Belastende Einsätze

„Die Stille werde ich nie vergessen“ - Feuerwehrleute berichten

„Die Stille werde ich nie vergessen“ - Feuerwehrleute berichten

Feuerwehrleute: „Die Stille werde ich nie vergessen“

Benjamin Nolte/shz.de
Amt Arensharde
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Benjamin Hue, Hauke Sterner, Michael Otremba, Stefan Roth, Kai Bretthauer und Anja Pfeiffer arbeiten ehrenamtlich bei den Freiwilligen Feuerwehren im Amt Arensharde. Foto: Benjamin Nolte/shz.de

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Treia, Silberstedt, Ellingstedt und Schuby: Sechs Frauen und Männer aus dem Amt Arensharde berichten von ihrer Motivation, ehrenamtlich in der Freiwilligen Feuerwehr zu arbeiten. Es ist ein Job, der manchmal auch Spuren hinterlässt.

Sie gehen raus, wenn alle anderen in ihren Häusern bleiben. Sie packen an, wenn wir in Not sind. Sie sehen Dinge, die man nicht sehen will. Die Frauen und Männer der Freiwilligen Feuerwehren. Rund 7000 Kameradinnen und Kameraden bilden die Einsatzabteilung der 188 Freiwilligen Feuerwehren im Kreis Schleswig-Flensburg. Doch wer sind die Feuerwehrfrauen und Feuerwehrmänner eigentlich und warum engagieren sie sich ehrenamtlich in der Feuerwehr? Wir haben uns einmal im Amt Arensharde umgehört.

FF Treia: Anja Pfeiffer (37), Studentin, in der Feuerwehr seit 2018

Ich bin in der Freiwilligen Feuerwehr, weil…
„Ich dachte ganz lange, dass Feuerwehr hauptsächlich aus dem Löschen von Bränden und technischen Hilfeleistungen besteht. Als ich durch Zufall erfahren habe, dass die Freiwillige Feuerwehr Treia auch eine First-Responder-Einheit hat, die unterstützend zu medizinischen Notfällen ausrückt, war mein Interesse geweckt. Als gelernte Gesundheits- und Krankenpflegerin wollte ich meine Kompetenzen zukünftig auch in diesem wichtigen Ehrenamt einsetzen. Mittlerweile habe ich meine Truppmannausbildung absolviert und bereue die Entscheidung überhaupt nicht. Ich finde es wichtig, gerade wenn man medizinische Vorkenntnisse hat, diese auch zu nutzen und sich ehrenamtlich zu engagieren. Für uns sind es Minuten, die wir investieren, retten anderen damit aber womöglich ihr Leben.“

An diesen Einsatz erinnere ich mich besonders:
„Wir sind meist dann unterwegs, wenn es um lebensbedrohliche Situation geht. Bei dem Einsatz, den ich hingegen nie vergessen werde, ging es um das Gegenteil. Wir wurden zu einer Geburt gerufen, sollten die Zeit überbrücken bis Rettungsdienst und Notarzt eintrafen. Das war etwas ganz besonderes, auch mal helfen zu können, wenn neues Leben entsteht. Als wir eintrafen, war das Kind gerade geboren worden, wir haben die Mutter versorgt, aufgepasst, dass das Kind nicht auskühlt und vor allem versucht, alle Beteiligten etwas zu beruhigen.“

FF Silberstedt: Hauke Sterner (55), arbeitet beim Bauhof in Silberstedt, seit 1989 in der Feuerwehr

Ich bin in der Freiwilligen Feuerwehr, weil…
„Ein einfacher Grund, ich helfe gerne. Zudem finde ich es wichtig, dass man ein Ehrenamt ausübt und sich für die Allgemeinheit engagiert. Hier in Silberstedt bekommt man von den Bürgerinnen und Bürgern auch viel zurück, sie sind dankbar. Feuerwehr ist hier viel mehr als Daseinsvorsorge für den Ernstfall. Wir sind auch ein wichtiger Kulturträger in der Gemeinde, unterstützen bei Veranstaltungen, führen das Laternelaufen durch und helfen bei der Weihnachtsbeleuchtung. Ich war zunächst zehn Jahre in der Feuerwehr in Treia, berufsbedingt folgte dann der Umzug nach Silberstedt und der Eintritt in die Wehr.“ 

