Festakt zum 75. Geburtstag

Was Schleswig-Holstein gut kann – und was nicht

Was Schleswig-Holstein gut kann – und was nicht

Was Schleswig-Holstein gut kann – und was nicht

SHZ
Kiel
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„75 Jahre Land SH – Unsere Geschichte – Unser Tag – Unsere Zukunft“ heißt das Motto des Jubiläums im Norden. Foto: dpa/shz.de

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Grund zum Feiern im Norden: Das Land Schleswig-Holstein begeht seinen 75. Geburtstag. In Schleswig gibt es einen Festakt. Der Norden hat viel vorzuweisen, aber auch hemmende Defizite.

Am Anfang standen Hunger, Not, Armut und eine Riesenzahl von Weltkriegsflüchtlingen, heute geht es um Handy-Netze, Glasfaseranschlüsse und die Überwindung einer Pandemie – in Nachkriegswirren wurde das heutige Schleswig-Holstein geboren, 75 Jahre später begeht es sein Jubiläum unter ganz anderen Bedingungen.

Es versucht sich aus den Corona-Fesseln zu befreien, doch auch bei der offiziellen Feier an diesem Sonntag in Schleswig wird wegen der Infektionsgefahr nicht alles so sein wie früher.

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Ein modernes und leistungsstarkes Bundesland

Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) wird das Land als modern und leistungsstark preisen. Es bietet Spitzenforschung, von hier kommen Top-Medizintechnik, Megajachten, Hightech-Marineschiffe, Dutzende mittelständische Weltmarktführer, beliebte Nahrungsmittel, Windstrom en masse.

Die Handball-Teams aus Kiel und Flensburg sind die besten in Deutschland, und Holstein Kiel hat mehrfach laut an die Tür der 1. Fußball-Bundesliga geklopft.

Als Touristenmekka putzt sich das Land zwischen den Meeren immer mehr heraus und das Schleswig-Holstein Musik Festival ist wie das Wacken Open Air ein Juwel. Debatten über einen Nordstaat mindestens mit Hamburg führt heute niemand mehr.

Hohe Schleswig-Holstein-Identität im Norden

„Das Armenhaus der Nachkriegszeit hat sich ungeachtet aller Skepsis, was seine Lebensfähigkeit angeht, als sehr beständig und lebensfähig erwiesen“, sagt der Historiker Prof. Uwe Danker. Aber bei den Menschen in der nördlichen Landeshälfte sei die Schleswig-Holstein-Identität deutlich stärker ausgeprägt als im Speckgürtel um Hamburg, wo die Mehrheit der Landesbewohner lebt. Wirtschaftlich und kulturell sei man dort auf die Hansestadt ausgerichtet.

Nicht so starke Innovationskraft lässt das Erfinderland (Fax, Echolot, Kreiselkompass) im Bundesvergleich seit langem relativ an Boden verlieren. Das hat mit dem Mangel an großen Industrieunternehmen mit potenten Forschungsabteilungen zu tun.

Das Institut für Weltwirtschaft (IfW) hat dazu Zahlen: Nach seinen Angaben sank der Anteil des Landes am deutschen Bruttoinlandsprodukt von 1991 bis 2018 von 3,2 auf 2,8 Prozent. Danach stieg er wieder auf 2,9 Prozent. Dies lag laut IfW-Experte Klaus Schrader daran, dass vom Abschwung 2019 und der folgenden Corona-Krise vornehmlich Industrie betroffen war – und die ist im Norden nicht stark vertreten.

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Große Defizite bei den Verkehrsbauten

Symbolisch für mangelnde Dynamik stehen Verkehrsbauten. Wann die A20 nach langem Stillstand weiter aus dem Raum Bad Segeberg nach Südwesten und dann über die Elbe gebaut wird, weiß niemand.

