Omikron, Partys oder Grenznähe?

Wie wurde Schleswig-Holstein vom Vorzeige-Land zum Corona-Hotspot?

Wie wurde Schleswig-Holstein vom Vorzeige-Land zum Corona-Hotspot?

Schleswig-Holstein: vom Vorzeige-Land zum Corona-Hotspot

SHZ
Kiel
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Die Corona-Zahlen in Schleswig-Holstein steigen rasant. Das Land wird besonders hart von der Omikron-Welle getroffen. Foto: Sascha Steinach / imago

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Vorbei ist die Zeit, in der SH als Musterbeispiel für die Eindämmung des Coronavirus herangezogen wurde. Doch wie konnte es dazu kommen? Die geöffneten Clubs? Die Grenze zu Dänemark oder doch einfach nur Omikron?

In dieser nun bald zwei Jahre andauernden Corona-Pandemie war Schleswig-Holstein eigentlich durchweg positiv aufgefallen. Vergleichsweise niedrige Corona-Infektionszahlen, die Lage in den Krankenhäusern blieb über weite Teile relativ entspannt – man konnte sogar Patienten aus anderen Regionen aufnehmen. Und man konnte die Diskotheken im Land unter 2G-Plus-Bedingungen offen lassen. Zumindest war das die Einschätzung der Landesregierung in Kiel.

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Dass das wohl ein Fehler war, haben die Grünen im Landtag angesichts der zahlreichen Omikron-Ausbrüche bei Weihnachtsfeiern im ganzen Land am Dienstag bereits eingestanden. Die Bilanz: Etliche Infektionen sowie Tausende Party-Gäste, die sich in Quarantäne begeben sollten. „Die Feiertage haben gezeigt, wie hoch das Risiko von großen Tanzveranstaltungen ist“, erklärte Fraktionschefin Eka von Kalben.

Und nun ist sie vorbei, die Zeit als Vorzeigeregion. Die Omikron-Welle schlägt im Norden besonders hart zu – noch heftiger in Hamburg und Bremen, aber eben auch in Schleswig-Holstein. Am Mittwoch lag die Sieben-Tages-Inzidenz hierzulande bei 352,8. Und das ländliche Dithmarschen wurde mit einer Inzidenz von 656,7 bundesweit an die Spitze aller Kreise katapultiert.

Wie konnte es dazu kommen?

Klar ist: die Omikron-Variante ist leichter übertragbar als die bisher dominante Delta-Variante. Außerdem können sich auch geimpfte Personen infizieren. Diese tragen somit mehr als zuvor zu einer Weiterverbreitung des Virus bei. „Dies geschieht nach den bisher vorliegenden Erkenntnissen umso leichter, wenn keine Booster-Impfung erfolgt ist“, sagt ein Sprecher des Gesundheitsministerium.

Dass es mit Omikron also zu steigenden Infektionszahlen kommen würde, war vorhersagbar und absehbar. Dies ist bundesweit und auch in anderen Staaten, in denen die Variante bereits dominant ist, zu beobachten. „Wir gehen deshalb davon aus, dass sich in den nächsten Tagen ein weiterer erheblicher Anstieg des Infektionsgeschehens vollziehen wird“, heißt es weiter aus dem Ministerium in Kiel.

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Aber infektiöser ist die neue Variante ja auch anderswo. Das alleine kann also nicht erklären, warum der Nordwesten Deutschlands derzeit im besonderen Maße betroffen ist.

Omikron taucht früh in Hamburger Feierszene auf

Nach Ansicht des Gesundheitsministeriums spiele auch die schnelle Verbreitung in den benachbarten nördlichen Bundesländern und Staaten – wie etwa Dänemark – eine Rolle. Vor diesem Hintergrund sei zu erwarten, dass sich die neue Variante auch weiter in Schleswig-Holstein ausbreiten wird. Jetzt schon ist sie hierzulande dominant.

