Gesellschaft

Wo in Schleswig-Holstein Kinderrechte auf dem Stundenplan stehen

Wo in Schleswig-Holstein Kinderrechte auf dem Stundenplan stehen

Wo in SH Kinderrechte auf dem Stundenplan stehen

Rica Hennings/shz.de
Flensburg
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Foto: Dörte Moritzen

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Kinder haben Rechte. Doch nicht alle wissen davon. Damit die Jüngsten ihre Rechte kennenlernen und anwenden können, hat Unicef ein Kinderrechteschulen-Programm gestartet. Die ersten Grundschulen in Schleswig-Holstein haben sich auf den Weg...

Die Arbeit an den Kinderrechten in der Schule hat es dem Mädchen klar gemacht: Etwas stimmt zu Hause nicht. So wie die Eltern mit ihr umgehen. Das ist nicht in Ordnung. Denn jedes Kind besitzt Rechte, das hatte sie gelernt. Und dazu gehört der Schutz und das sichere Aufwachsen. Irgendwann hat sie sich einer Lehrerin anvertraut – und einmal alles erzählt. So konnte ein Fall von häuslicher Gewalt in einer Kinderrechteschule aufgedeckt werden. Diesem Kind konnte geholfen werden, weil es sich selbst zu helfen wusste.

Grundschule Schwarzenbek-Nordost wird erste Kinderrechteschule in SH

Das Deutsche Komitee von Unicef in Köln, dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UN), startete 2021 ein Kinderrechteschulen-Programm. Das Ziel: Die Kinderrechte in den Schulstrukturen zu verankern und in den Schulalltag einfließen zu lassen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den Themen der Mitbestimmung von Kindern im Schulprozess, dass sie Vielfalt und gewaltfreie Konfliktlösungsstrategien erlernen und die Kinderrechte erfahren. Unicef kooperiert mit den Bildungsministerien der Bundesländer. Das erste Bundesland, das mitwirkte, war Niedersachsen. Mittlerweile sind Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen dabei. 

Die Grundschule Schwarzenbek-Nordost hat sich im September 2022 auf den Weg gemacht, eine Kinderrechte-Schule zu werden – und war damit die erste Schule in Schleswig-Holstein, die sich dem Unicef-Progamm anschloss. „Wir hatten schon zuvor viel für die Partizipation der Kinder in unserer Schule getan, zum Beispiel über einen Kinderrat”, sagt Liane Maier, Leiterin der Grundschule. „Das wollten wir ausbauen. Die Kinderrechte  liegen uns am Herzen.”

Unicef: Die Kinderrechte sind wenig bekannt

„Nur knapp die Hälfte der Deutschen kennen die UN-Kinderrechtskonvention, in der sich Länder weltweit verpflichten, die Kinderrechte zu achten und umzusetzen”, erklärt Valena Brand, Referentin für Presse und Öffentlichkeitsarbeit bei Unicef. „Davon geben nur 16 Prozent an, dass sie gut über die Kinderrechte Bescheid wissen.” In den Ausbildungsplänen der Lehrer und den Lehrplänen der Schulen sei das Thema bis heute nicht Pflicht. „Das wollten wir mit unserem Programm ändern.” 

Im vergangenen Jahr hat die Grundschule in Schwarzenbek-Nordost zu den Kinderrechten ein Schulfest gefeiert, Sportfest und Lauftag daran angepasst, die Projekttage mit dem Kinderschutzbund unter diesem Motto gestaltet und sich im Unterricht und der Nachmittagsbetreuung mit dem Thema beschäftigt. Stolz ist die Schule auf das Kinderparlament, das in dieser Zeit entstand. Hier versammeln sich die zwei Klassensprecher aus jeder der 24 Klassen regelmäßig, begleitet von Lehrern und besprechen Ideen der Kinder zum Schulleben. Momentan wird die Schulordnung neu aufgestellt. Daran beteiligen sich die Schülerinnen und Schüler über das Kinderparlament.  

Kinderrechte erleben fördert das Demokratieverständnis

Aufmerksam wurde Liane Maier auf das Unicef-Programm über das Bildungsministerium Schleswig-Holstein, das in einer Mail die Grund- und Gemeinschaftsschulen über die Möglichkeit informierte, daran teilzunehmen. Das Bildungsministerium unterzeichnete im September 2022 eine Kooperationsvereinbarung mit dem Deutschen Unicef-Komitee. Darin hielt es fest, das Kinderrechteschulen-Training zu unterstützen, etwa mit einer Ansprechperson und mit der Übernahme der Kosten von 400 Euro.