Die wichtigen Brücken über den Fehmarnsund und bei Rendsburg über den Nord-Ostsee-Kanal sind marode und müssen zügig ersetzt werden. Der Nord-Ostsee-Kanal wurde jahrzehntelang vom Bund vernachlässigt; immerhin ist seine Modernisierung nun im Gang. Bei der Elektrifizierung der Bahn hinkte das Land ebenfalls hinterher, vielleicht läuft es ja bei der Umstellung auf E-Antrieb besser.

„Schleswig-Holstein hat sich in den letzten Jahren erheblich weiterentwickelt“, sagt Wirtschaftsminister Bernd Buchholz (FDP). „Mit der Festlegung von Schwerpunktbranchen haben wir den Standort gestärkt.“ Es gebe aber zu wenig industrielle Arbeitsplätze. Dadurch, dass 90 Prozent der Unternehmen nur fünf bis zehn Mitarbeiter haben, fehlen starke Forschungs- und Entwicklungsabteilungen.

Doch Buchholz nennt Lichtblicke: „Die Westküste gehörte bis vor nicht allzu langer Zeit zu den strukturschwachen Regionen mit relativ wenig ausgeprägter Wirtschaftsperspektive“. Das habe sich in den letzten fünf bis zehn Jahren komplett geändert, und es gebe weiteres Potenzial.

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Schleswig-Holstein ist beliebtes Urlaubsziel

Der Beliebtheit des Landes als Urlaubsziel tun auch Defizite keinen Abbruch. Die Ferienorte sind proppenvoll. Die Bevölkerung wächst, Ältere kommen gern, um den Lebensabend an frischer Luft und bei meist nicht ganz so hohen Immobilienpreisen wie anderswo zu genießen.

Das Land mit heute 2,9 Millionen Einwohnern hat Persönlichkeiten wie Willy Brandt, Max Planck, Günther Fielmann, Björn Engholm, Michael Stich und Friede Springer hervorgebracht. Hier regierten die erste deutsche Ministerpräsidentin Heide Simonis, die Landesväter Gerhard Stoltenberg und Peter Harry Carstensen, der skandalbehaftete Uwe Barschel.

Die Landespolitik steckt in einem Bundestagswahlkampf mit ungewissem Ausgang. Zwei weitere prominente Politiker aus dem Norden werden in den Bundestag einziehen: Grünen-Vorsitzender Robert Habeck (51) und Ex-SPD-Fraktionschef Ralf Stegner (61) rangieren so weit vorn auf der Landesliste ihrer Parteien, dass ihnen Mandate sicher sind. In Berlin treffen sie dann FDP-Vize Wolfgang Kubicki (69), mit dem sie schon im Landtag viele Sträuße ausgefochten haben.

Kommendes Jahr wird der Landtag neu gewählt

Das Wahlergebnis am 26. September wird auch die Ausgangslage für die Landtagswahl gut sieben Monate später markieren. Ob es die künftige Landesregierung leichter haben wird als ihre Vorgängerinnen? Die drei letzten Regierungen mussten Schulden-, Flüchtlings- und Corona-Krise bewältigen. Die Kabinette von Carstensen (CDU), Torsten Albig (SPD) und Günther bekamen das in den Griff, mit gutem Management und im Fall der Schuldenkrise begünstigt durch steigende Steuereinnahmen.

In der Geschichte des Landes stellte die CDU rund 50 Jahre die Ministerpräsidenten, die SPD kam auf etwa die Hälfte. 2022, 26 Jahre nach ihrer Premiere im Landtag, wollen erstmals die Grünen um die Staatskanzlei kämpfen. Doch zunächst geht es ans Feiern in Schleswig. „75 Jahre Land SH – Unsere Geschichte – Unser Tag – Unsere Zukunft“ heißt das Motto. Das Land habe in 75 Jahren viele Herausforderungen gut gemeistert, erklärte Günther bei der Ankündigung der Jubiläumsfeier - und freute sich auf einen „großartigen Tag“.

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