Interview mit Staatsanwaltschaft Flensburg

Würde eine Legalisierung von Cannabis die Arbeit erleichtern?

Würde eine Legalisierung von Cannabis die Arbeit erleichtern?

Würde Legalisierung von Cannabis die Arbeit erleichtern?

SHZ
Flensburg
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Dr. Inke Dellius (v.l.), Dr. Stephanie Gropp und Bernd Winterfeldt von der Staatsanwaltschaft Flensburg. Foto: Mira Nagar/shz.de

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„Kuscheljustiz“ oder der harte Arm des Gesetzes? Immer wieder werden Haftstrafen öffentlich diskutiert. Im Interview berichten Flensburger Staatsanwälte, wie die fachliche Bewertung funktioniert.

Ist Flensburg eine Drehscheibe für Drogenhandel, wie kommt man zu welchem Strafmaß – und wie realistisch sind Krimis, wenn es um die Darstellung der Staatsanwaltschaft geht? Im Interview sprechen die Leitende Oberstaatsanwältin Dr. Stephanie Gropp, und die Oberstaatsanwälte Dr. Inke Dellius und Bernd Winterfeldt über ihr Arbeit in der Flensburger Staatsanwaltschaft.

Wie viele Fälle bearbeitet die Staatsanwaltschaft zurzeit und was ist die größte Herausforderung?
Dr. Gropp: Die alltägliche Herausforderung ist es, trotz steigender Eingangszahlen, alle Verfahren zügig zu bearbeiten. Ich bin froh, dass das gelingt. So hatten wir in den letzten beiden Jahren jeweils 30.000 Verfahren zu bearbeiten. 2018 waren es noch knapp 26.000 Verfahren. Doch nicht nur die Anzahl stellt eine Herausforderung für die Staatsanwaltschaft dar. Ich möchte hier stellvertretend Verfahren mit Auslandsbezug erwähnen. Das führt dazu, dass Ermittlungen, zum Beispiel die Vernehmung von Zeugen, im Ausland durchgeführt werden müssen. Wir sprechen dann von einem Rechtshilfeersuchen. Es dauert häufig Monate, bis solche Ersuchen beantwortet werden und das Ermittlungsverfahren zügig fortgeführt werden kann.

Ganz allgemein ist mir aber wichtig zu betonen, dass es eine größte Herausforderung letztlich nicht gibt. Jedes Verfahren ist wichtig und soll zügig, ordentlich und effektiv abgeschlossen werden. Das ist alles nur möglich, weil unsere Behörde gut aufgestellt ist. Jede einzelne Mitarbeiterin und jeder einzelne Mitarbeiter sind wichtig, denn nur wenn die Zusammenarbeit richtig gut ist, kann das Ergebnis stimmen. Und ich bin sehr froh, dass ich das auch über unsere Zusammenarbeit mit der Polizei sagen kann, die auch gut aufgestellt ist und gute Arbeit leistet.

Das klingt wenig nach dem Bild, das in TV-Krimis wie beispielsweise der ZDF-Serie „Der Staatsanwalt“ vermittelt wird.
Dr. Gropp: (lacht) Der Staatsanwalt wirkt ja immer so, als ob er nur einen Fall hat, der Glückliche. Ich glaube, jede Staatsanwältin und jeder Staatsanwalt würde auch gerne vor Ort die Ermittlungen der Polizei leiten. Das wäre bei dem Aktenaufkommen, was wir haben, schlicht unmöglich. Im Normalfall ist es so, dass viel telefonisch oder per Mail läuft.

Dr. Dellius: Bei Kapitalverfahren macht es allerdings durchaus Sinn, sich als Staatsanwalt auch den Tatort anzuschauen oder an Obduktionen teilzunehmen. Aber man kann nicht jede Durchsuchung begleiten. Das wäre auch gar nicht sinnvoll. Das kann die Polizei gut alleine durchführen.

Dr. Gropp: Eins meiner liebsten Bilder – es ist egal, welche Serie Sie nehmen: Ein frischer Tatort, alle suchen den Tatort, wie es auch in der Realität ist, in ihren Vollkörperanzügen auf. Und dann kommt die junge, dynamische Staatsanwältin mit ihren Stöckelschuhen und läuft einmal mitten durch den Tatort. Das geht nicht. (lacht) Das K6, die die Spurensicherung machen, würde einem was erzählen, wenn man sich anschickt, in Straßenschuhen durch den Tatort zu laufen. Es fährt übrigens auch nicht jeder Staatsanwalt ein superschickes neues Auto und die Golfschläger gucken hinten aus dem Cabrio. Auch verabschiedet sich ein Staatsanwalt hier nicht um zwei Uhr auf den Golf- oder Tennisplatz.

