Mit Bus und Bahn von A nach B

Zwischen Nervenkitzel, Orientierungslosigkeit und Geldnot: Mit dem ÖPNV durch SH

Mit dem Nahverkehr durch SH

Mit dem Nahverkehr durch SH

Inga Gercke/shz.de
Schleswig-Holstein
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Ein Tag, ein Ticket und viele Herausforderungen. Mit dem ÖPNV durch Schleswig-Holstein: Reporterin Inga Gercke hat sämtliche Gefühlslagen schon durch – und gerade mal die Hälfte geschafft.  Foto: Michael Ruff/shz.de

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Ob mit Bus oder Bahn – das ÖPNV-Netz in Schleswig-Holstein soll Menschen umweltschonend von A nach B bringen. Aber wie klappt das abseits viel befahrener Strecken? Ein Tag, ein Selbstversuch und einige Höhen und Tiefen.

Ich sitze in einer Regionalbahn Richtung Westküste und bin den Tränen nahe, entscheide mich aber dann doch gegen das Verzweifeln und für einen Schokoriegel. Wo genau ich gerade bin – ich weiß es nicht. Wie lange ich bis zum nächsten Umstieg habe – keine Ahnung. Aber nicht nur ich habe die Orientierung verloren: auch der DB-Navigator, der mich von Eckernförde nach Brunsbüttel leiten sollte, scheint aufgegeben zu haben. Seinen Angaben nach müsste ich gleich in den Zug nach Itzehoe steigen. Geht nicht, da komme ich gerade her.

Der Tag in Bildern:

In die Situation hat mich die Idee gebracht, mal das ÖPNV-Netz in Schleswig-Holstein zu testen. Meine Strecke: Eckernförde - Kiel - Elmshorn - Itzehoe - Brunsbüttel und zurück, einmal diagonal von Ost nach West. Und um es vorwegzunehmen: Ich bin relativ pünktlich an meinem Ziel angekommen. Das ist auch das einzige, was an diesem Tag positiv zu berichten gibt. Na gut, es gab da noch einen Busfahrer, der mich kurz glücklich gemacht hat, ohne es zu wissen. Aber von Anfang an. 

Pünktlicher Beginn und erste Nervosität

Bahnhof Eckernförde: 10.05 Uhr. In einer Viertelstunde kommt mein Zug. Ich rauche noch eine Zigarette und schlendere dann zum Fahrkartenautomaten. Vor mir steht eine Frau mit einem Kind. Minutenlang stehen sie vor dem dreckigen Kasten, tippen, klopfen und versuchen einen Geldschein in die Öffnung zu friemeln. Langsam werde ich nervös. Jetzt sind es nur noch drei Minuten, bis meine Bahn kommt. Aber es klappt alles. Meine EC-Karte nimmt der Automat ohne Murren. Geht ja heute auch alles ohne Bargeld, ein Gedanke, der mir später noch auf die Füße fallen wird. Mit dem Schleswig-Holstein-Ticket steige ich in die erste Bahn ein. 

Biertrinkende Mitreisenden

Im Regionalzug sind die meisten Plätze besetzt. Ich quetsche mich neben einen Koffer, der anderthalb Plätze in Beschlag nimmt. Der gehört zu einer Männerreisegruppe, die wiederum auf dem Vierer vor mir sitzt und sich lautstark über ihre Freundinnen, Fußball und das bevorstehende Männerwochenende unterhält. „Wären wir mit dem Auto gefahren, wären wir schon fast da“, sagt einer. „Dann hätten wir aber nicht trinken können“, sagt ein anderer. Dosenbier und Cola-Korn-Mischen machen die Runde. Bifis werden gefrühstückt. 

Unklare Toilettensituation

Irgendwann muss einer der Herren auf die Toilette. Sein Fazit: „Frauen können hier nicht aufs Klo“, schmettert er seinen Kumpels entgegen und schielt mich beim Vorbeigehen an. Obwohl mir der Kerl unsympathisch ist, nehme ich den Ratschlag an. 

In Kiel kommen wir rechtzeitig an. Elf Minuten Umsteigezeit. Für einen Euro gönne ich mir einen Toilettenbesuch am Bahnhof. War ganz okay. 

Kofferproblematik und aufmunternde Worte

Im Zug nach Elmshorn treffe ich Monika und Thomas aus Stuttgart. Sie machen hier Urlaub. Wir sitzen im unteren Teil des zweistöckigen Zuges. „Nur hier geht das mit den Koffern“, sagt Thomas. „Die passen da oben nicht rein. Im IC geht das, in einer Regionalbahn nicht.“ 

Verwirrende Lautsprecherdurchsagen und eine angebliche Verspätung

Dann, kurz vor Neumünster, ertönt eine Lautsprecherdurchsage. Ich verstehe kein Wort, sie ist viel zu leise, und der Sprecher nuschelt. Monika klärt mich auf. „Die koppeln einen Zugteil ab. Das haben die bei der Hinfahrt schon erzählt. „Das wird die DB ja sicher im Fahrplan berücksichtigt haben“, denke ich mir. Eine Anzeigetafel beweist mir das Gegenteil. Aktuelle Verspätung: 10 Minuten. Das sind genau die zehn Minuten, die ich in Elmshorn zum Umsteigen gehabt hätte. Plötzlich springt die Anzeige wieder um. Nun scheint doch alles in Ordnung zu sein. Kurz darauf zeigt sie wieder eine Verspätung an – jetzt nur noch zwei Minuten. Unruhe und Nervosität steigen in mir auf.

