Landtagswahl in SH 2022

SPD-Doppelinterview: Serpil Midyatli und Thomas Losse-Müller

SPD-Doppelinterview: Serpil Midyatli und Thomas Losse-Müller

SPD-Doppelinterview: Midyatli und Losse-Müller

SHZ
Kiel
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Wollen auch nach der Niederlage ein Team bleiben: Serpil Midyatli und Thomas Losse-Müller im Gespräch mit unserem Reporter Kay Müller. Foto: Marcus Dewanger/shz.de

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Im ersten Doppel-Interview nach der verlorenen Landtagswahl sprechen Serpil Midyatli und Thomas Losse-Müller über ihre Rollen in der SPD und den künftigen Fraktionschef

Frau Midyatli, ich dachte, ich rede jetzt hier mit der neuen Fraktionsvorsitzenden, zu der Sie eigentlich heute gewählt werden sollten. Warum sind Sie das jetzt nicht?

Serpil Midyatli: Das liegt daran, dass das Wahlergebnis für uns so unerwartet und bitter ist. Wir wussten zwar, dass es schwer werden wird, gegen einen beliebten Ministerpräsidenten zu gewinnen. Aber dass wir so desaströs verlieren, das hat keiner von uns geahnt. Das müssen wir jetzt alle mal erstmal verdauen, analysieren und miteinander besprechen. Da geht es auch darum, wer welche Aufgaben in der Fraktion übernimmt. Dafür müssen und werden wir uns Zeit nehmen.

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War die Vertagung der Wahl eine Konsequenz aus der Sitzung des Landesvorstandes oder der Fraktion?

Midyatli: Das haben wir heute Mittag in der Fraktion besprochen.

Sie haben vor der Wahl gesagt, dass Sie als Fraktionsvorsitzende weiter machen wollen – hat sich das geändert und denken Sie nun an Rücktritt?

Midyatli: Es kann ja gar kein Rücktritt sein, weil ich noch gar nicht gewählt bin. Mir ist wichtig, dass ich gemeinsam mit den Fraktionskollegen analysiere, was jetzt die richtige Entscheidung ist.

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Einige Genossen fordern jetzt, dass Sie, Herr Losse-Müller, die Fraktion führen sollen, weil Sie auch das Gesicht der Kampagne waren. Kommt das für Sie in Frage?

Thomas Losse-Müller: Es ist richtig: Ich war das Gesicht der Kampagne, ich war der Spitzenkandidat – aber am Ende steht ein sehr schlechtes Wahlergebnis. Das ist sehr bitter. Mir ist es offensichtlich nicht gelungen, Themen, die immer relevanter werden, auf die Straße zu kriegen. Und darüber haben wir gestern im Landesvorstand und auch gerade eben in der Fraktion diskutiert. Ich bin dankbar dafür, dass die Partei trotz dieses wirklich schlechten Ergebnisses zu der Spitzenkandidatur und damit auch zu mir persönlich steht. Das ist sehr schön.


Viele Genossen sagen, dass es an Ihrer fehlenden Bekanntheit lag – und dass Sie die nur bekommen könnten, wenn Sie jetzt ein Podium bekommen, nämlich das des Fraktionschefs und möglichen Oppositionsführers im Landtag...

Losse-Müller: ...ja, das ist die einfache Variante. Meine Wahlniederlage hat aber nicht nur an der mangelnden Bekanntheit gelegen.

Aber wenn Sie jetzt oder Frau Midyatli die Geschicke der Partei und Fraktion weiter bestimmen, sind das doch die, die die Verantwortung für die verlorene Wahl tragen?

Losse-Müller: Nochmal: Ich habe nicht erwarten dürfen, dass ich von der Partei gestützt werde nach diesem Ergebnis. Und wenn sie das jetzt tut...

Midyatli: ...dann haben wir schon eine ganze Menge gewonnen...

Losse-Müller: ...und es gibt nicht mehr die klassischen politischen Reflexe: Strategische Analyse beschränkt sich nicht auf personelle Konsequenzen. Das ist eine sehr gute Neuerung.

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In der schleswig-holsteinischen SPD hat es häufig Doppelspitzen gegeben – wäre das denn keine Option? Partei- und Fraktionsvorsitz wieder zu trennen?

Midyatli: Wir haben beide lange Zeit gezeigt, dass wir in allen Rollen funktionieren. Und unser Team-Spirit ist nicht gespielt, den wollen wir beibehalten. Deswegen empfinde ich das als Kompliment, dass uns beiden offenbar beides zugetraut wird.

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Bleiben wir aber nochmal beim Fraktionsvorsitz: 2017 hat sich Ralf Stegner direkt nach einer verlorenen Wahl und obwohl er umstritten war, als Fraktionschef wiederwählen lassen – was ist seitdem anders?

Losse-Müller: Wir haben eine andere politische Kultur...

