Jubiläumsfeier

Zum Geburtstag ein bisschen Normalität

Zum Geburtstag ein bisschen Normalität

Zum Geburtstag ein bisschen Normalität

SHZ
Schleswig
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Eröffnungs-Talk: Gottorf-Chef Claus von Carnap-Bornheim, Landtags-Vizepräsidentin Kirsten Eickhoff-Weber, Ministerpräsident Daniel Günther, Moderator Carsten Kock und Schleswigs Bürgermeister Stephan Doose (von links) Foto: Michael Staudt/shz.de

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Über 10 000 Besucher feiern auf der Gottorfer Schlossinsel die Gründung des Landes Schleswig-Holstein vor 75 Jahren.

Es war eine Feier zu Ehren von Gelassenheit, Pragmatismus und Zusammenhalt. Denn vor allem diese drei Eigenschaften zeichnen die Schleswig-Holsteiner aus – da waren sich die Festredner beim 75. Landesgeburtstag auf der Gottorfer Schlossinsel in Schleswig gestern einig. Anlass des dortigen Bürgerfestes mit rund 10000 Besuchern war ein historischer Akt der damaligen britischen Besatzungsmacht: Heute auf den Tag genau vor einem Dreivierteljahrhundert, am 23. August 1946, verlieh sie Schleswig-Holstein den Status eines Landes – und legte so das Fundament für den Aufbau der Demokratie nach dem Nationalsozialismus.

Die Gründungserfahrung hat Auswirkung bis heute

Nach Einschätzung von Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) strahlt ein Merkmal der Geburtsstunde des Landes bis in die Gegenwart aus: die Integration einer Million Flüchtlinge aus den einstigen deutschen Ostgebieten, wodurch sich die Einwohnerzahl nahezu verdoppelte. „Diese Erfahrung hat bis heute Einfluss darauf, wie wir mit Herausforderungen umgehen“, sagte der Regierungschef. Er leitet daraus eine größere Weltoffenheit als anderswo ab sowie Geduld in schwierigen Lebenslagen. Letzteres habe „dazu beigetragen, dass wir besser durch die Pandemie gekommen sind als andere“, so Günther. Die große Mehrheit der Menschen im Norden habe sich „vorbildlich verhalten“. Auch „die mitfühlende Art“ von Bürgern im Norden, wenn es aktuell um die Aufnahme von Flüchtlingen aus Afghanistan gehe, mache ihn stolz.

 

Landtags-Vizepräsidentin Kirsten Eickhoff-Weber (SPD) würdigte die Entwicklung Schleswig-Holsteins aus schwierigsten Anfängen heraus als „echte Erfolgsgeschichte“. „Aus der Gründungsgeschichte vor 75 Jahren können wir mitnehmen, dass Menschen mit Solidarität, Mut und Zuversicht alles erreichen können“, sagte sie. Wichtigste Aufgabe für die Zukunft sei es, die damals geschenkte „Demokratie hochzuhalten“ und „jeder Form von Ausgrenzung und Diskriminierung entgegenzutreten“. Beim Blick nach vorn immer wieder herausgestellt wurde Schleswig-Holsteins Rolle für ein Gelingen der Energiewende – nicht nur von Eickhoff-Weber und Günther, sondern auch durch Bischof Gothart Magaard bei einem Festgottesdienst.

 

Viel Hilfsbereitschaft und Interesse an den Infoständen

„50 Gespräche haben wir bis jetzt bestimmt geführt“, bilanziert Svenja Mix von der Landes-Arbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen gegen 15.30 Uhr. „Meistens waren es Leute, die mal in fünf Wochen, mal in fünf Jahren in Rente gehen und gefragt haben, wo sie sich dann engagieren können.“ Andere suchten nach neuen Einsatzfeldern, nachdem die Corona-Zeit ihrem früheren ehrenamtlichen Engagement einen Abbruch getan hat. Arbeit mit Kindern habe beim Interesse vorne an gestanden, sagt Mix. Sie versuchte dann, die Kompetenzen der Neugierigen näher einzugrenzen und gaben Tipps, welche Anlaufstellen auf Kreisebene konkrete Aufgaben vermitteln können.