Langfristig soll das Unicef-Programm als schleswig-holsteinisches Landesprogramm etabliert werden. „Je früher Kinder ihre Rechte kennenlernen und Selbstwirksamkeit erfahren, desto eher werden sie sich als Erwachsene für ihre Rechte und die Rechte anderer einsetzen. Das ist gerade in Zeiten zunehmenden Populismus und demokratiefeindlicher Tendenzen wichtiger denn je”, sagt Bildungsministerin Karin Prien.

Die Fröbel-Grundschule liegt in Kiel-Gaarden. In diesem Stadtteil ist die Kinderarmut dreimal so hoch wie im Bundesdurchschnitt. „Wir haben super tolle Kinder. Aber sie haben einen hohen Hilfebedarf“, sagt David Janowitz, kommissarischer Schulleiter der Fröbelschule. Kinderarmut, Traumata durch Flucht, Sprachförderung, sozial schwierige Hintergründe: Der Rucksack der Kinder sei voll. Gerade deshalb hat sich das Kollegium einstimmig für das Kinderrechte-Training entschieden.

Seit diesem September nimmt die Fröbelschule am Programm teil. „Unser Ziel ist es, die Kinder stark zu machen”, erklärt Janowitz. „Außerdem wollen wir das Schulklima weiter verbessern. Dass die Kinder gern in ihre Schule kommen, sich damit identifizieren.” Denn Studien hätten gezeigt, dass besonders für Perspektivschulen die Lehrer-Kinderbeziehung wichtig für den Lernerfolg sei. Kinderrat, Kinderparlament und eine Kindersprechstunde hat die Fröbelschule bereits seit zwei Jahren. „Wir wollen den pädagogischen Blick auf Kinder schärfen und die Kinderrechte in das Zentrum des pädagogischen Handelns rücken”, sagt der 40-Jährige.

„Verstehen sich Kinder als Rechteinhaber, können sie selbstbewusst für sich einstehen. Und sie erkennen selbst, wenn etwas schiefläuft”, erklärt Valena Brand. Kinderschutz, Kindergesundheit, Gewaltprävention: All das basiere auf den Kinderrechten. „Wir möchten Kinder so früh wie möglich erreichen. Der geeignetste Ort dafür ist für uns die Grundschule”, sagt die 31-Jährige. Hier kämen alle Kinder unabhängig von ihrem sozial-ökonomischen Hintergrund zusammen. 

Kinderrechte sollen aus der Schule in den Alltag hineinwirken

Im niedersächsischen Duderstadt stehen nun 15 Hinweistafeln zu den Kinderrechten im gesamten Stadtgebiet. Schüler und Schülerinnen der Sankt- Elisabeth-Grundschule, die beim Unicef-Programm mitgemacht haben, installierten sie. Die Kinder sprachen zusätzlich Informationen ein, die Interessierte über QR-Codes auf den Tafeln abhören können.

In der Hinrich-Wolff-Schule im niedersächsischen Bergen, ebenfalls eine zertifizierte Kinderrechteschule, ergriffen die Schüler und Schülerinnen ihr Recht auf Mitsprache in der Stadtentwicklung. Als der Soccerplatz gesperrt wurde, diskutierten sie die Angelegenheit im Kinderrat der Schule. Mit Unterstützung der Lehrkräfte sammelten sie Unterschriften, schrieben einen Brief an die Bürgermeisterin, trafen sich mit ihr und brachten ihr Anliegen in der Rathaussitzung ein. Das Ergebnis: Der Soccerplatz wurde repariert und wieder geöffnet.        

Seit 31 Jahren gilt die UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland. In das Grundgesetz sind die Kinderrechte bis heute nicht aufgenommen. Valena Brand von Unicef ist sich sicher: Gelebte Kinderrechte würden sich auf die gesamte Gesellschaft positiv auswirken. „Wir hätten Kinder, die mehr gesehen werden. Die aktiv in der Schule und Kommune mitgestalten könnten. Der Kinderschutz würde nach vorne gestellt.” Und deshalb ist ein weiteres Ziel des Unicef-Programms: „Dass die Kinderrechte aus dem Kosmos der Schule hinausschwappen und in unseren Alltag einwirken.”

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