Natur

Tanz der Stare: Ein Abend unter der Schwarzen Sonne Aventofts

Tanz der Stare: Ein Abend unter der Schwarzen Sonne Aventofts

SchwarzenSonne in Aventoft

Marco Nehmer
Aventoft
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Flugshow um Leben und Tod: Die Stare bilden einen schwarzen Teppich, der ihre Fressfeinde verwirren soll. Und der Mensch guckt staunend zu. Foto: Marco Nehmer

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Zweimal im Jahr ereignet sich im deutsch-dänischen Grenzland der Tanz der Stare. Ein Naturschauspiel, ein Besuchermagnet – und ein Wirtschaftsfaktor.

Wenn im Frühjahr die Sonne versinkt, geht sie über Aventoft noch einmal auf. Es ist Dienstagabend, kurz vor sieben, der strahlend blaue Himmel eines kaltschönen Apriltages dimmt sich allmählich herunter, der Dämmerung entgegen. Sie kommen bald. Aber noch ist es nicht so weit. „Du bist früh dran“, sagt Iver Gram in seinem mit dänischem Zungenschlag legierten Deutsch. Wenn einer es weiß, dann er. Gram, 68, Ornithologe und Naturschützer, ist der geistige Vater der „Sort Sol“, der Schwarzen Sonne, er hat diesen Begriff vor einem Vierteljahrhundert erfunden. Für dieses einzigartige Naturphänomen, dieses auch heute wieder von Hunderttausenden Singvögeln aufgeführte Flugballett: den Tanz der Stare.

Der Grellsbülldeich ist so etwas wie die Loge der Schaulustigen, der Haasberger See – östliche Blickrichtung – die Bühne. Hier stehen Wohnmobile am Straßenrand, Dutzende Kleinwagen. Sie kommen aus Kiel, Schleswig, viele aus Dänemark wie Sort-Sol-Guru Gram. Heute ist er in privater Mission hier, für die nächsten Tage sind wieder Bustouren seines Unternehmens „Sort Safari“ geplant. Auch Urlauber schauen vorbei, eine Familie aus Montabaur, Rheinland-Pfalz. „Wir waren schon im Herbst da, haben damals nur zufällig vom Tanz der Stare erfahren“, sagen sie. Nun sind sie wieder da. Im Takt der Tiere.

„Sie sind aus ihren Winterquartieren zurückgekommen, um aufzuspecken“, sagt Gram, mustert im nächsten Moment den Reporter: „Wärst du ein Star, dann wärst du innerhalb von sechs Wochen doppelt so schwer.“ Er lacht, während über ihn die ersten kleinen Schwärme ziehen. In den Tagesstunden haben sie in den Feuchtgebieten gefressen, Käfer, Larven, das Zweifache ihres Körpergewichts. Kurz vor dem Sonnenuntergang fliegen sie ein, als wogende Wolke, als magischer Schleier aus Tausend Formationen. Eine Woche machen sie das noch, steuern dann ihre Brutgebiete an, Skandinavien, Russland, Belgien. Im Herbst kommen sie wieder – Mission Winterspeck.

Die Hormone lassen die Stare im Frühjahr besser „performen“ als im Herbst

Dann werden es bis zu zwei Millionen Stare sein. Heute, mittlerweile geht es auf acht Uhr zu, erwartet Gram 200.000 Vögel. „Du kannst ja mitzählen“, sagt er schalkhaft. Wird schwer. Denn die 200.000 sind ganz schön auf Zack. Gram sagt mit seinem einnehmenden Deutschdänisch: „Sie haben sehr viel Hormon drin.“ Paarungszeit halt. Garantin für eine gute Show. „Das Schauspiel“, sagt Gram, „ist im Herbst schlechter.“ Die Montabaurer nicken zustimmend.

Es wird zunehmend frostig, die Kälte wühlt sich durch die Kleidungsschichten derer, die hier auf die Hauptdarsteller warten. Die sind aber noch mit den finalen Vorbereitungen befasst, haben sich in einigen Kilometern Entfernung gesammelt, sitzen auf den Feldern oder in den Bäumen. Und singen. „Beim Fressen gab es den ganzen Tag Streit, jetzt müssen sie sich sozialisieren“, sagt Gram. „Von aggressiv zu sozial, das geht nicht so schnell. Das können wir Menschen auch nicht.“

Der Kampf um Leben und Tod

Der Mensch kommt in der Zivilisation im Zweifel auch als Einzelgänger klar. Aber der Star? Muss sich arrangieren, sonst ist er Abendbrot. Reiher, Sperber, Habicht und Falke lauern schon. „Das hier ist ein Kampf um Leben und Tod“, sagt Gram. „Die Stare können es nur gemeinsam schaffen.“ Als feinmaschiger Tanzreigen, der den Feind verwirrt, ehe er sich im Schilf bettet für die Nacht, eng an eng, bei bis zu 41 Grad. Ein wohliges Heizkissen.

Jetzt endlich ist es dunkel genug für die Stare. Ihr Trieb wird von der Lichtmenge gesteuert, feine, wundersame Sensorik. „Sie wollen den Greifvögeln so wenig Minuten wie möglich geben, um sie zu jagen“, sagt Gram. Aus einer Baumreihe erhebt sich ein schwarzer Schwarm, verschmilzt südlich mit einem weiteren, es streckt und staucht sich, dann zieht das kontrahierende Knäuel nordwärts, sinkt ab, schießt wieder nach oben. Die Menschen staunen, knipsen, filmen, es macht „Ah!“ und „Oh!“. Wie beim Feuerwerk. Mit dem Unterschied, dass dieses Feuerwerk lebt.

Zehntausende in den Bussen, volle Hotels, gut frequentierte Grenzmärkte

„Das ist ein Erlebnis, diese wunderschönen Vögel“, sagt Rudi Cargnelli, mit seiner Frau Margit extra für diesen Moment aus Sønderborg gekommen, im Privatwagen. Früher, sagen sie, seien sie regelmäßig mit den Bussen von „Sort Safari“ angereist. Wie so viele. „Wir schaffen etwa 25.000 bis 45.000 Gäste pro Jahr, das ist schon eine Menge“, sagt Iver Gram. Die Schwarze Sonne ist eben auch ein Wirtschaftsfaktor, die Hotels in der Tonderner Marsch sind ausgebucht, Grenzorte wie Süderlügum profitieren vom deutsch-dänischen Naturtourismus.

Die Stare setzen jetzt zur Landung an. Die allermeisten haben es geschafft, auf ihre Kosten sind die Greifvögel trotzdem gekommen, für eine kleine Beute reicht es immer. Wo Leben ist, ist Tod. Wo Sonne ist, ist Schatten. Das ist der Lauf der Dinge.

Der Mond spiegelt sich auf der Süderau, zart tänzelnd in seichten Wellen. Es wird bald Nacht. Die Wohnmobile wenden auf der Landstraße, die Kleinwagen. Genug für heute. Morgen geht sie dann wieder zweimal auf, die Sonne über Aventoft.

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