpunkte werden dabei erfasst. Innerhalb von wenigen Millisekunden ermittelt das Gerät einen Mittelwert der auf der entscheidenden Strecke gemessenen Daten. Liegt der Wert über dem, was erlaubt ist, lösen Blitz und Kamera aus.

Der saarländische Verfassungsgerichtshof fällte 2019 ein Urteil, nach dem alle Daten, also auch die Rohdaten, aus denen ein Blitzgerät die Durchschnittsgeschwindigkeit auf einer festgelegten Messstrecke berechnet, auf Anfrage immer einsehbar sein müssen. Genauer: Das Gericht hatte entschieden, dass die Grundrechte von geblitzten Fahrern auf ein faires Verfahren verletzt sind, wenn das Messergebnis nicht überprüft werden kann.

Das sei technisch nicht möglich, sagt Thomas Fabricius. „Die Daten sind selbst dem, der das Gerät gebaut hat, nicht zugänglich.“ Es handle sich um ein standardisiertes Messverfahren, es gebe absolut keinen Grund, jeden Schritt immer wieder nachvollziehen zu können. „Es kommt in jedem Fall das Selbe heraus, selbst wenn es – in einer idealen Welt – möglich wäre, die Daten einzusehen.“

Wildwestähnliche Zustände

Der Fall aus dem Saarland liegt nun schon seit Jahren beim Bundesverfassungsgericht. „Und seit Jahren gibt es keine Entscheidung.“ Fabricius meint auch den Grund zu kennen: „Würde dieses Gerichtsurteil durchgesetzt werden, führt das dazu, dass keinerlei Messungen mehr möglich wären.“ Er sieht die Sicherheit im Straßenverkehr in Gefahr, es käme zu wildwestähnlichen Zuständen auf den Straßen. „Wir retten schließlich Leben mit dieser Arbeit.“

In Deutschland rettet jedes Bundesland Leben ein bisschen anders. So hat jedes Land die genauen Vorschriften zu Positionierung individuell festgelegt. In Schleswig-Holstein etwa dürfen Blitzer erst ab 100 Metern hinter einem Geschwindigkeitsschild aufgestellt werden, in Berlin 75 Meter vor und nach Geschwindig­keitsänderungen und 150 Meter vor und hinter Ortstafeln, Thüringen misst erst ab 200 Meter hinter Schildern.

Die Entscheidung, wo ein Blitzer aufgestellt wird, liegt in den Händen des Landes oder der Kommunen. Auf im Landkreis liegenden Straßen darf die Gemeinde messen. Autobahnen und Bundesstraßen fallen in der Regel in den Zuständigkeitsbereich der Bundespolizei.

Worin sich aber alle Länder einig sind: Messgeräte dürfen in Deutschland nur mit entsprechender Zulassung von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) eingesetzt werden. Außerdem muss das Personal, das beispielsweise mobile Blitzer einsetzt und betreut, entsprechend geschult sein, denn jeder Fehler bei Aufbau oder Betrieb könnte dazu führen, dass die Messungen ungültig wären. Solche Schulungen bietet die Firma Vetro auch in Wismar an.

Alles im grünen Bereich

Dennis Derichs nimmt eines der Geräte, das seinen Test gerade bestanden hat, von der Anlage und stellt es auf einen Tisch. Jetzt müssen die Eichsiegel erneuert werden. Mit einem kleinen Werkzeug, einer Art Spachtel, löst der Eichbeamte ein altes Siegel vom Blitzer. Ganz vorsichtig löst er den Kleber, die Hülle darf nicht beschädigt werden.

Fünf bis sieben Minuten dauert die Eichung eines Blitzers in etwa. Ist der Apparat erstmal auf der Testvorrichtung angebracht und angeschlossen, geht alles nahezu automatisch. Auf einem Bildschirm überprüft Dennis Derichs dann nur noch, ob die erhobenen Werte alle im Toleranzbereich waren. Kommt ein Gerät einmal nah an den Grenzbereich, notiert der Beamte sich einen kleinen Hinweis. Im nächsten Jahr wird beim betreffenden Gerät ganz besonders darauf geachtet, dass alles im grünen Bereich ist.

Steigende Vandalismus-Zahlen

„Geblitzt werden darf nur, wenn damit nicht in den aktiven Straßenverkehr eingegriffen wird“, erklärt Fabricius. Damit kann auch ein mobiles Blitzgerät gemeint sein, das einen Fußweg versperrt. In Einzelfällen kann der Kreis oder die Polizei daher bei Privatpersonen anfragen, ob eine Anlage auf dem Grundstück errichtet werden darf. Aber selbstverständlich könne ein Grundstücksbesitzer dann auch nein sagen, betont er.

Dass nicht alle begeistert sind von dem, was die Firma Vetro vermietet, bekommt das Unternehmen immer wieder zu spüren. „Wir haben seit Jahren mit steigenden Vandalismus-Zahlen zu tun“, sagt Thomas Fabricius. Einige Täter würden dabei sehr extrem vorgehen. Auf dem Hof von Vetro in Wismar steht etwas, das aussieht wie ein angeschossener Roboter.

„Hier haben Täter eine brennende Flüssigkeit auf dem Anhänger verteilt, wie es aussieht“, so Fabricius. Sie habe sich aufgrund der sich entwickelnden extremen Hitze durch die verstärkte Außenhülle fressen können. Das Innere des Wagens wurde komplett zerstört – „Totalschaden.“ Etwa zwei bis dreimal pro Jahr brennt ein Fahrzeug der Firma Vetro komplett aus. Der Tatbestand vor Gericht laute in einem solchen Fall nicht einfach nur Sachbeschädigung, vielmehr komme hier noch die Störung öffentlicher Betriebe hinzu, wie Thomas Fabricius klarstellt.

Die Reparatur eines Blitzgeräts – vorausgesetzt es ist noch zu retten – sei häufig teurer, als ein neues anzuschaffen, sagt er. Er könne den Ärger vieler Autofahrer durchaus verstehen, Vandalismus sei allerdings nie die Lösung. „Die Menschen lassen ihren Ärger dann an den Anlagen aus, anstatt sich über ihre Fahrweise zu ärgern.“

Automatisches Abschalten bei Fehlern

Behutsam schließt Dennis Derichs von der Eichdirektion Nord derweil die Hülle des Blitzgeräts, das er ausführlich geeicht und mit neuen Siegeln versehen hat. Ein Jahr kann der kleine graue Kasten nun wieder einwandfrei benutzt werden. Und sollte doch einmal etwas damit sein, „dann schaltet sich das Ganze von alleine ab“, sagt er. „Dann muss es repariert werden, davor geht gar nichts mehr.“ Eine gute Handvoll Geräte hat Derichs heute begutachtet. Kein einziges ist durchgefallen. Zufrieden stellt er fest: „Jetzt können sie alle wieder auf die Straße und für Sicherheit sorgen.“

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