Flensburg

Vier mal so viele Teilnehmer: Corona-„Spaziergang“ stellt Gegendemo in den Schatten

Corona-„Spaziergang“ stellt Gegendemo in den Schatten

Corona-„Spaziergang“ stellt Gegendemo in den Schatten

SHZ
Flensburg
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„Für ein buntes Flensburg: 150 Demonstranten versammelten sich am Samstagnachmittag vor dem Rathaus. Foto: Marcus Dewanger/shz.de

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150 Demonstranten, die ein Zeichen für ein buntes und solidarisches Flensburg setzen wollten, standen am Samstag 600 „Spaziergängern“ gegenüber, die gegen die Corona-Maßnahmen mobil machten.

500 Menschen hatten die Veranstalter zu der Demonstration am Samstagnachmittag erwartet. Ein breites Bündnis aus Parteien, Vereinen und Gewerkschaften hatte unter dem Motto „Flensburg bleibt bunt – gemeinsam gegen Corona“ dazu aufgerufen, ein Zeichen zu setzen gegen die hunderten „Spaziergänger“, die an den vergangenen Wochenenden durch die Flensburger Innenstadt gezogen waren und gegen die Corona-Maßnahmen protestiert hatten.

Den Querdenkern nicht die Straße überlassen

Auch wenn Initiator Kianusch Stender, SPD-Landtagskandidat, die Veranstaltung nicht als Gegen-Demonstration versteht, es gehe vielmehr darum, auf positive Weise für ein buntes, offenes und solidarisches Flensburg einzustehen, wird Bürgermeister Henning Brüggemann in seiner Rede deutlich: „Der Vernunft gehört die Straße. Wir müssen gegenhalten gegen die Okkupation der Straße durch die Querdenker.“


Als Redner treten zudem Sanitäter Kim Petersen und Lehrerin Annabell Pescher (Grünen-Landtagskandidatin) auf. Beide erzählen aus ihrem Berufsalltag, berichten von Drohmails, prangern Desinformation in den sozialen Medien an und appellieren, sich gegen das Corona-Virus impfen zu lassen.

Diese Appelle erreichen aber weit weniger Menschen, als es sich die Veranstalter erhofft hatten. Als sich der Demonstrationszug am Nachmittag auf den Weg vom Rathaus zur Hafenspitze macht, zählt die Gruppe nach Polizeiangaben rund 150 Teilnehmer.

600 Menschen demonstrieren gegen die Corona-Maßnahmen

Kurz nachdem sich die Demonstration gegen 16 Uhr am Hafen auflöst, nähern sich langsam Einsatzwagen der Polizei mit Blaulicht. Sie begleiten einen Protestzug von Gegnern der Corona-Maßnahmen, der vom ZOB zum Nordertor gezogen war und nun erneut den ZOB ansteuert. Zeitgleich mit der Demonstration „Flensburg bleibt bunt“ hatten sich wie an den vergangenen Wochenenden Bürger versammelt, um einen „Spaziergang“ zu machen, wie die unangemeldete Protestaktion deklariert wird.


Es sind nach Polizeiangaben rund 600 Menschen, die an diesem Nachmittag skandierend und die geltenden Corona-Vorschriften missachtend, den Hafen entlang marschieren. Ein Mann trägt ein großes Kreuz aus Holz mit sich. „Parteienmafia“ steht darauf.

Nähert man sich dem Demonstrationszug, wird schnell klar: Journalisten sind hier nicht gern gesehen. Kommt man dennoch mit Teilnehmern ins Gespräch, zeigt sich eine Melange aus ganz unterschiedlichen Menschen, die hier zusammenkommen.

Von Impfgegnern bis zu Verschwörungstheoretikern

Da ist eine ältere Dame, die sich gegen die Impfpflicht ausspricht. Die sonstigen Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie unterstütze sie ja, und auch ihre drei Kinder seien bereits geimpft. Doch sie selbst wolle das nicht. Sie sei hier, um für Freiheit und Selbstbestimmung und gegen die Impfpflicht zu protestieren. Wer bei der Demonstration noch mitlaufe, da habe sie ja keinen Einfluss drauf, sagt sie.

Mitlaufen tut zum Beispiel ein Mann mittleren Alters, der bereitwillig seine Sicht auf die Corona-Maßnahmen, aber auch sein Weltbild darlegt. Zusammenfassung eines rund 15-minütigen Gesprächs: Das Corona-Virus sei nicht gefährlich, es sei wie jedes andere Grippevirus auch, sagt er und beruft sich auf Wolfgang Wodarg. Dieser gilt als einer der Köpfe der Partei Die Basis, die der „Querdenker“-Bewegung nahesteht.

Das Virus sei eine große Panikmache und ein Ablenkungsmanöver, mit dem Eliten wie Bill Gates die Menschen kontrollieren und reduzieren wollten. Die Medien seien Teil eines korrupten Systems, weshalb er sich im Internet informiere. Er zählt verschiedene Quellen auf, die dem Verschwörungstheoretiker-Milieu zuzuordnen sind. Vom Buddhismus über Satelliten und Nanopartikel landet seine Erzählung bei Außerirdischen, die das Handy erfunden hätten. Von Menschenhand sei so etwas ja gar nicht möglich.

Lange kündigt mit Blick auf „Spaziergänger“ weitere Prüfung an

Enttäuschung darüber, dass die „Spaziergänger“, gegen die man ein Zeichen setzen wollte, am Samstag in einer viermal so großen Zahl in der Flensburger Innenstadt unterwegs sind, wollen sich Initiator Kianusch Stendrl und Oberbürgermeistern Simone Lange nicht anmerken lassen.


Dass die große Mehrheit der Bürger in der Pandemie solidarisch sei, sehe man ja täglich in den Impfkabinen der Stadt, sagt Stender. Und er habe Verständnis, dass vor Weihnachten vermutlich viele Menschen lieber ihre Kontakte reduzieren, statt eine Demo zu besuchen.


Simone Lange pflichtet ihm bei: „Nur auf die Zahl der Teilnehmer zu schauen, ist viel zu kurz gegriffen.“ Mit Blick auf die unangemeldeten und Regeln missachtenden Protestzüge kündigt sie weitergehende juristische Prüfungen an. „Spätestens heute hat man klar gesehen, dass das keine Spaziergänger sind. Das hat ganz eindeutig den Charakter von geplanten Kundgebungen.“ Die Versammlungsfreiheit stehe selbstverständlich nicht zur Debatte, aber jeder habe sich an die Regeln zu halten.

Als sich der Protestzug der Maßnahmen-Gegner gegen 16:30 Uhr am ZOB auflöst, läuft eine Frau durch die Menge. „Montag 18 Uhr. Spaziergang“, verbreitet sie.

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