Natur & Umwelt

Streit um Ostsee: Nationalpark-Gründer müssen sich auch mal anbrüllen lassen

Streit um Ostsee: Nationalpark-Gründer müssen sich auch mal anbrüllen lassen

Streit um Ostsee-Nationalpark

Kay Müller/SHZ
Schleswig-Holstein
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Freund der Natur: Alexander Bonde ist seit seinem Rückzug aus der Politik Generalsekretär der Deutschen Bundesstiftung Umwelt mit Sitz in Osnabrück. Foto: Deutsche Bundesstiftung Umwelt/SHZ

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Er weiß, was Widerstand bedeutet: Alexander Bonde hat als Minister in Baden-Württemberg den letzten Nationalpark in einem Bundesland geschaffen. Was der Grünen-Politiker daraus gelernt hat und was er von einem Nationalpark Ostsee hält.

Herr Bonde, wie sind Ihre persönlichen Erfahrungen mit der Gründung eines Nationalparks?

Alexander Bonde: Als wir vor mehr als zehn Jahren in Baden-Württemberg die Gründung eines Nationalparks Schwarzwald diskutiert haben, gab es massive Widerstände dagegen. Ich wohne im Gebiet des heutigen Nationalparks, und es war auch für mich persönlich nicht immer leicht, mit den Widerständen umzugehen. Ich habe jedenfalls schon schönere Zeiten erlebt. Von Interessengruppen finanzierte Gegner haben die ersten Protestschilder damals gleich neben der Kita meiner Kinder aufgestellt – wir hatten also das volle Programm an Widerstand.

Wie sind Sie damit umgegangen?

Es haben sich sehr schnell Interessengruppen formiert, die ihre Bedenken geäußert haben. Die inhaltlichen Fragen und Kritikpunkte haben wir sehr ernst genommen, angehört und in einem umfangreichen Verfahren berücksichtigt. Am Ende haben wir ein unabhängiges Gutachten erstellen lassen, in dem unabhängige Experten Auswirkungen und Wert eines Nationalparks beleuchtet haben. Das hat dann viele überzeugt.

Was waren denn die größten Bedenken?

Der Nationalpark Schwarzwald umfasst vor allem Waldgebiet. Viele Nutzer fürchteten, dass sie ausgesperrt werden könnten, weil ein Nationalpark explizit Kernzonen vorsieht, in denen die Natur sich selbst überlassen bleibt. Viele Menschen haben befürchtet, dass sich ohne Forstwirtschaft der Wald verändert, dass sich nur einige Arten durchsetzen könnten und der Wald irgendwann stirbt. Aber nach fast zehn Jahren können wir heute sagen, dass das nicht passiert ist und gerade in den Kernzonen viele sensible Arten wie etwa Sperlingskauz und seltene Pilze unberührte Lebensräume finden, in denen sie sich gut entwickeln können. Und diese besondere Natur ist erlebbar und ein Highlight für den Tourismus.

Aber viele Tourismusmanager waren doch gegen den Nationalpark?

Viele Akteurinnen und Akteure im Tourismus waren von Anfang an dafür. Aber auch die damals skeptischen Menschen arbeiten heute erfolgreich mit dem Nationalpark. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Viele Gegner des Nationalparks haben befürchtet, dass es keine Möglichkeit mehr für Skilanglauf geben wird. Heute spuren die Mitarbeiter des Nationalparks die Loipen und das funktioniert besser als zuvor – aber eben in festgelegten Gebieten, so dass sich die Natur entwickeln kann und parallel Tourismus weiter möglich ist. Das schützt zum Beispiel die Gebiete empfindlicher Arten wie etwa des Auerhuhns im Winter. Von diesem Charaktervogel des Schwarzwalds profitiert auch der Tourismus. Die Entwicklung ging schnell: Die regionalen Tourismusverbände haben sich zeitnah nach der Gründung zu einer gemeinsamen Tourismusregion um den Nationalpark herum zusammengeschlossen.

Bei der Debatte um den möglichen Nationalpark Ostsee gibt es einen ähnlichen Konflikt zwischen Naturschützen und Touristikern...

...und wie bei Ihnen im Norden hatte bei uns damals auch die Landwirtschaft Bedenken, dass sie nicht mehr so wirtschaften kann wie zuvor. Dabei waren in Baden-Württemberg und sind jetzt in Schleswig-Holstein deren Flächen gar nicht betroffen. Seit mehr als 50 Jahren gibt es Debatten um Nationalparks in Deutschland – und die Ängste der Menschen sind jeweils vergleichbar. Allerdings zeichnet auch alle Nationalparks aus, dass deren Akzeptanz sehr schnell steigt, wenn sie erst mal da sind. Das haben wir auch beim Nationalpark Schwarzwald gemerkt.

Wie meinen Sie das?

Vor allem die regionale Wirtschaft hat sehr schnell verstanden, dass der Nationalpark Erkennbarkeit und Identität schafft, die beim Marketing nutzbar ist. Und auch die Debatte um die Kern- oder so genannten Nullnutzungszonen hat sich gewandelt.

Wie genau?