An diesen schweren Einsatz erinnere ich mich besonders: 
„Noch gar nicht lange her. Im vergangenen Jahr gab es in Ellingstedt einen sehr schweren Verkehrsunfall, bei dem zwei junge Frauen ums Leben kamen. Insgesamt saßen in dem Fahrzeug fünf junge Leute. Diese Bilder vergisst man so schnell nicht. Der Unfall war nachts, gemeinsam mit der Feuerwehr Treia mussten wir zwei Unfallopfer aus ihrem Fahrzeug schneiden. Für die beiden jungen Frauen kam leider jede Hilfe zu spät. Unmittelbar nach dem Einsatz, noch in der Nacht, haben wir uns am Gerätehaus getroffen und gemeinsam als Wehr über den Einsatz gesprochen. Um solche Momente verarbeiten zu können, ist es extrem wichtig, darüber zu sprechen. Früher hat man das nicht gemacht, glücklicherweise ist es heute üblich und sollte jeder machen.“ 

FF Ellingstedt: Kai Bretthauer (42), in der Feuerwehr seit 1998

Ich bin in der Freiwilligen Feuerwehr, weil…
„Mein Vater war bereits in der Feuerwehr, ebenso viele Freunde von mir. Die Frage, ob auch ich eintreten soll, stellte sich gar nicht, es war klar und für mich auch selbstverständlich. Ich bin direkt in die Einsatzabteilung und habe alle notwendigen Ausbildungen und Lehrgänge absolviert. Feuerwehr macht für mich vor allem die Kameradschaft aus und gemeinsam anderen Leuten zu helfen. Natürlich gibt es Momente, auch nach schweren Einsätzen, in denen man sich fragt, warum machst du das eigentlich, aber wirklich bereut habe ich die Entscheidung mich ehrenamtlich in der Freiwilligen Feuerwehr zu engagieren nie!“

An diesen schweren Einsatz erinnere ich mich besonders:
„Es muss 2002 gewesen sein. Wir wurden zu einem schweren Verkehrsunfall gerufen. Ein Motorradfahrer ist frontal mit einem LKW zusammengestoßen. Der Motorradfahrer erlitt schwerste Verletzungen, verstarb noch an der Unfallstelle. Wir konnten nichts mehr für ihn tun. Als letzten Schritt mussten wir die Straße reinigen, sozusagen das Blut von der Straße spülen. Eine Situation, Momente, die man nicht mehr vergisst. Seelsorger, wie sie heute nach solchen Einsätzen hinzugezogen werden, gab es damals noch nicht. Gerade für junge Kameraden halte ich es heute für extrem wichtig, darüber zu sprechen. Mein Tipp: Macht solche Erlebnisse nicht mit euch selbst aus!“

FF Silberstedt: Stefan Roth (59), Gemeindewehrführer, seit 1975 in der Feuerwehr

Ich bin in der Freiwilligen Feuerwehr, weil …
„Ich komme aus Plön, habe damals neben dem Schwimmen ein zweites Hobby gesucht. Der Mann meiner Schwester war in der Feuerwehr und hat mich gefragt, ob ich nicht in die Jugendfeuerwehr eintreten möchte. Das Feuer war geweckt, ich habe die Berufung zum Feuerwehrmann entwickelt. Plön ist eine große Wehr, über 200 Einsätze pro Jahr, ich habe dort viel Erfahrung gesammelt. 1997 kam ich nach Silberstedt und bin hier direkt in die Wehr eingetreten. Feuerwehr ist für mich auch eine Art Ausgleich. Die Arbeit mit den Kameraden, die Ausbildung, ein hoher Grad an Kameradschaft und ein starker Zusammenhalt prägen dieses Ehrenamt. Ich bin auch stolz darauf, wie diszipliniert bei uns alle sind, keiner prescht an der Einsatzstelle vor, jeder macht das, was abgesprochen ist, es gibt keine großen Diskussionen.“ 

An diesen schweren Einsatz erinnere ich mich besonders:
„Mein erster Toter, den Einsatz vergisst man nicht. Ich war knapp 19 Jahre alt, wir wurden zu einem Verkehrsunfall gerufen. Ich war eingeteilt als innerer Retter, bin in das verunfallte Auto gekrabbelt und habe die Beifahrerin beatmet, während meine Kameraden den Fahrer herausgeschnitten haben. Als der Fahrer aus dem Auto befreit und in den Rettungswagen gebracht war, sagte die Notärztin zu mir: ,Du kannst aufhören, sie ist tot‘. Das war schon schlimm. Kameradschaft ist da wichtig und hilft. Um das Erlebte zu verarbeiten, musst du darüber reden.“

