Verborgene Schätze

Was vom Leben übrig bleibt – So arbeitet ein Entrümpelungs-Team

Was vom Leben übrig bleibt – So arbeitet ein Entrümpelungs-Team

So arbeitet ein Entrümpelungs-Team

SHZ
Oeversee
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Hans Ingwersen ist seit sieben Jahren im Team der „Aufräumer“. Foto: Marcus Dewanger/shz.de

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Wenn die „Aufräumer“ anrücken, wird Ordnung geschaffen und ausgemistet. Dabei finden sie immer wieder Schätze. Wir haben ein Entrümpelungs-Team begleitet.

Der Himmel ist grau, ein paar dicke Tropfen klatschen auf den Asphalt, es riecht nach trockenem Staub und Regen. In der Siedlung, fünf Auto-Minuten vom Flensburger Rand entfernt, reiht sich ein Einfamilienhaus an das nächste. Vor einem Haus in zweiter Reihe, am Ende einer langen Auffahrt, steht ein weiß-gelber Transporter, die Hecktüren zum leeren Laderaum sperrangelweit auf. Aus der geöffneten Haustür dringen dumpfe Stimmen.

Hans Ingwersen und seine Kollegen Karsten Petersen und Nico stehen im Flur. Der Geruch von uraltem Zigarettenrauch hängt trotz der offenen Tür in der stickigen Luft. Der stämmige Mann blättert mit dem Handy in der Hand durch einen Stapel Zettel. „Nee, das Regal in der Abseite soll bleiben,“ dringt eine blecherne Stimme aus dem Handy.

Die "Aufräumer" nehmen alles mit

Ingwersen geht mit seinen Zetteln und dem Mann am Telefon an seinen Kollegen vorbei ins Wohnzimmer, in die Küche, schaut sich in jedem Raum um. Die Anrichten, das 90-Zentimeter-Bett, der wuchtige Schreibtisch – alles soll raus und weg.


Die Stimme am anderen Ende der Leitung gehört Frank Bierwolf, dem Inhaber der Firma „Die Aufräumer!“ in Oeversee. Sie übernehmen alles, was es in der Entrümpelungsbranche zu tun gibt: Haushalts-, Nachlass- und Geschäftsauflösungen, Transporte, Umzugshilfe und Aufräumarbeiten jeglicher Art – ebenso wie Problemhaushalte, Chaoshilfe und Messiesupport. „Wir leben nicht nur von Haushaltsauflösungen“, sagt Bierwolf, der auch Sammlungen, Nachlässe und Restposten ankauft.

Nachlassauflösung: Was von einem Leben übrig bleibt

Der heutige Auftrag ist eine klassische Nachlassauflösung, der Besitzer ist verstorben, nun soll alles entsorgt und das Haus besenrein hinterlassen werden. Einige Erinnerungsstücke haben die Erben abgeholt, andere Möbel sind geblieben. Karsten Petersen stopft eine Mülltüte nach der anderen raschelnd und knisternd mit Wäsche voll, Kollege Nico klappert in der Küche mit Geschirr, das beim Wurf in die Mülltüte klirrend zerbricht. Die Küche ist verlassen, doch noch voll möbliert, als wäre der Eigentümer nur gerade Brot und einen Liter Milch besorgen.


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Mit einem Knallen schüttelt Hans einen 200-Liter-Müllsack auf, frachtet über Jahre angesammelten Nippes, Gesellschaftsspiele und meterweise Bücher – Loriot, Der englische Patient, Atlanten – hinein. Beim Aufrichten wirft er routiniert seine zusammengebundenen dunkelgrauen Haare zurück. Neben ihm steht ein Sammelsurium an Gegenständen auf dem Boden, daran pinnen weiße Zettel mit kryptischen Zeichen in einer krakeligen, eiligen Handschrift.


"Aufräumer"-Chef Frank Bierwolf war vor ein paar Tagen da, hat die Kerzenständer aus Metall, Glasvasen, eine Koralle in einem Deko-Glas, einen staubigen Lederkoffer, einen Staubsaugroboter, ein Stapel Bücher mit dem Kosmos Naturführer ganz oben auf zusammengesucht und mit Zetteln markiert. Alles landet in der großen Halle der Aufräumer in Oeversee.

Ab ins Trödler-Paradies: Diese Gegenstände werden gelagert

Dort steht auf den ersten Blick ein Haufen Krempel, auf den zweiten brauchbares wie Leitern, Liegestühle, ein kleiner gusseiserner Grill, Kinder- und Puppenwagen. Daneben warten ein paar Besucher in Jogginghose und ziehen an ihren Zigaretten, auf dem Stapelholmer Weg hinter ihnen knattert ein Motorrad vorbei.

Frank Bierwolf, Jahrgang 1966, steckt seinen Kopf durch die Tür. Der Mann mit breiten Schultern und sonorer Stimme ist präsent auf seinem Gelände, auch wenn er nur kurz reinschaut. Sein Handy klingelt, schon verschwindet Frank zwischen den Möbelbergen und vollen Regalen in seinen Geschäften.