Wie sieht es denn aus, wenn gegen die Polizei selbst ermittelt werden muss?
Dr. Gropp: Wir ermitteln „ohne Ansehen der Person“. Das bedeutet, dass es egal sein muss, wer in der Beschuldigtenposition ist. Wir müssen in solchen Fällen von vornherein jeden Anschein vermeiden, dass eine Krähe der anderen kein Auge aushackt. Ein solch falscher Eindruck wäre dramatisch und rufschädigend. Nur wenn wir in jedem einzelnen Fall sorgfältig ermitteln, kann die Bevölkerung Vertrauen in die Arbeit der Polizei und der Justiz haben.

Dr. Dellius: Bei der Polizei ist ein bestimmtes Kommissariat für diese Fälle zuständig und ich kann sagen, dass es aus unserer Sicht keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Ermittlungen in diesen Fällen nicht objektiv und neutral geführt werden.

Winterfeldt: Ich kann noch ergänzen, dass, sollte es einmal erforderlich sein, das Verfahren auch einer anderen Staatsanwaltschaft übertragen werden kann, um eine noch größere Distanz herzustellen.

Haben Sie denn den Eindruck, dass der Staatsanwaltschaft vertraut wird?
Dr. Gropp: Es ist durchaus so, dass die Allgemeinheit der Staatsanwaltschaft grundsätzlich vertraut. Aber wir stellen uns auch jederzeit der Kritik und nehmen sie sehr ernst. Wir sind von einem ständigen Optimierungswillen getragen. Man muss sich hinterfragen und Abläufe besser machen.

Winterfeldt: Unsere Entscheidungen können auch jederzeit durch vorgesetzte Behörden und Gerichte überprüft werden. Beispielsweise sind Geschädigte manchmal nicht zufrieden. Sie sehen etwas aus ihrer subjektiven Sicht als strafwürdig an, aber wir stellen fest, dass es einfach nicht beweisbar ist. So jemand ist dann möglicherweise unzufrieden und hat dann die Möglichkeit, unsere Entscheidung durch die vorgesetzte Dienstbehörde überprüfen zu lassen, also durch den Generalstaatsanwalt in Schleswig. Das ist etwas, was auch regelmäßig stattfindet.

Dr. Gropp: Es gibt auch Fälle, die auf diese Weise über mehrere Jahre bewegt werden.

Ärgert Sie so etwas manchmal?
Winterfeldt: Wir haben eine ganz nüchterne Distanz dazu, das gehört für uns zum Handwerk. Nicht immer wird unseren Anträgen entsprochen. Und wir legen auch Wert darauf, dass junge Staatsanwältinnen und Staatsanwälte diese Distanz lernen. Sonst bekommt man ganz schnell ein hohes Frustrationsniveau und kann das, was hier an Einsatz und Masse und auch an nüchterner Betrachtung von Sachverhalten gefordert wird, nicht mehr schaffen.

Eine häufige Kritik am Justizsystem sind vermeintlich zu geringe Strafmaße. Wie reagieren Sie auf solche Vorwürfe?
Dr. Gropp: Ich warne immer vor Pauschalurteilen. Fragen stellen kann man ja, aber Schimpfkampagnen sind nicht angebracht. Im Ergebnis wird man sich immer den Einzelfall anschauen müssen. Ist ein Angeklagter einer Straftat überführt, muss das Gericht eine angemessene Strafe finden. Hier sind ganz viele Faktoren zu berücksichtigen, wie zum Beispiel die Folgen der Tat für das Opfer oder das Vorleben des Täters. Es macht schon einen Unterschied, ob ich noch nie straffällig geworden bin oder ob ich 20 Einträge im Strafregister habe. Es gilt Augenmaß zu beweisen. Niemand will, dass man mit Kanonen auf Spatzen schießt. Doch dort, wo es erforderlich ist, muss die Justiz aber ganz entschieden sein. Ich habe schon den Eindruck, dass das im Landgerichtsbezirk Flensburg funktioniert.

Dr. Dellius: Strafzumessung ist keine Mathematikaufgabe. Es ist immer eine Bewertung, eine Gesamtwürdigung eines Sachverhalts und der Täterpersönlichkeit. Da kommt es dann darauf an, wie man diese Faktoren gewichtet.

Nach dem Opportunitätsprinzip können Sie sogar darauf verzichten, Anklage zu erheben. Wann wenden Sie das an?
Winterfeldt: Nehmen Sie das Beispiel Nachbarschaftsstreit. Es kann durchaus strafbar sein, wenn ich dem Nachbarn einen Ast von dessen Baum wegsäge, weil die Blätter immer rüberfallen. Die Straftat wird sich aber im unteren Kriminalitätsbereich bewegen. In diesen Fällen gibt uns das Gesetz die Möglichkeit, das Verfahren einzustellen, wenn alle Voraussetzungen vorliegen.

