Krieg in der Ukraine

Ukrainerinnen Taiysia, Tetyana und Viktoriia wollen von Kappeln aus helfen

Ukrainerinnen Taiysia, Tetyana und Viktoriia wollen von Kappeln aus helfen

Ukrainerinnen Taiysia, Tetyana und Viktoriia wollen von Kappeln aus helfen

SHZ
Kappeln
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Erstmal sind sie in Kappeln sicher untergebracht, aber sie wünschen sich, bald in ihre Heimat zurückkehren zu können: Tetyana, Viktoriia, Taiysia und Hanna (v.li.) am Weidefelder Strand. Foto: Doris Smit Foto: 90037

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Sie haben schon bei Theo Kalmar im „Lobster“ am Weidefelder Strand in Kappeln gearbeitet. Nun sind Taiysia, Tetyana und Viktoriia auf der Flucht vor dem Krieg in der Ukraine wieder da.

Im Februar griffen Putins Truppen das Nachbarland an. Im März kam Hanna* aus der Ukraine nach Kappeln. Sie hatte ihre Heimatstadt Odessa verlassen und flüchtete vor dem Krieg nach Weidefeld zu Theo Kalmar, in dessen Strandimbiss „Lobster“ die 23-Jährige bereits 2017 und 2018 für einige Wochen gearbeitet hatte.

Drei Studentinnen suchen Schutz in Weidefeld

Jetzt hat sie Gesellschaft aus ihrer Heimat bekommen. Inzwischen sind auch Taiysia, Tetyana und Viktoriia angekommen. Die drei Studentinnen leben und studieren eigentlich in Kiew oder der nahen Umgebung und wollten im Juni sowie nach Deutschland kommen, um ihre deutschen Sprachkenntnisse zu vertiefen. Mit dem Krieg kam nun auch für sie alles anders.

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Theo Kalmar sitzt zwischen den vier jungen Frauen, die sich lebhaft, aber ernst in ihrer Landessprache unterhalten. Seine Frau und er hatten ständigen Kontakt zu den Ukrainerinnen, auch Taiysia, Tetyana und Viktoriia haben bereits im „Lobster“ gejobbt. Per WhatsApp hat sich Kalmar unter anderen mit ihnen seit dem Einmarsch der russischen Armee am 24. Februar ausgetauscht.


Taiysia (21) studiert in Kiew Zollwesen. Sie erzählt, wie sie den Ausbruch des Krieges erlebt hat. „Die Leiterin unseres Studentenwohnheims hat uns sofort alle nach Hause geschickt. Ich wollte auch weg, aber das wollten in dem Moment viele. Es herrschte Panik und war chaotisch“, erinnert sie sich an den Donnerstag.

16 Stunden dauerte der Weg aus der Stadt

16 Stunden habe es gedauert bis sie über Hostomel die Stadt verlassen und sich auf den Weg in das Dorf ihrer Eltern in Wolhynien, einem Gebiet in der nordwestlichen Ukraine, machen konnte. „Der Weg war sehr anstrengend, auch mental. Überall waren Panzer und Soldaten mit schweren Waffen“, sagt sie.


Tetyana (21) war zu diesem Zeitpunkt schon bei ihren Eltern auf dem Land in Tschertsche. Die Studentin der Deutschen Philologie in Luzk hat während der vergangenen Monate aufgrund der Pandemie online studiert. „Für uns kam der Krieg so unerwartet, wir konnten gar nicht glauben, dass das wirklich passiert“, sagt sie. Die Menschen gerieten in Panik, keiner wusste so richtig, was zu tun ist.