FF Schuby: Michael Otremba (48), Amtswehrführer, seit 1996 in der Feuerwehr

Ich bin in der Freiwilligen Feuerwehr, weil …
„Der Wehrführer kam damals bei mir an und meinte: ,Mensch Michael, du bist im perfekten Alter für die Feuerwehr‘. Ich sollte zu einem Infoabend vorbeikommen und schauen, ob es etwas für mich ist. Nachdem ich durch die Tür getreten war, wurde ich gleich nach meiner Größe gefragt, wurde quasi ein wenig überrumpelt. Aus heutiger Sicht kann ich nur sagen, manchmal muss man Menschen zu seinem Glück zwingen. Heute bin ich Amtswehrführer und kann mir kein schöneres Ehrenamt vorstellen. Es sind die Kameradschaft, die Ehre für andere Menschen da zu sein und ihnen zu helfen, was Feuerwehr für mich auszeichnet. Als Amtswehrführer habe ich zwar weitreichende Aufgaben, bin das Bindeglied zwischen den Feuerwehren und der Amtsverwaltung und auch viel Bürokratie kommt dazu, dennoch ist der Hauptgrund meines Engagements nie verloren gegangen: Den Bürgerinnen und Bürgern helfen. Es könnten und sollten sich viel mehr Menschen in der Feuerwehr engagieren. Auch ich arbeite in der Woche 45 Stunden und dennoch bleibt Zeit für dieses Ehrenamt. Menschen zu helfen und sie zu retten, das kann man ohnehin nicht in Zeit aufwiegen.“

An diesen schweren Einsatz erinnere ich mich besonders:
„Im April 2005 kam es auf der A7 zwischen Schuby und Tarp zu einem schweren Unfall mit einem Tanklastzug. Ich war mit einer der ersten, der die Einsatzstelle erreichte. In den verunglückten und mit 30.000 Litern Diesel beladenen Tanklastzug prallten ein weiterer Lkw sowie ein Pkw. Als wir eintrafen, standen wir vor einem gewaltigen Flammeninferno. Wir hatten keine Chance mehr an die brennenden Fahrzeuge heranzukommen. Mussten hilflos mit ansehen, wie der Fahrer in dem Tanklastzug verbrannte. Die Hitze, die uns entgegenschlug, es war unbeschreiblich. Auch die Stille um die Einsatzstelle herum werde ich nie vergessen. Es war doch alles irgendwie erschreckend.“ 

FF Schuby: Benjamin Hue (44), Pädagoge bei den Schleswiger Werkstätten, seit 2021 in der Feuerwehr

Ich bin in der Freiwilligen Feuerwehr, weil …
„Interesse an einem Ehrenamt in der Feuerwehr hatte ich schon sehr lange. Zeitlich und auch berufsbedingt hatte es sich für mich bisher nie ergeben. Durch eine berufliche Veränderung bin ich dann im Mai 2021 in die Wehr eingetreten und seit diesem Jahr auch als Betreuer in der Jugendfeuerwehr Lürschau-Schuby-Hüsby tätig. Mir ist schnell klar geworden, wie wichtig die Arbeit der Freiwilligen Feuerwehr und die Suche nach neuen Mitgliedern und Nachwuchs ist. Fast jede Wehr ist ständig auf der Suche nach neuen Kameradinnen und Kameraden. Auch deshalb bin ich als Betreuer in der Jugendfeuerwehr tätig. Eine tolle Möglichkeit, Nachwuchs für die Einsatzabteilung heranzuziehen und die Jugendlichen auf später vorbereiten zu können.“

An diesen schweren Einsatz erinnere ich mich besonders:
„Es war im April diesen Jahres. Wir wurden zu einem Einsatz nach Schuby gerufen. Hinter einer verschlossenen Wohnungstür sollte sich eine hilflose Person befinden. Der Schlüssel steckte von innen, der Rettungsdienst kam somit nicht ohne Feuerwehr in die Wohnung. Über ein verschlossenes Badezimmerfenster haben wir uns Zugang zur Wohnung verschafft und fanden einen älteren Herren in hilfloser Lage vor. Der Sohn, der uns alarmiert hatte, war sehr aufgebracht und schrie herum. Auch aufgrund meiner beruflichen Qualifikation, die mir hier zu Gute kam, entschied ich mich, ihn bei Seite zu nehmen und habe versucht, ihn zu beruhigen. Ich verwickelte ihn in ein Gespräch, auch er ist in der Freiwilligen Feuerwehr, mir gelang es eine Verbindung aufzubauen und die Situation zu beruhigen. Feuerwehr ist vielfältig, jeder bringt unterschiedliche Qualifikationen und Kenntnisse mit, die bei Einsätzen helfen können, auch das ist das tolle an der Freiwilligen Feuerwehr. Mit einem ebenfalls alarmierten Rettungshubschrauber wurde der Patient in ein Krankenhaus geflogen. Für mich war es bisher der größte Einsatz und bleibt mir daher auch gut in Erinnerung.“ 

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Leitartikel

Gwyn Nissen
Gwyn Nissen Chefredakteur
„Zusammenhalt: Es geht noch viel mehr in Nordschleswig“