Lübeck

Warum unser Wissen über Störtebeker und Maria Magdalena falsch ist

Warum unser Wissen über Störtebeker und Maria Magdalena falsch ist

Warum unser Wissen über Störtebeker falsch ist

Karin Lubowski/shz.de
Lübeck
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Klaus Störtebeker, der Robin Hood der Nordmeere? Praktisch nichts ist zu der vermeintlich historischen Figur belegt. Foto: Imago/shz.de

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Störtebeker, Maria Magdalena – was wir von ihnen wissen, stammt zumeist aus der Feder eines Lübecker Mönchs. Dabei jedoch nahm Hermann Korner es mit der Wahrheit nicht ganz so genau. Und dichtete der Historie viel Geschichte dazu.

Lübeck, erste Hälfte 15. Jahrhundert. Im Burgkloster hat sich der Dominikanermönch Hermann Korner der Aufgabe verschrieben, eine Chronik von der Schöpfung der Welt bis in seine Gegenwart zu verfassen. Diese Chronica novella ist so erfolgreich, dass sie in vier lateinischen und einer niederdeutschen Fassung erscheint.

Doch der Mönch wird von Fassung zu Fassung erzählfreudiger. Korner schmückt aus: die Geschichte des Freibeuters Klaus Störtebeker, der auf dem Hamburger Grasbrook geköpft wird; auch die Geschichte der heiligen Maria Magdalena, die den Lübeckern in der Schlacht bei Bornhöved zum Sieg über den dänischen König verhilft, indem sie die blendenden Sonnenstrahlen umlenkt. Bis heute glauben wir ihm gerne.

Er schreibt, als wäre er dabei gewesen - rund 200 Jahre später

Zum Beispiel die Schlacht bei Bornhöved, in deren Folge Lübeck zur führenden Metropole im Hanse-Raum aufsteigen wird. Als sei er dabei gewesen, schildert der Mönch die Ereignisse vom 22. Juli 1227 – es ist der Tag der heiligen Maria Magdalena –, die dem dänischen König Waldemar endgültig die Herrschaft unter anderem über Lübeck kostete. Zwar liegen zwischen Schlacht und Korners Wirken rund 200 Jahre, doch ist das Geschehen bereits von vorigen Chronisten festgehalten.

Es sind nüchterne Vorlagen, die von einem „Streit so groß, dass in dem Lande nie ein größerer Streit gewesen ist“ berichten. Gegen König Waldemar ziehen ins Feld der Bischof von Bremen und „Herzog Albert von Sachsen, Graf Adolf von Holstein, Graf Heinrich von Schwerin und die wendischen Herren: mit ihnen zogen die Bürger von Lübeck“, heißt es im 14. Jahrhundert in der Detmar-Chronik.

Ein Sieg über Waldemar war keineswegs zu erwarten. Als er dennoch gelang, dankten die Lübecker der Tagesheiligen mit dem Bau eines ihr geweihten Klosters, dem Burgkloster, das an Stelle der dänischen Burg errichtet wird und in das nun Dominikaner einziehen. Verbunden mit dem Gelübde ist auch eine jährliche Armenspeisung.

Der Mönch erfindet den Eingriff einer Heiligen

Von einem überirdischen Eingreifen indessen kein Wort. Bis sich Hermann Korner ans Werk macht – und der Stadt nicht nur eine dauerhafte Identifikationsfigur beziehungsweise -legende beschert. Aus den Lübecker Bürgern, die bis hierhin Schlachtbeteiligte waren, macht er Hauptakteure, Helden und Gewinner. „Korner schreibt vom Lübeckischen Heer, wenn er die Verbündeten meint“, stellt der Historiker Sascha Möbius („Das Gedächtnis der Reichstadt“, 2011) fest und:

Zuvor war bestenfalls von einer Segnung die Rede gewesen. Lübeck, so lautet das Signal, das via Korner in die Welt geschickt wird, steht unter dem Schutz Gottes und seiner Heiligen.

Vom Soldaten zum Doktor der Theologie

Als besonders auffällig bezeichnet Möbius kriegerische Details eines seit 200 Jahren vergangenen Ereignisses bei Korner. Dies mag in seiner Biographie begründet sein, denn Hermann Korner findet relativ spät und über Umwege ins Kloster. Was über ihn bekannt ist, haben der Germanist Hartmut Freytag und die Kunsthistorikerin und ehemaligen Leiterin des Lübecker St. Annen-Museums, Hildegard Vogeler, zusammengefasst:

Korner wird bald nach 1365 in Lübeck geboren und ist zunächst im Jahr 1386 als Hauptmann einer Lübeckischen Söldnertruppe erwähnt. Bekannt ist sein Kampf gegen holsteinische Straßenräuber, denen er vor den Toren Kiels eine verheerende Niederlage bereitet. Gefallene Kameraden habe er voller Mühen nach Lübeck zurückgeschafft und bestatten lassen, heißt es.

