Seelsorge

Watt ne Andacht am Abend: Urlaub für die Seele

Watt ne Andacht am Abend: Urlaub für die Seele

Watt ne Andacht am Abend: Urlaub für die Seele

Kay Müller, SHZ
Büsum
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Ort der Inspiration: In der Familienlagune in Büsum suchen Einheimische und Touristen bei der Abend-Andacht bei Sonnenuntergang Entspannung. Foto: Michael Ruff / SHZ

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Nach einem sonnigen Tag bietet die Urlauberseelsorge in Büsum ein besonderes Angebot: eine kostenlose Andacht am Deich mit Blick auf die Nordsee und den Sonnenuntergang. Ein Ort der Entspannung – mit besonderen Gästen. shz.de war dabei.

Kaum sind die Posaunen verklungen, tritt ein junger Mann zu der illustren Gruppe der Betenden am Deich hinzu. Groß gewachsen, Flip Flops, enge Hose, die Muskeln unter dem roten Shirt sind gut zu sehen. Er hört wie die anderen Besucher, die an diesem Mittwochabend in der Familienlagune in Büsum (Kreis Dithmarschen) zusammengekommen sind, die Worte von Pastor Christian Verwold: „Gott, Deinen Namen will ich in den Himmel schreiben – und auf den Boden des Meeres.“ Der junge Mann in den Shorts schaut zunächst etwas teilnahmslos als die Gruppe gleich danach mit dem „Vater unser“ beginnt. Er könnte jetzt weitergehen oder einfach nichts machen, doch langsam bewegt er seine Lippen und die Wörter des Gebets fließen aus ihm heraus.

Und so ist der junge Mann Teil des „Abendsegens bei Sonnenuntergang“, den die Urlauberseelsorge in Büsum jeden Mittwoch veranstaltet. Bis zu 70 Leute kämen an schönen Tagen zu dem Event, sagt Christian Verwold – an diesem kühlen, windigen Sommerabend sind fast 30 da.

Zwei von ihnen sind Ute und Roland Merget aus der Nähe von Aschaffenburg, die zum ersten Mal in Büsum zur Kur sind. „Ich finde es schön, so den Tag zu beschließen“, sagt die Katholikin, die auch in ihrer Heimatgemeinde ab und zu den Gottesdienst besucht. Nach einem Tag mit Kur-Anwendungen und viel Sonne geht sie bei dem Lied „Der Mond ist aufgegangen“ ihren ganz eigenen Gedanken nach. „Das Lied hat mir immer meine Mutter vorgesungen, das schafft Erinnerungen und stimmt mich irgendwie ruhig.“

Meer, Wind, Wasser – ein Ort der Spiritualität

Der kleine Chor, dessen Gesang im Wind verschwindet, kann den Mond nicht herbeisingen kann, der für den Abend angekündigt war. Dafür ist bei dieser Andacht aber eben jeder für sich, und doch sind die Menschen zusammen. „Es ist auch ein Ort der Spiritualität“, sagt Ulrike Verwold. Die Pastorin kümmert sich in Büsum um die Urlauberseelsorge, die es in vielen Orten Schleswig-Holsteins von Ostern bis Oktober gibt. „Der Name ist ein bisschen komisch. Ich spreche lieber davon, dass die Menschen für Urlaub für die Seele sorgen.“

Allerdings sei es bei vielen Touristen so, dass sie gerade im Urlaub zur Ruhe zum Nachdenken kommen. Deshalb hat die Pastorin verschiedene Angebote – von der Andacht über Kirchenführungen und Konzerte bis hin zu Aktionen wie Geo-Caching oder Escape Room. „Und wir bieten natürlich auch persönliche Gespräche, zu denen sich immer mal wieder Urlauber anmelden, die gezielt Beratung suchen“, sagt Verwold. „Manche Menschen fahren ja auch extra zum Nachdenken nach Büsum.“ Denn in manchen Urlaubsorten gibt es mittlerweile auch viele kommerzielle Angebote zu Achtsamkeit oder Yoga, in denen die Menschen zu sich selbst finden wollen. „Und da will die Kirche natürlich auch ein Angebot machen“, sagt Ulrike Verwold.

Die Touristen kämen meist mit ihren Alltagssorgen und -nöten, denen sie sich in den Ferien besonders bewusst werden, zur Seelsorge. „Und manchmal kommen die Kinder auch einfach nur zum Basteln oder Malen zu uns in den Container in der Perlebucht“, sagt Verwold und zeigt auf die zu Pfingsten eingeweihte „Kirchenkiste“, die ein niederschwelliges Angebot der Kirche sein soll. „Und da kommen wir dann auch manchmal mit den Eltern ins Gespräch.“

Das müssen nicht immer Touristen sein, denn auch Dithmarscher kommen zu der Andacht auf den Deich. So wie Alice und Matthias Endisch aus Weddingstedt. Sie das erste Mal beim Sonnenuntergangs-Gebet in Büsum dabei. „Mit dem Blick auf das Meer und die Weite erkennt man die Größe Gottes noch viel besser als in einer Kirche“, sagt der 41-Jährige, der in der Raffinerie in Hemmingstedt arbeitet. Und auch seine Frau, die gerade ihr Psychologie-Studium beendet hat, will gern wieder kommen – allerdings lieber wenn es etwas wärmer ist.

Das will auch Roland Merget, der mit Mütze und Funktionsjacke schon gut für die Andacht ausgerüstet ist. Und auch wenn der Posaunenchor im Wind nicht jeden Ton getroffen hat – der Kurgast, der selbst bis vor ein paar Jahren Saxofon gespielt hat, ist ganz angetan von der Kombination aus Besinnung, Musik und kirchlichem Segen. „Es ist eine halbe Stunde, die ich sonst nicht so gehabt hätte“, sagt Merget. Während der Andacht habe er die Gedanken schweifen lassen können. „Ich habe an den Ukraine-Krieg gedacht.“ Die Pastoren redeten immer davon, dass Gott alles richte. „Und wenn ich an den Krieg denke, dann frage ich mich manchmal ob er das auch wirklich tut.“

Diese durchaus kritischen Fragen könnte sich auch der junge Mann in den kurzen engen Klamotten stellen, doch der ist schon gegangen. Allerdings hat vermutlich auch er etwas mitgenommen von dieser ungewöhnlichen Veranstaltung am Deich, die sicher nicht für die Mehrheit der Urlauber interessant ist. Aber er war da.

Urlauberseelsorgen gibt es in vielen touristischen Orten wie in Büsum.

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