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So hat es auch ihre Kommilitonin Viktoriia (21) erlebt. Als sie um 6 Uhr aufgestanden ist, fand sie ihre Eltern und die kleine Schwester weinend vor. In ihrem Dorf haben die Menschen in Panik viele Lebensmittel gekauft. „Und wir haben begonnen für die Armee zu sammeln, Bettdecken, Lebensmittel, Geld.“

Tarnnetze knüpfen und Schutzwesten nähen

Taiysia berichtet, dass sie die ersten zwei Tage bei ihren Eltern nur im Bett verbringen konnte. Dann habe sie sich beruhigt und wollte sofort helfen. Sie hat Essen für die Soldaten vorbereitet und verteilt. Tetyana und Viktoriia haben Tarnnetze geknüpft, Stahlplatten in Schutzwesten genäht und Spenden gesammelt. Viktoriia berichtet, dass ein Schulfreund von dem Geld ein Militärfahrzeug kaufen und aus Polen holen konnte. „Er kämpft jetzt damit in der Ostukraine.“


Sie erzählt auch von drei ihrer Cousins, die jetzt in der ukrainischen Armee dienen. Einer verteidigt die Stadtgrenze von Kiew, einer ist in der Ostukraine. „Wo genau, wissen wir nie. Sie dürfen es nicht sagen, das ist zu gefährlich. Aber sie berichten, dass die Erde um sie herum von den Einschlägen ständig bebt.“

Der dritte Cousin wurde im Süden des Landes verwundet. „Es geht ihm schlecht. Zwei seiner engsten Freunde sind in Mariupol gestorben. Er fühlt sich schuldig, weil er noch lebt...“, sagt Viktoriia, es fällt ihr schwer, darüber zu sprechen.

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Die drei jungen Frauen wollten in ihrem Land bleiben um zu helfen. Aber das Geld wird immer knapper, für die Familien wird es immer schwerer, mit den verbliebenen Dingen auszukommen. Teilweise kommen Flüchtlinge aus anderen Gebieten der Ukraine noch dazu. „Wir haben verstanden, dass wir zuhause nicht viel ändern können. Vielleicht können wir von hier aus mehr erreichen“, sagt Tetyana. Sie warten auf ihre Arbeitserlaubnis, möchten Geld verdienen und so unterstützen.

Außerdem möchten sie auch weiter aufklären. Viktoriia berichtet von eigenen Verwandten, die in Russland leben, nur dem Staatsfernsehen folgen und nach wie vor geschlossen hinter Putin stehen. „Das ist eine Katastrophe“, sagt sie.


Hanna (23) sitzt mit den drei Frauen zusammen, übersetzt hier und da. Sie arbeitet inzwischen im „Lobster“, plant länger in Kappeln zu bleiben und eine Ausbildung zur Fachkraft für Gastronomie zu machen. In Odessa gehe die Bombadierung indes weiter. Die Sirenen heulen jeden Tag. Ihr Vater und ihre Großmutter müssen fast täglich in den Luftschutzbunker. Und das Geld geht aus. „Meine Oma verkauft die Blumen aus unserem Garten“, sagt Hanna.

Gefeierter Sieg beim ESC

Gefeiert haben die Ukrainerinnen den Sieg ihres Landes beim European Song Contest – und die Solidarität. Das Siegerlied „Stefania“ vom Kalush Orchestra ist in der Ukraine schon sehr bekannt. „Es ist wie eine Hymne für uns“, sagt Viktoriia. Sie bewundere den Mut des Sängers, der auf der Bühne auf die Situation in Mariupol und im Asovstal hingewiesen hatte und damit die Disqualifikation riskierte.


Die drei Studentinnen sind sich einig. Sie stehen hinter ihrem Land und Präsident Wladimir Selenski. „Den haben wir alle gewählt“, sagt Tetyana. Man glaube, dass die Ukraine und die Gerechtigkeit siegen werde. „Und dann wollen wir so schnell wie möglich zurück in die Ukraine. Wir hoffen, dass alles wieder so wird wie früher. Oder lieber: noch besser als früher!“

*Zum Schutz der Frauen verzichtet die Redaktion auf die Nennung der Nachnamen.

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