Die Menschen haben erkannt, dass der Nationalpark zu großen Teilen nutz- und betretbar ist. Dafür wird in anderen Teilen die Natur sich selbst überlassen. An den Rändern dieser Zonen gibt es ein intensives Management – etwa des Wildbestandes oder der Borkenkäfer. So können die Kernzonen auch sukzessive ausgeweitet werden.

Warum sind die so wichtig?

Sensible Arten finden dort unberührte Lebensräume und natürliche Prozesse können nach den eigenen Regeln der Natur ungestört ablaufen. Im internationalen Abkommen auf dem Weltnaturgipfel Ende 2022 in Montreal hat sich auch Deutschland verpflichtet, 30 Prozent der Land- und Wasserfläche unter Naturschutz zu stellen. In einem Nationalpark ist das am besten möglich.

An der Ostsee meinen viele Menschen, dass man dafür nur den Schutz in den bestehenden Naturschutzgebieten ausweiten muss...

...diese Argumentation kenne ich. Sicher: Bedrohte Arten können sich auch in kleinen Gebieten erholen. Aber nur in einem Großschutzgebiet ist eine Vielfalt möglich und ungestörte Naturprozesse, die es sonst nicht gäbe. Das ist im Schwarzwald nicht anders als in der Ostsee.

Dafür hat Ihr Parteifreund Umweltminister Tobias Goldschmidt eine Gebietskulisse erstellt, die vielen Menschen Angst macht, weil sie fürchten, dass Wassersport oder Fischerei nicht mehr möglich sein werden.

Einen ähnlichen Suchraum hatten wir in Baden-Württemberg auch. Der umfasste zunächst 20.000 Hektar. Jetzt hat der Nationalpark Schwarzwald eine Fläche von etwas mehr als 10.000 Hektar, weil wir politische und naturschutzfachliche Bedenken berücksichtigt haben. Dadurch ist die Fläche zwar kleiner geworden, wir haben aber auch mit dem Industriestandort Bühl und der Kulturstadt Baden-Baden zwei Städte aufgenommen, die freiwillig eigene Flächen in den Nationalpark eingebracht haben, weil sie die Potenziale erkannt haben.

Trotzdem heißt es hier, der Nationalpark Ostsee sei ein „grünes Prestigeprojekt“...

...das hat man uns auch vorgeworfen. Die Biodiversitätsziele in Deutschland stammen noch von der damaligen Bundesregierung mit Angela Merkel (CDU) und Sigmar Gabriel (SPD). Die ersten deutschen Parke hat die CSU gegründet. Unsere Natur zu bewahren, muss Ziel aller sein. So ein Gebiet ist naturschutzfachlich wichtig und regionalwirtschaftlich klug. Deshalb gibt es ja den Konsultationsprozess. Und in dem haben wir viele überzeugen können, die zu Anfang gegen und am Ende doch für den Nationalpark waren.

Wie lange hat der Prozess bei Ihnen gedauert?

Die Debatte um den Nationalpark Schwarzwald hat direkt nach der Landtagswahl 2011 begonnen. Der Landtag hat die Einrichtung des Nationalparks im Herbst 2013 beschlossen, am 1. Januar 2014 wurde er eröffnet.

In Schleswig-Holstein soll der Konsultationsprozess in einigen Wochen abgeschlossen werden...

...ich habe den Eindruck, dass die Kollegen in Schleswig-Holstein die Prozesse um die Einrichtung von Nationalparks sehr genau verfolgt und ihre Schlüsse daraus gezogen haben. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es wichtig ist, die Menschen mitzunehmen, alle Argumente auf den Tisch zu legen und maximal transparent zu machen, warum es welche Entscheidung gibt. Aber klar ist auch, dass wir am Ende nicht alle Kritiker überzeugen konnten, selbst wenn viele jetzt den Wert des Nationalparks erkannt haben.

Irgendwann muss die Politik harte Entscheidungen treffen?

Dafür gibt es Parlamente. Protestschilder allein reichen noch nicht für eine gute Politik. Manche Gegner kann man nicht durch sachliche Argumente überzeugen, die sind partout gegen einen Nationalpark, weil sie ihn nicht wollen. Das war im Schwarzwald so, und das wird vermutlich auch an der Ostsee so sein. Politik muss sich immer vom Sachargument leiten lassen. Der damalige CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß soll in den 1970er-Jahren zur Einrichtung des ersten deutschen Nationalparks Bayerischer Wald gegen kommunale Kritik gesagt haben, dass das eben ein National- und kein Kommunalpark sei. Tatsächlich ist es so: Irgendwann muss Politik Entscheidungen treffen – und wenn diese sachlich gut sind, dann muss man sich als Politiker auch mal dafür anbrüllen lassen.

Der Ärger hat sich für Sie im Nachhinein gelohnt?

Auf jeden Fall. Am Ende ist es schön für mich zu sehen, dass die Menschen und die Natur im Schwarzwald von ihrem Nationalpark profitieren und ihn genießen. Und wenn ich das als Angehöriger eines „Bergvolks“ sagen darf: Ich bin davon überzeugt, dass die Menschen das auch in einem Nationalpark Ostsee tun werden.

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