Kriegsgefangene aus der Sowjetunion

Das vergessene Todeslager von Flensburg-Weiche: Spurensuche mit Historiker Claus Olsen

Das vergessene Todeslager von Flensburg-Weiche: Spurensuche

Das vergessene Todeslager von Flensburg-Weiche

Ove Jensen
Flensburg
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Der Historiker Claus Olsen beschäftigt sich schon seit Jahrzehnten mit der Geschichte der NS-Zeit in Flensburg und der Region. Foto: Ove Jensen/shz.de

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Innerhalb von wenigen Monaten starben Anfang 1942 in einem Lager in Weiche 80 von 150 Kriegsgefangenen. Dieses dunkle Kapitel der Flensburger Stadtgeschichte ist heute nahezu vergessen.

Dort, wo vor 80 Jahren 80 Menschen unter elenden Umständen ums Leben kamen, steht heute ein Denkmal auf einer künstlichen Anhöhe. Doch die Metallskulptur erinnert nicht an die sowjetischen Kriegsgefangenen, die hier im Frühjahr 1942 an Entkräftung und am Fleckfieber starben. Sie zeigt den mythischen König Arrild, der hier in der Nähe begraben sein soll.

In diesem Wohngebiet in Flensburg-Weiche, zwischen Jägerweg und Ebenezer-Howard-Allee, erinnert nichts mehr an das Todeslager, das die Nazis hier um die Jahreswende 1941/42 einrichteten.

Auch dem Flensburger Historiker Claus Olsen war das Ausmaß des Schreckens, der sich hier zutrug, nicht bekannt. Bis er bei einer Recherche auf der Webseite des Dokumentationszentrums Arolsen Archives auf Listen mit den Namen der Verstorbenen aus diesem Kriegsgefangenenlager stieß.

Der 63-Jährige, der als Geschichtslehrer in Kappeln arbeitet, begann weiterzuforschen. Demnächst veröffentlicht er seine Ergebnisse in den „Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte“, einer Fachzeitschrift, die sich vor allem der Aufarbeitung der NS-Zeit widmet.

Schon bei Ankunft in Flensburg halb verhungert

Darin wird er berichten, dass die rund 150 sowjetischen Kriegsgefangenen schon halb verhungert waren, als sie aus Sandbostel bei Bremen nach Flensburg gebracht wurden. Während sie in Sandbostel in Erdhöhlen hausen mussten, hatten sie hier immerhin Baracken. Wirklich besser ging es ihnen trotzdem nicht.

Sie waren geholt worden, um den Flugplatz Flensburg-Schäferhaus auszubauen zu einem Militär-Fliegerhorst. Vermutlich sollten von hier aus Angriffe auf England geflogen werden.

Doch die völlig entkräfteten Männer waren kaum in der Lage, die Arbeiten auszuführen, für die sie vorgesehen waren. Olsen spricht von 20 Prozent Arbeitskraft.

Viele starben am Fleckfieber

Im Lager brach das Fleckfieber aus. Das Lager wurde von der Außenwelt abgeriegelt. Die Gefangenen wurden notdürftig mit Lebensmitteln versorgt. Nach kaum mehr als vier Monaten waren 80 der 150 Männer tot. Bestattet wurden sie auf dem Friedhof Friedenshügel. Wie diese Bestattungen stattfanden, konnte Claus Olsen noch nicht rekonstruieren.

Bevor sich der Historiker auf Spurensuche begab, war dieses dunkle Kapitel der Flensburger Stadtgeschichte praktisch komplett unerforscht.

Die einzige Fotografie aus jener Zeit, die Olsen auftreiben konnte, ist dieses Luftbild aus dem Mai 1945:

Bekannt ist, dass sich vor dem Krieg auf dem Gelände das Gut Jägerslust befand. Ein Großteil der jüdischen Eigentümerfamilie Wolff wurde in Auschwitz und anderen Vernichtungslagern umgebracht.

Nach dem Krieg lebten in den Baracken am heutigen Stiftungsland Schäferhaus Vertriebene aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten. Claus Olsen hofft, dass es aus dieser Zeit vielleicht noch Fotos von dem Gelände gibt. Sie würden vielleicht ansatzweise greifbar machen, wie das Kriegsgefangenenlager aussah.

Von den Gefangenen selbst gibt es keine Berichte. Die Überlebenden wurden im Frühjahr 1942 zum „Aufpäppeln“ auf Bauernhöfe in der Region verteilt.

Benachteiligung nach der Rückkehr in die Sowjetunion

Nach ihrer Rückkehr nach Russland und in andere Teilrepubliken der Sowjetunion dürfte es ihnen nicht gut ergangen sein, sagt Claus Olsen. Wer im Krieg in Gefangenschaft geraten war, stand im Verdacht, mit dem Feind kollaboriert zu haben. Olsen: „Offiziere wurden hingerichtet oder landeten für viele Jahre im Gulag.“

Wer einfacher Soldat war, wurde zwar in der Regel nicht verhaftet, hatte aber mit Diskriminierungen in vielen Lebensbereichen zu rechnen. Die Folge: Man schwieg über das Erlebte. Auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion änderte sich das nicht.

So weiß Olsen über die Gefangenen noch immer kaum mehr als ihre Namen, die er auf den Listen des Dokumentationszentrums in Arolsen gefunden hat.

Wer Bilder und andere Informationen aus jener Zeit hat, auch über die Flüchtlingsunterkünfte nach dem Krieg oder aus den Bauernhöfen, auf denen die Überlebenden arbeiteten, kann sich bei Claus Olsen melden: E-Mail coflens@gmail.com – Telefon 0175/5546789.

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