Tatsächlich habe es anfangs einige Einträge aus dem schon eher stärker betroffenen Dänemark gegeben, bestätigt der Kieler Virologe Helmut Fickenscher gegenüber shz.de. Anfänglich hätten zudem einzelne Reiserückkehrer aus dem südlichen Afrika Omikron in den Norden gebracht. Der Experte halte dies für den aktuell zu beobachtenden Anstieg der Infektionszahlen aber nicht für ausschlaggebend.

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Plausibel sei für ihn, dass sich das Virus tatsächlich vor allem durch Partys und Tanzveranstaltungen so rasant ausbreiten konnte. Es habe schon früh Hinweise gegeben, dass es Omikron in die Feierszene in Hamburg geschafft hat, so Fickenscher. „Von dort aus konnte sich die sehr ansteckende Variante im Norden verbreiten. Denn wenn irgendwo eine Party auf einem Dorf stattfindet, kommen ja auch Menschen von außerhalb – zumal die Regeln in Schleswig-Holstein ja lockerer waren.“

Quarantäneverstöße seien wahrscheinlich

Der Schwerpunkt der Infektionen sei aktuell bei den 20-bis 30-Jährigen, so der Virologe.

Auch wenn es sich am Ende nicht sagen lässt, wo wir ohne die ausgelassenen Disco-Nächte heute stünden – diese Altersstruktur spricht dafür, dass diese zumindest einen nicht unerheblichen Beitrag zur Dynamik des Infektionsgeschehens in Schleswig-Holstein geleistet haben.

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„Aus den Clubs wird das Virus natürlich auch in den privaten Bereich hineingetragen – zumal so generelle Quarantäneaufforderungen auch nur eingeschränkt funktionieren.“ Fickenscher, der an der Christian-Albrecht-Universität zu Kiel lehrt, fürchtet also, dass zumindest einige der betroffenen Partygäste sich nicht in häusliche Isolierung begeben haben könnten und das Virus so in ihrem privaten Umfeld weitergeben.

Corona-Lage in den Kliniken in SH

Aufgrund der hohen Zahl an jungen Infizierten könne man im Moment noch nicht zuverlässig sagen, ob die Situation auf den Intensivstationen im Land stabil bleibt, so Fickenscher weiter.

Dass dabei nicht nur die Anzahl der Corona-Patienten eine Rolle spiele, machte der Geschäftsführer der Krankenhausgesellschaft Schleswig-Holstein, Patrick Reimund, am Mittwoch noch einmal deutlich: „Die Kliniken rechneten auch damit, dass Mitarbeiter zunehmend infiziert oder von Quarantänevorgaben betroffen sein werden.“

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Das ist am Westküstenklinikum mit seinen Standorten Heide und Brunsbüttel bereits zu spüren. Aktuell sind dort 160 der rund 3000 Mitarbeitenden wegen Kontakten zu Infizierten in Quarantäne. Hinzu kommen 40 selbst Infizierte, die sich außerhalb der Kliniken angesteckt hatten.

Sondersitzung im Landtag von Schleswig-Holstein

Eine weiterhin mögliche Überlastung des Gesundheitssystems, als auch größere Beeinträchtigungen der kritischen Infrastruktur durch sehr große Krankenstände oder Ausfälle durch Quarantänemaßnahmen sollen durch die kurzfristigen weiteren Maßnahmen vermieden werden, so der Sprecher des Gesundheitsministeriums.

Bericht: Corona-Quarantäne soll offenbar deutlich verkürzt werden

Zumindest auf dem Papier dürfen Diskotheken und Bars in Schleswig-Holstein allerdings weiterhin öffnen, auch wenn sich angesichts der nochmals verschärften Regeln – maximal 50 Gäste mit PCR-Tests für Ungeboosterte – wohl kaum ein Betreiber für diesen Schritt entscheiden wird. Grundvoraussetzung für eine komplette Schließung sei aber die Feststellung der epidemischen Notlage. Hierzu liegt ein Antrag der Jamaika-Koalition vor, über den der Landtag am Montag in einer Sondersitzung berät.

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