Krieg in der Ukraine

Vom Krieg getrennt, in Schleswig wiedervereint: Familie Kudin ist aus der Ukraine geflohen

Familie Kudin ist aus der Ukraine geflohen

Familie Kudin ist aus der Ukraine geflohen

SHZ
Schleswig
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Familie Kudin endlich wieder zusammen: Vater Andriy, Mutter Yulia und Sohn Timofii mit seinem Kaninchen Tyson. Foto: Marle Liebelt/shz.de

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Der Krieg hat für Familie Kudin aus Kiew alles verändert. „Unser Leben steckt jetzt in zwei Taschen und einem Kaninchen-Käfig“, sagt Vater Andriy, der seine Familie jetzt wieder in die Arme schließen konnte.

„Ich habe zu Gott gebetet, dass wir uns wiedersehen“, sagt Andriy Kudin. Der Vater musste sich in der Ukraine erst von seinem Sohn Timofii und dann von seiner Frau Yulia verabschieden, weil er noch nicht ausreisen durfte.

„Am zweiten Tag nach Beginn des Krieges haben wir unsere Taschen gepackt und Kiew verlassen“, sagt Kudin. Die Familie hatte einen Bombenalarm im Keller ausgeharrt, dann war klar: „Wir können nicht bleiben.“ Weil Andriy eine Lähmung im rechten Bein hat, musste er nicht bleiben, um gegen die Russen zu kämpfen. Aber er benötigte entsprechende medizinische Dokumente, um das Land verlassen zu können.

„Wir sind bei Freunden mitgefahren, in drei Autos.“ Eines der Autos hatte einen Unfall und so konnten nicht alle weiter. Andriy und Yulia wollten ihren Sohn in Sicherheit wissen, also haben sie ihn in die Obhut ihrer befreundeten Familie gegeben, die Timofii mit nach Warschau genommen hat. Dort angekommen stellte sich heraus: Timofii würde nicht lange bleiben können, die Wohnung bot nicht genügend Platz.

Ohne Vater Andriy nach Schleswig

Also verabschiedete Yulia sich von ihrem Mann und machte sich auf den Weg zu ihrem Sohn, um die Flucht mit ihm gemeinsam fortzusetzen. Kontakte vermittelten sie an eine Frau – die Schwiegertochter von Regina und Armin Teschner. Die beiden Schleswiger hatten ihrer ukrainischen Schwiegertochter gesagt, sie wollten helfen, könnten Ukrainern eine Unterkunft bieten. Und so kam eins zum anderen und Yulia reiste mit ihrem Sohn Timofii nach Schleswig, wo sie am Montag von den Teschners empfangen wurden.

Georg Hillenkamp von der Pfarrei Sankt Ansgar hatte kurz darauf angeboten, dass die Familie im ehemaligen Schwesternwohnheim der katholischen St.-Ansgar-Kirche in der Gutenbergstraße wohnen könnte. Das stand leer, aber es musste viel gemacht werden.

„Wir haben über Whatsapp einen Aufruf gestartet, dass wir Spenden und helfende Hände benötigen, um die Wohnung bezugsfertig zu machen“, sagt Regina Teschner. Was dann geschah, überwältigte sie und ihren Mann: „So viele Menschen haben gespendet – Haushaltsgeräte, Matratzen, Geschirr.“ Und in der Wohnung gab es einiges zu tun. Dass das alles innerhalb weniger Tage klappte, rührt das Paar.

Kaninchen Tyson im Gepäck

Doch Familie Kudin war noch nicht am Ziel. Mutter und Sohn waren in Sicherheit, aber Vater Andriy fehlte. Die für die Ausreise benötigten Dokumente kamen zum Glück und Andriy fuhr mit dem Bus über die polnisch-ukrainische Grenze und schließlich mit dem Zug weiter bis Schleswig, wo er am Freitag ankam.

Als er aus dem Zug ausstieg, konnte die Familie ihr Glück kaum fassen. Und Andriy kam nicht alleine: Mit im Gepäck hatte er Tyson – ebenfalls wohlauf, wenn auch mächtig mitgenommen von der Reise durch Europa. Das Kaninchen wurde von Timofii schon schmerzlich vermisst. Seit er Tyson wieder hat, möchte er ihn am liebsten gar nicht mehr aus dem Arm geben.

„Dass wir gesund und zusammen sind, ist für mich das größte Glück, alles andere zählt nicht“, sagt Andryi Kudin, der auch Deutsch spricht. Aber die jüngsten Ereignisse in seinem Land haben Spuren hinterlassen. Seine größte Angst? „Dass meinen Eltern in der Ukraine etwas passiert“, sagt Kudin. Pause – sein Schweigen nimmt den ganzen Raum ein. „Was Putin uns antut, meiner Familie, meinem Land – es ist so schrecklich. Der Krieg hat alles verändert.“

Über den Valentinstag Mitte Februar waren er und seine Frau noch in Spanien im Urlaub. „Am 19. Februar waren wir im Kino.“ Alles sei gewesen, wie immer. „Wir waren im Urlaub, haben gearbeitet, unser Sohn ist zur Schule gegangen, wir hatten Pläne für die Zukunft. Und am 24. Februar hat der Krieg alles kaputt gemacht“, erzählt der Vater, der bis vor kurzem noch als Autohändler gearbeitet hat. „Unser Leben steckt jetzt in zwei Taschen und einem Kaninchen-Käfig. Was soll ich noch sagen?“ Für das, was Familien wie die Kudins erleben, gibt es keine Worte.

„Dass wir jetzt hier sein dürfen – zusammen, ein Dach über unserem Kopf – das bedeutet mir alles“, sagt Andriy Kudin. „Wir möchten uns so gern bedanken bei den Menschen, die uns geholfen haben und immer noch helfen. Besonders Regina und Armin.“ In wenigen Tagen erwarten die Kudins noch die Anreise von Yulias Mutter und einer Freundin mit ihrem Kind, für sie ist ebenfalls im Schwesternheim der St.-Ansgar-Kirche Platz.

Eine Angel wäre das Größte

Regina Teschner appelliert an die Schleswiger, ihre Hilfsbereitschaft weiter beizubehalten. „Das wird gerade so sehr gebraucht.“ Familie Kudin sei mit dem Nötigsten versorgt. Sie wisse aber von Timofii, dass er es liebt zu angeln. „Er hat hier keine Angel und wir verstehen nichts davon. Wenn sich jemand finden würde, der mit Timofii und seinem Vater einen Angelausflug machen möchte, wäre das für Timofii sicher das Größte.“ Die Teschners könnten den Kontakt vermitteln (04621/861275). Ansonsten würden Lebensmittel weiterhelfen oder ein Auslaufgehege für Tyson, er sei bloß in einem kleinen Handkäfig gekommen.

Familie Kudin sei zwar bereits beim Kreis angemeldet, so Teschner, „aber von denen haben wir noch nichts gehört und die Familie hat auch noch keinen Cent vom Amt bekommen. Wenn jemand also mal einen Korb Lebensmittel vor die Tür stellen möchte, würde das schon viel helfen.“

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