Midyatli: ...und etwas hat sich verändert, was ich schon immer angekündigt habe: Schritte nochmal zu hinterfragen bevor ich sie gehe. Genau das machen wir jetzt gemeinsam. Das sehe ich als meine Aufgabe und die werde ich auch weiter wahrnehmen.

Und was sagt die Fraktion? Am Ende muss es einer von Ihnen beiden machen, oder?

Losse-Müller: Genau das war der Tenor: Sie brauchen einen von uns beiden. Das war eine Stärkung für uns beide...

Midyatli: ...Fraktionssitzungen sind deswegen Fraktionssitzungen, weil sie vertraulich sind.

Losse-Müller: Aber damit, dass jetzt kein dritter Name gefallen ist, habe ich ja nun auch nicht zu viel verraten.


CDU und FDP haben Ihre Fraktionsspitze schon gewählt, wann wollen Sie das denn nun machen?

Midyatli: Wir haben keinen Druck. Sonst musste ein Fraktionsvorsitzender ja schnell Verhandlungen oder Sondierungen übernehmen. Diese Eile haben wir jetzt nicht. Leider. Und wir müssen ja auch die neuen Kollegen integrieren...

Losse-Müller: ...inklusive mir...

Midyatli: ...und wir werden jetzt eine Klausurtagung der Fraktion haben und vielleicht haben wir dann nächste Woche eine Entscheidung. Und wenn es länger dauert, ist das auch nicht schlimm. Die konstituierende Sitzung des Landtags ist erst Anfang Juni.

Was wird denn in einer Woche möglicherweise anders sein als heute?

Midyatli: Wir werden uns als Fraktion in allen Bereichen personell und thematisch aufstellen und können vielleicht eher einschätzen, auf welches Szenario wir uns in der Opposition einstellen müssen.

Losse-Müller: Die Fraktion ist von 21 auf 12 Mitglieder geschrumpft, da müssen wir uns erstmal sortieren. Und wenn uns bei der Wahl einer neuen Fraktionsspitze Druck macht, dann sind wir das am meisten selbst.

Manche Genossen sind unzufrieden

Wie gehen Sie denn mit dem Shitstorm im Netz um?

Midyatli: Shitstorm?

Na ja, in den sozialen Medien gibt es schon Aussagen, dass es personelle Konsequenzen geben und die SPD sich jetzt komplett neu aufstellen müsse...

Midyatli: ...das ist ja aber kein neues Phänomen. Ich habe auch viele Nachrichten bekommen, die sehr aufmunternd waren. Für mich zählt, was wir in unseren gewählten Gremien miteinander besprechen – und da habe ich keine Schuldzuweisungen vernommen. Wir haben da ein sehr gutes Miteinander. Auch da wünschen sich Viele eine Aufarbeitung. Aber ich nehme das nicht so wahr, dass die Genossen jetzt alles umwerfen wollen.

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Wie wollen Sie jetzt auf die Partei zugehen, um sie wieder aufzubauen? Tingeln Sie durch die Verbände?

Midyatli: Das haben wir schon gestern im Landesvorstand besprochen. Natürlich wollen wir mit unserer Analyse auch in die Ortsvereine gehen – genauso wie die anderen Mitglieder des Landesvorstandes und der Fraktion. In dieser schwierigen Situation brauchen wir jeden.

Sie sind noch mittendrin in der Fehleranalyse – aber können Sie uns schon die eine Sache sagen, die Sie im Nachhinein anders gemacht hätten?

Losse-Müller: Schwierig.

Midyatli: Das gilt es jetzt zu analysieren.

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Einige Genossen sagen, dass Sie den Spitzenkandidaten viel früher hätten präsentieren sollen...

Midyatli: ...mitten in der Sommerpause?

Losse-Müller: Die Option gab es nicht. Wenn es jetzt diesen einen Fehler gebe, dann wäre es einfach. Für mich war es eine Anhäufung schwieriger Voraussetzungen. Das hat auch mit Corona und dem Krieg zu tun. Und die Zuspitzung auf die Frage „Schwarz-Gelb oder Schwarz-Grün?“ – die hat uns am Ende nochmal richtig geschadet.

Am Ende gibt es eine „Dopposition“

Eines davon wird die Koalition sein, der Sie sich gegenübersehen, da wird es eine starke Opposition brauchen. Können wir denn da in ein oder zwei Wochen mit einer Entscheidung in der SPD rechnen, wer die Fraktion nun führen wird?

Losse-Müller: Wir nehmen uns die Zeit, die wir brauchen.

Also bleiben Sie ein Team – egal wer am Ende den Hut aufhat. Machen Sie Dopposition?

Midyatli: Wo haben Sie denn das Wort her?

Habe ich mir gerade ausgedacht.

Losse-Müller: Ich finde das gar nicht verkehrt: Machen wir eben eine Dopposition – gemeinsam mit dem Rest der Fraktion und den Menschen, deren Interessen wir vertreten wollen.

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