Den Trödelverkauf übernimmt Harald Jürgensen, ein kleiner Mann mit kurzen grauen Haaren, den alle Harry nennen und der seine schwarzen Arbeitsklamotten mit dem gelben Aufräumer-Logo mit stolzgeschwellter Brust trägt. „Wer keine Zeit hat, sollte nicht auf den Trödelmarkt gehen“, sagt er und breitet die Arme aus.

Töpfe, Teller, Tassen gibt’s in Massen

In der Halle weiß man nicht, wo man zuerst hinschauen soll. Auf 400 Quadratmetern ist jeder Winkel vollgestellt mit Möbeln, Geschirr, Klamotten. Über den wuchtigen Schränken, gestapelten Sofas und etlichen Lattenrosten im vorderen Teil hängt in vier Metern Höhe ein ausgedienter Segelflieger und bewacht mit seiner gewaltigen Spannweite den Trödelkram. „Den Gleitschirm, den kriegst du nicht“, sagt Bierwolf, der nach seinem Telefonat wieder zwischen Bilderrahmen und Sekretären auftaucht, mit einem Grinsen.


Alles, was in über zwei Metern Höhe hängt, dient als atmosphärische Deko: Ausgestopfte Bussarde und präpariert Fischköpfe neben alten Reklameschildern, dazwischen Flensburger Originale wie alte Bierflaschen aus der Brauerei, eine lebensgroße James-Dean-Figur. Über die Länge der Halle hängt das Kanu, mit dem Bernhard von Gaza bei den Olympischen Spielen 1908 Bronze holte.

Trödel wird in die ganze Welt verschickt

Ein Teil des Trödels, der das gewisse Etwas für den Onlineverkauf hat, landet im Internet, auf Ebay oder Etsy. Christopher Bierwolf, der Sohn des Chefs, stieg vor ein paar Jahren in die Firma ein, er kümmert sich mit seinen Kolleginnen darum. Dänisches Porzellan nach Hongkong, schwere Sekretäre nach Taiwan – sie verschicken weltweit, aber vor allem nach Asien.


Anfang der 2000er gab Frank Bierwolf seine Videothek, die er neben dem Schichtbetrieb in der Feldmühle betrieb, in Flensburg auf. Er machte sich als "Aufräumer" selbstständig, trotz Bedenken von Freunden und Kollegen. „Das passt gar nicht zu dir, das nimmt dich alles viel zu sehr mit“, hätte er von ihnen immer wieder gehört. „Die Leute öffnen sich dir, da muss schon die richtige Person vorstehen“, sagt Bierwolf heute. Mittlerweile ist der ehemalige Zeitsoldat annähernd zwei Jahrzehnte im Geschäft, lässt die Geschichten und Schicksale meist hinter sich, wenn er abends zu seiner Frau und seinen Beagles nach Hause kommt.

Möbelabbau: Mit System statt roher Gewalt

Hans Ingwersen , Nico und Karsten Petersen haben ganze Arbeit geleistet: Die Regale sind leer, zwei Dutzend Mülltüten prall gefüllt. „Jetzt geht’s los“, sagt Ingwersen und reibt sich die Hände. Rasch die Glasregale aus der Wohnzimmerwand genommen und zur Seite gestellt, bricht er krachend die Türscharniere aus dem Schrank. Holzsplitter verteilen sich wie Sägemehl auf dem Boden.

Nach sieben Minuten ist der Schrank komplett abgebaut, dahinter rollen wollige braune Spinnweben von der Wand. Die Luft ist erfüllt vom Staub der vielen Bücher, die bald ihr Ende auf der Müllkippe finden. Er legt sich auf die Finger und brennt in Augen und Lunge. Die "Aufräumer" sind daran gewöhnt, obwohl Nico erst seit März dabei ist.


Der schlaksige Mann, der seinen vollen Namen nicht preisgeben möchte, hat schon immer gejobbt, erzählt er, auf dem Bau hat er Wege und Hofplätze gepflastert. Während er Stein für Stein verlegte und festklopfte, träumte er von einem Bürojob im Vertrieb. Schließlich wechselte der heute 31-Jährige in einen Callcenter – schneller als ihm lieb war verlor er das Interesse, rutschte in die Arbeitslosigkeit. Frank Bierwolf gab Nico eine neue Chance.

Messiehaushalte gehören zum Geschäft – die Geschichten dahinter nicht

Wie lange sie für dieses Objekt brauchen, bis sie es ausgeräumt haben? Ingwersen schaut zur Decke. „Zwei Tage“, schätzt der 41-Jährige. „Wir hatten schon deutlich chaotischere, härtere Fälle“, sagt Hans. Dass sie es mit einem Messiehaushalt zu tun bekommen, geschehe immer mal wieder. „Die Geschichte dahinter, das interessiert mich eigentlich nicht“, sagt Ingwersen. Auch bei gewöhnlichen Haushaltsauflösungen „geht man doch ganz anders ran, wenn man das Haus und die Familie nicht kennt. Wir haben zu den Sachen nun mal keine Bindung, damit nehmen wir den Leuten auch eine Last ab.“

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