Es gibt auch Beispiele im Jugendstrafrecht: Wir müssen nicht jeden 15-Jährigen vor den Kadi ziehen, wenn er einmalig bei Penny eine Flasche Bier geklaut hat. Dafür haben wir das spezielle Instrumentarium des Jugendstrafrechts. Man will mit erzieherischen Maßnahmen auf den Jugendlichen einwirken, teilweise mit Hilfe von Arbeitsauflagen oder auch mit Hilfe von Sozialpädagogen. Es wäre also auch gar nicht sinnvoll, dass alles immer zu Gericht zu tragen– so viel Personal können Sie im Übrigen gar nicht einstellen, weder bei Gericht noch bei uns.

Ist die Justiz denn unterbesetzt?
Dr. Gropp: Die Justiz, also Staatsanwaltschaften und Gerichte, haben in den letzten Jahren eine deutliche Personalaufstockung erfahren. Das hat uns natürlich sehr geholfen, dafür sind wir dankbar. Bei der Frage, wie und wo die zusätzlichen Kräfte eingesetzt werden, müssen wir immer darauf achten, dass das sehr koordiniert geschieht. Aber das funktioniert in der Regel auch ganz gut. Mir ist es wichtig, dass Personalaufstockungen bei der Polizei und bei der Justiz Hand in Hand gehen. Das Ganze ist ja wie ein Trichter: Wenn die Polizei Personal aufstockt, dann habe ich eine höhere Kontrolldichte und in aller Regel führt das zu mehr Verfahren. Die aufkommenden Verfahren bewältigen wir grundsätzlich gut. Steigen aber die Verfahrenszahlen deutlich, dann kann es trotz aller Optimierungsbemühungen sein, dass am Ende der Ruf nach zusätzlichem Personal laut wird.

Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit der dänischen Staatsanwaltschaft?
Winterfeldt: Wenn wir dort etwas ermitteln müssen, ist es für uns völlig unproblematisch. Ich kann dann ein Rechtshilfeersuchen an die dänischen Behörden schicken, damit beispielsweise Zeugen in Dänemark vernommen werden oder etwas durchsucht werden soll. Wenn die Ermittlungen in Dänemark abgeschlossen sind, was einige Zeit dauert, bekommen wir das Ergebnis dann auf dem Postweg zugesandt. Auf Ermittlungsebene profitieren wir auch sehr davon, dass Polizei und Zoll im gemeinsamen Zentrum in Padborg verbunden sind. Alle Informationen landen ja auch bei uns in der Akte.

Aber es dauert bestimmt keine drei Monate, bis Dänemark auf ein Rechtshilfeersuchen antwortet.
Dr. Gropp: Das hängt natürlich ganz von dem Umfang und der Bedeutung der Sache ab. Aber Bearbeitungszeiten von mehreren Monaten kommen durchaus vor.

Es gab in diesem Jahr mehrere Drogenrazzien in Flensburg. Wie geht es mit diesen Fällen weiter?
Winterfeldt: Aus verschiedenen Durchsuchungsmaßnahmen sind fünf verschiedene Haftbefehle hervorgegangen. Alle Ermittlungsverfahren sind mittlerweile durch Anklageerhebung bei der Großen Strafkammer für die Staatsanwaltschaft abgeschlossen. Mit Beginn der Herbstferien haben die Hauptverhandlungen begonnen.

Ist Flensburg ein größerer Umschlagplatz?
Winterfeldt: Flensburg ist sicher nicht ein Umschlagplatz wie Rotterdam oder Amsterdam, die Drehscheibe eines internationalen Drogenhandels. Aber wir stellen schon fest, dass es ein Nadelöhr auf dem Weg nach Dänemark ist. Viel hängt aber auch von der Kontrolldichte ab und Drogendelikte sind nun mal Kontrolldelikte. In Flensburg haben wir es schwerpunktmäßig mit Kokain, Marihuana, aber auch viel mit Amphetaminen zu tun.

Würde eine Legalisierung von Cannabis Ihre Arbeit erleichtern?
Dr. Gropp: Die Legalisierung von Cannabis ist eine Frage, die politisch zu entscheiden ist. Wir wenden hier Gesetze an und machen keine Politik. Und beim Eigengebrauch von Betäubungsmitteln haben wir ja schon Spielräume. Das Gesetz gibt uns schon seit langer Zeit die Möglichkeit, die Verfahren wegen Besitzes von geringen Mengen an Betäubungsmitteln für den Eigenverbrauch einzustellen.

Winterfeldt: Im Ergebnis ist es also keine Straffreiheit, aber wir dürfen in diesen Fällen von Gesetzes wegen von Strafe absehen. Da kann ich als Staatsanwalt ein Verfahren zum Beispiel einstellen, wenn ein Jugendlicher mit zwei-drei Konsumeinheiten Marihuana erwischt wird. Wenn es um Kokain geht, ist es wieder was ganz Anderes, weil wir da von ganz anderen Wirkstoffen reden. Aber das ist wieder unser Ermessensspielraum.

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