Nach 46 Jahren

Wie Martin auf Sylt seine Hörnumer Schulfreundin Martina wiederfand

Wie Martin auf Sylt seine Hörnumer Schulfreundin Martina wiederfand

Wie Martin auf Sylt seine Schulfreundin wiederfand

SHZ
Hörnum
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Wiedersehen nach 46 Jahren: Martina und Martin am Strand in Hörnum. Foto: Tschepe Foto: 90037

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Unser Autor ist bis 1975 auf der Insel in die Schule gegangen und hat jetzt über Facebook-Gruppe „Mein altes Sylt“ seine Kindheitsfreundin gesucht. Ein Ausflug in die eigene Vergangenheit.

Niemand möge mehr sagen, Facebook sei ein unsoziales Medium. Stimmt nicht. Jedenfalls nicht für mich. Und für Martina auch nicht. In der Facebook-Gruppe „Mein altes Sylt“ haben wir uns wieder gefunden. Martin und Martina. Was für eine schier unglaubliche Geschichte. Ich war damals in der Hörnumer Grundschule ein bisschen verknallt in das Mädchen mit den dunklen Haaren. Lange her. Und ich glaube, sie fand mich auf ganz nett, obwohl sie eineinhalb Jahre älter war. Wir haben uns seit 1975 nicht mehr gesehen. Leider.

Ich hab oft an Martina gedacht. Unsere Familie hat die Insel damals verlassen, wir haben zwar nach wie vor das Haus im Strandweg – und ich bin ganz oft auf Sylt. Doch wen ich wann auch immer gefragt habe: Wo ist Martina? Alle haben sinngemäß geantwortet: keine Ahnung.

Sommer 2020. Die Facebook-Gruppe „Mein altes Sylt“ ist gerade erst gegründet. Ich versuche mein Glück, setze einen kurzen Post ab: Wer weiß, wo Martina Meet abgeblieben ist. Der Nachname ist falsch geschrieben. Trotzdem meldet sich eine Frau aus Niebüll: „Ich glaube, Du meinst mich.“

Es ist tatsächlich meine Martina. Wir schreiben ein bisschen hin und her. Erzählen uns von unserem Leben seit dem Ende der Grundschulzeit. Gut 46 Jahre im Zeitraffer. Martina ist seit fantastischen 40 Jahren verheiratet, sie hat drei längst erwachsene Kinder und drei Enkel. Da kann ich nicht mithalten. Ich habe eine tolle Tochter (24), die übrigens immer wieder gerne mit mir nach Sylt kommt.

Nach Sylt kommt Martina auch regelmäßig. Ihre ältere Schwester lebt in Westerland. Aber in Hörnum, sagt Martina, sei sie seit Jahrzehnten nicht mehr gewesen. Wir verabreden uns. Ich bin ein klein bisschen aufgeregt, so ein Date hatte ich noch nie. Es ist Sympathie auf den ersten Blick. Wie schön.

Ich zeige Martina, wie sich unser altes Hörnum verändert hat. Ein Luxushotel hinter dem Hafen, ein Schweizer Appartement-Komplex am Ortseingang. Hörnum hat sich komplett verändert, sagt Martina. Und das klingt nicht nur begeistert. Wir laufen vorbei an dem Haus im Berliner Ring, in dem Martina damals gewohnt hat, schauen auf unserem Spielplatz vorbei. Dann laufen wir um die Odde, was früher ein längerer Marsch war, ist heute nur noch ein mittelprächtiger Spaziergang. Seit Mitte der 1970er-Jahre hat das Meer den größten Teil der Südspitze geholt.

Dann erzählt Martina von ihrer schlimmsten Zeit, als die Eltern beschlossen hatten, die Insel für immer zu verlassen, um nach Niebüll zu ziehen. 1977 war das. Für das Mädchen vom Meer ist Niebüll eine andere Welt. Nicht ihre Welt. Martina ist traurig und sagt heute, „ich wollte nicht mehr leben“. Sie macht keinen Schulabschluss. Und auch keine Ausbildung. Sie trifft aber den Mann ihres Lebens. Ist heute eine zufriedene Frau, die mehrere kleine Jobs hat, sich um ihre alte Mutter kümmert und um den Bruder, der querschnittsgelähmt ist. Sie ackert und sie schuftet – und sie tanzt. Nahezu täglich. Linedance ist ihre Leidenschaft.

Wie unterschiedlich die Lebenswege doch verlaufen können

Wie unterschiedlich die Lebenswege von zwei Hörnumer Kindern doch verlaufen können. Ich habe zweimal studiert, erst Sozialarbeit und dann Journalismus. Ich habe die halbe Welt gesehen. Martina erzählt lachend, dass sie einmal auf die Kanaren geflogen sein. Kurz zusammengefasst kann man wohl sagen: Die Reise war der Horror.

Martina und Martin schwelgen in Erinnerungen

Ich bin froh, dass ich Martina wieder gefunden habe, eine Frau, die mitten im Leben steht, die Herzensbildung hat. Sie ist anders als die vielen Akademikerinnen und Akademiker, die ich kenne. Erfrischend anders. Wir sind längst einmal um die Odde gelaufen, haben uns an diesem super sonnigen Tag im Herbst in einem Strandkorb am Hafen niedergelassen. Auf der großen Düne am Hafen thront unsere alte Schule, besser gesagt: das, was von der Schule übrig geblieben ist. Das Gebäude. Die Hörnumer Kinder müssen schon lange mit dem Bus zum Unterricht nach Westerland gefahren werden.

Martina und Martin schwelgen in Erinnerungen. Ich weiß noch ganz genau, wo wir uns damals – im Sommer 1975 – zum letzten Mal gesehen haben: an der Bushaltestelle am Hafen. Martina sagt, daran könne sie sich überhaupt nicht mehr erinnern. Dann erzählt sie von einem kleinen Ring mit zwei Herzen, den ich ihr geschenkt habe. Davon weiß ich nichts mehr. Wir wollen uns wieder treffen – ganz bestimmt nicht erst in ein paar Jahrzehnten, sondern bald.

Beim Abschied habe ich dann diese eine Frage im Kopf: Was wäre wohl passiert, wenn? Wenn wir uns nicht aus den Augen verloren hätten.

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