Erzählungssammlung „Mattje“

Warum ein altes Buch über Eiderstedt von Anny Marwig Rubin noch immer aktuell ist

Warum ein altes Buch über Eiderstedt noch immer aktuell ist

Warum ein altes Buch über Eiderstedt noch immer aktuell ist

Frank Spyra
Eiderstedt
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Anny Rubin Marwig im Alter von 80 Jahren. Sieben Jahr später, 1980, verstarb die umtriebige, gebürtige Eiderstedterin. Foto: privat/shz.de

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Lang vergangen sind die Zeiten, aus denen Anny Marwig Rubin über Eiderstedt berichtet. Nun ist die Erzählungssammlung „Mattje“ der 1980 verstorbenen Autorin neu erschienen.

„Am selben Nachmittag stemmt sich Mattje mühsam gegen den Wind, um voranzukommen. Nieselregen schlägt ihr ins Gesicht.“ Mit diesem Satz beginnt einer der Absätze in der neuen Übersetzung von Anny Marwig Rubins (1893 bis 1980) Erzählungssammlung „Mattje“. Wäre Eiderstedt ein Buch, könnte man diese Sätze auf jeder zufällig aufgeschlagenen Seite finden. Die Autorin ist bereits seit langem tot, aber in ihren Erzählungen hat sie Stimmungen eingefangen, die noch heute charakteristisch für die Halbinsel und ihre Menschen sind.

Die Titelheldin ist so eine. Sie führt ein einfaches Leben als Totenfrau, wie es heute nicht mehr anzutreffen ist. Und doch, mit Eiderstedter Selbstverständlichkeit kümmert sie sich noch um ihre eigene Beerdigung. Erfolglos, wie sich am Ende der Erzählung herausstellt, – und umsonst. Sie wird zwischen Tür und Angel am Rande des Friedhofs begraben.

Die Autorin Marwig Rubin stammt selbst aus Katharinenheerd in Eiderstedt, hier und da hört man den Namen noch. 1917 ging sie von Kiel, wo sie Kunst studierte, nach Schweden. Daher verfasste sie ihre Bücher auf Schwedisch, erinnert sich ihr Großneffe, Christian Marwig aus Tümlauer Koog. Die Großtante soll ein Freigeist gewesen sein, die ihren eigenen Kopf durchsetzte – was manchmal auch mit Reibungen zu ihrem Umfeld verbunden war.

Anny Rubin Marwig in Schweden: Zwischen Naturverbundenheit und Bohème

Marwig Rubin führte ein facettenreiches Leben, weiß der Nachkomme. So habe sie einerseits auf einer Insel gelebt, habe Holz gehackt und Fische gefangen. Gleichzeitig habe sie aber auch die schwedische Bohème ihrer Zeit in ihrer Stockholmer Wohnung um sich geschart. Journalisten und Künstler seien ein und aus gegangen. „Sie war kernig“, erzählt der Neffe. „Sie hat das gemacht, was sie wollte, und ließ sich nicht reinreden.“

Zurück ins Buch: Marion arbeitet in einem namenlosen Badeort und läuft durch die Dünen. In den vergangenen Wochen hatte sie es nie geschafft, noch einmal nach dem Küchendienst herzukommen. Doch heute ist es so weit. Während sie noch daran denkt, ihren Freund nach dem Sommer einzuladen, weil sie nach der Saison endlich Urlaub nehmen kann, lässt sie ihre Schuhe am Strand stehen und geht ins Watt.

Rubin Marwig beschreibt es nur indirekt, aber dem Leser wird innerhalb einer halben Seite klar, dass Marion aus ihrem Spaziergang in eine Todesfalle tappt. Sie hat die Flut unterschätzt. Am Strand versammeln sich die Badegäste, finden die Schuhe, sehen einen Vogelscharm über dem Wasser. Die Erzählung „Ebbe“ könnte auch heute noch so ähnlich passieren.

Kunststudium in Kiel

Als Anny Rubin Marwig stirbt, ist sie weit über 80 Jahre alt. Sie bereiste die Welt. „In den 50er Jahren hat einige Zeit am Hof vom Haile Selassie in Äthiopien gelebt“, berichtet Großneffe Marwig. In dieser Zeit entstand auch ihr Buch „Komm mit nach Afrika“, in dem sie eine Reise mit ihrem Sohn Arne Rubin verarbeitete, der Botschafter bei den Vereinten Nationen war. Ihr zweiter Sohn, Bertil, war Reichtagsabgeordneter.

„Sie war eine aus Garding“, fasst der Großneffe zusammen, „die nach Kiel ging, um Kunst zu studieren.“ Und doch blieb sie Eiderstedt verhaftet – kam immer wieder zu Besuch und schrieb über die Halbinsel.

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