Als Dominikanermönch findet sich Hermann Korner erst mit etwa 30 Jahren im Lübecker Burgkloster ein und startet von hier aus eine beachtliche geistige und geistliche Karriere. Er wird unter anderem Lesemeister in Halberstadt und Magdeburg, Prior im Hamburger St. Johanniskloster und ist 1417 als Lesemeister in seinem Lübecker Heimatkonvent bezeugt. 1431 beginnt der zirka 65-Jährige in Erfurt ein Studium, das er 1435 als Doktor der Theologie abschließt. 1438 stirbt Hermann Korner in Lübeck.

Lübeck ehrt den Mönch und seine Heilige

Dort hat man seine lebhaften Schilderungen um die Schlacht bei Bornhöved so begierig aufgesogen, dass sie sich in der Bilderwelt niederschlagen – in vier von insgesamt 15 Fresken in der Hörkammer des Lübecker Rathauses (bis auf eine Darstellung sind diese verdeckt oder zerstört, die Inschriften jedoch überliefert) beispielsweise.

Lebendig blieb Maria Magdalena auch mit dem 1519 entstandenen prachtvollen Altar der Bruderschaft der Schneider, auf dem Leben und Wirken der Heiligen dargestellt ist. Vor allem aber: Bis ins 19. Jahrhundert, also auch im längst reformierten Lübeck, wurde Maria Magdalena mit einem Feiertag geehrt.

Was heute über Störtebeker erzählt wird, stimmt (fast) alles nicht

Sie sei „geschrieben zur Ehre Gottes“, sagen Freitag und Vogeler über Korners Chronika novella. Unter diese Absicht ordnen sich vermutlich auch dessen Berichte über den Mann ein, der bis heute als Robin Hood der Meere an Nord- und Ostsee Furore macht – eine Erinnerungskultur, die im Sinne ihres Erfinders nach hinten los gegangen ist.

Doch an der Piratengeschichte stimmt so gut wie nichts; der Störtebeker, den die Nachwelt verehrt, hieß nicht Klaus, er war kein Freiheitsheld, ist nicht von den Hamburgern festgesetzt und gerichtet worden, ja, er war noch nicht einmal Pirat. Gregor Rohmann, Experte für Mittelalterliche Geschichte, hat dies erforscht, zusammengetragen.

Tatsächlich gibt es zwischen dem 14. und dem 16. Jahrhundert im Hanseraum mehrere Männer namens Stortebeker, Stortzebecher und ähnlich. Es gibt sogar einen Klaus Störtebeker, aber, so Rohmann: „Er hat aber nur eine historische Leistung vorzuweisen: Er wurde 1380 in Wismar verprügelt.“

Held der Legende ist ein Johann Stortebeker, Kapitän eines Handelsschiffs aus Danzig. 1405 wird er bei den preußischen Hansestädten gerichtsnotorisch, weil er einen Handelsboykott gegen England missachtet. 1405? Da hätte er der Legende nach längst tot sein müssen, enthauptet von Scharfrichter Rosenfeld aus Buxtehude.

Von vorne bis hinten vom Mönch erfunden

Es ist der erzählfreudige Dominikanermönch, der der Legendenbildung und den Missverständnissen um Störtebeker Türen und Toren öffnet. 1416 taucht bei Korner erstmals der Name Stortebeker (ohne Vornamen) neben denen Wichmanns, Godeke Michels’ und Magister Wigbolds als Gegner der Hamburger und als Anführer jener Vitalienbrüder auf, die nach 1395 nach Ostfriesland gekommen sein sollten. In einer späteren Fassung ist dann von „Nicolaus“ betiehungsweise „Clawes“ die Rede.

Und zum Sieg der Hamburger, zur Verurteilung der Vitalienbrüder und deren Enthauptung nennt Korner Störtebeker als Anführer, nicht aber als Hingerichteten. Bei ihm ist es eine Geschichte vom Sieg der gottgegebenen Staatsmacht über Bösewichter.

Die Kraft Gottes ist dem Mönch wichtiger als die Wahrheit

Gemessen an unserem Verständnis von Wahrheit, sind die Geschichten um Maria Magdalena oder Störtebeker geschummelt. Aber die nackte Wahrheit tritt bei Korner hinter der Wahrhaftigkeit zurück. Der Mönch hat eine Mission. „Kraftwerk Gottes“ nennt ihn Hartmut Freytag. Und in diesem Kraftwerk wird die Energie für gottgefälliges und -gewolltes Geschehen sowie für beherrschbare Verhältnisse erzeugt.

Korner selbst geht als schillernde Persönlichkeit in die Geschichte der Lübecker Chronistik ein. Seine Darstellungen prägen laut Möbius das Gedächtnis der Stadt – und rücken zugleich seinen Orden mit der Verbindung zur Stadtgeschichte prägenden Heiligen in ein besonders strahlendes Licht. Die Erinnerung an Maria Magdalena mag heute verblasst sein, verschwunden ist sie nicht. Noch gibt es Straßenschilder im nordwestlichen Altstadtviertel, die auf das „Marien-Magdalenen-Quartier“ verweisen. Und das Märchen um Klaus Störtebecker? Wenn es nicht wahr ist, so ist’s doch gut erfunden.

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