 

Der Info-Stand der Freiwilligenagentur war einer von 90, die Schloss Gottorf in Schleswig gestern umkränzten. Ob Kultur oder Bildung, Soziales oder Wissenschaft, Heimat oder Katastrophenschutz: Beim Bürgerfest anlässlich der Gründung des Landes Schleswig-Holstein vor 75 Jahren repräsentierte diese Palette Vielfalt und Innovationskraft des Lebens zwischen Nord- und Ostsee. Gut 10 000 Besucher strömten zur Geburtstagsfeier ihres Bundeslands – über den Tag verteilt, denn um Corona-Abstände einzuhalten, durften zeitgleich höchstens 5000 Gäste auf die Schlossinsel.

 

„Wir sind froh, weil wir ein bisschen die Normalität wiederbeleben können“, betonte Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) mit Blick auf die Corona-Lage. Landesregierung und Landtag als Ausrichter des Fests „möchten damit ein bisschen Vorbild sein und anderen Sorgen nehmen, auch mal wieder eine Großveranstaltung zu machen“.

Selbstgebackener Kuchen vom Bürgermeister

 

Für einen Tag wurde Schleswig damit de facto erneut Hauptstadt, nachdem es den Status mit der Umwandlung der einstigen preußischen Provinz in ein Land durch die britische Besatzungsmacht am 23. August 1946 an Kiel verloren hat. Als verbindendes Element lehnte sich der Eröffnungs-Akt des Schleswiger Festes an die Kieler Woche an: Ähnlich wie dort beim „Anglasen“ läuteten Günther und Landtagsvizepräsidentin Kirsten Eickhoff-Weber (SPD) die Feierlichkeiten mit einer Glocke ein. Anschließend verteilten beide ans Publikum Zitronen-Blechkuchen mit Deko in Schleswig-Holstein-Farben, die Schleswigs Bürgermeister Stephan Doose selbst gebacken hatte.

Meere, Horizonte, Klarheit, Eindeutigkeit

„Die Geburtstagsfeier haben sich alle Menschen verdient, die hier sind“, betonte Günther. Die Bürger könnten „stolz sein auf ihre Weltoffenheit“. Der „Landesvater“ verbindet die Eigenschaft „mit den Meeren und der Weite der Horizonte“. Eickhoff-Weber huldigte „Himmel, Wolken und Wind“ über dem Norden. Von dort zog sie eine Linie zur „Klarheit und Eindeutigkeit der Menschen, die Schleswig-Holstein anders machen als viele andere Bundesländer“.

Anfangs wollten nicht alle im Land das neue Land

Der Historiker Uwe Danker von der Europa-Universität Flensburg rief in Erinnerung, dass am Anfang der 75 Jahre so gar kein Glanz war. Hunger, Wohnungsnot, Trauer um getötete Angehörige hätten 1946 den Alltag geprägt. Die ersten Landespolitiker hätten zunächst deutliche Zweifel an der Lebensfähigkeit eines eigenständigen Schleswig-Holstein formuliert. Längst nicht jeder im Land habe das neue Land 1946 haben wollen: Die eine Million Flüchtlinge sehnten sich zurück in den Osten, eine Mehrheit im Landesteil Schleswig unter die Krone Dänemarks. Zu feiern gilt es laut Danker vor allem, dass sich mit der verordneten Gründung des Landes der Aufbau der Demokratie verbinde.

 

Auch Günthers Amtsvorgänger Torsten Albig (SPD) und Peter Harry Carstensen (CDU) nahmen sowohl am Festakt als auch zuvor am Festgottesdienst im Schleswiger Dom teil. Nachdem sich frühere Generationen von Politikern teils unversöhnlich bekämpft hatten, sollte das zum Geburtstag ein Stück Gemeinschaftsgeist auch der Verantwortungsträger setzen. Es sei klug, nach einem Regierungswechsel nicht alles anders zu machen, sondern Gutes auch fortzuführen, äußerte Günther. Er nannte etwa die fortgeführte Strategie des Kabinetts Albig, beim schnellen Internet landesweit auf Glasfaser statt auf Übergangslösungen zu setzen. „Nicht nur die glücklichsten Menschen leben in Schleswig-Holstein, sondern auch die glücklichsten Ministerpräsidenten“, glaubt Günther.

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