Die restlichen 20 Minuten sitze ich aufgeregt auf meinem Klappsitz, gucke ständig zur Tafel. Die motivierenden Worte von Thomas und Monika nerven mich mittlerweile. Ich suche nach Alternativrouten in der DB-App. Außer, dass irgendwo Tiere auf den Gleisen sind, gibt es keine Informationen für mich. Dann eben nicht. 

Gerenne auf dem Bahnhof

In Elmshorn sprinte ich aus dem Zug Richtung Gleis eins. Glück im Unglück. Mein Anschlusszug hat 20 Minuten Verspätung. Meine Laune steigt wieder. Ich will mich vor dem Bahnhof etwas umgucken. Die Sonne kommt raus, ich lehne mich kurz zurück und schließe die Augen. 20 Minuten sind 20 Minuten. Zufällig schaue ich auf die Anzeigetafel. Plötzlich hat mein nächster Zug doch keine Verspätung mehr. Ich renne zurück Richtung Gleis. Im Slalom weiche ich Müttern mit Kinderwagen und schlendernden Koffertouristen aus. Gefühlt fünf Durchsagen informieren gleichzeitig zu unterschiedlichen Reiserouten – ich verstehe wieder gar nichts. Ein Mann ruft mir ein lautes „Hey, langsam hier“ hinterher. Wenn der wüsste …

Sportliche Höchstleistung

An der Treppe zum Gleis nehme ich gleich zwei Stufen auf einmal. Das muss das Adrenalin sein. Kaum im Zug, fährt dieser auch schon los. Ich lasse mich auf einen Sitz fallen, der Wagon ist fast leer. Ich merke, wie gestresst ich bin, und habe keine Lust mehr. Ich würde gerne etwas trinken, aber die ungewisse Toilettensituation hält mich davon ab.

Kryptische Angaben der Deutschen Bahn

Die Fahrt nach Itzehoe ist ruhig, es sind kaum Menschen im Zug. Ich komme etwas zur Ruhe und gucke aus dem Fenster. Schleswig-Holstein ist schon schön, denke ich mir. Die Bäume rauschen vorbei. Der Schokoriegel schmeckt, der Sitz ist bequem. „Was sollte jetzt noch passieren?“, denke ich mir.

In Itzehoe habe ich fünf Minuten Zeit, den Bus Richtung Brunsbüttel zu finden. Die Angaben in der DB-Navigator-App sind kryptisch. In Itzehoe wartet ein Kollege auf mich. Er soll einen Teil meiner Reise fotografisch dokumentieren. Ich freue mich, ihn zu sehen. Endlich ein bekanntes Gesicht. Aber wir haben keine Zeit zum Schnacken. „Habe ich meinen Bus verpasst?“, frage ich ihn laufend. „Nein, würdest du aber, wenn ich dich nicht hinbringen würde“, sagt er. 

Durch den Bahnhof, hoch, links, rechts. Ich reagiere nur auf die Anweisungen, die mir mein Kollege hinterherruft. Und tatsächlich, hinterm Bahnhof auf einem Seitenparkplatz, steht ein Bus mit dem Fahrtziel „Expressbus Brunsbüttel“ auf der Leuchtanzeige. Ich zeige dem Busfahrer mein SH-Ticket. „Das gilt hier nicht“, sagt er. „Warum?“, will ich von ihm wissen. Schließlich ist das ein Bus der Autokraft, die wiederum zur Deutschen Bahn gehört, und wir befinden uns auch nach wie vor in Schleswig-Holstein. „Kann ich dir nicht sagen, das ist nicht meine Gehaltsklasse“, antwortet er.

Mit meinem letzten Kleingeld bezahle ich die 4,10 Euro für die letzten 25 Kilometer – Kartenzahlung geht nicht. Auf der Internetseite der Bahn steht dann auch, dass das SH-Ticket in Bussen nicht gilt. Da muss man auch erstmal drauf kommen.

Mitreisende sucht man sich nicht aus

Im Bus nach Brunsbüttel dann mein persönlicher Horror: Eine Frau beißt genüsslich in einen Apfel. Bei dem Geräusch wird mit übel – die stickige Luft im Bus wird durch die Klimaanlage verteilt. Und immer wieder diese Kaugeräusche. In Brunsbüttel angekommen, setze ich mich erst einmal auf eine Bank. Die Tour muss ich auch wieder zurück. Mist.

Ich  versorge mich  mit  Bargeld, einem Brötchen und Kaffee, dann trete ich die Rückfahrt an. 

Das Highlight des Tages

Der Bus ist pünktlich. Und dann passiert doch tatsächlich etwas Schönes: Ein Mann läuft neben dem gerade anfahrenden Bus her und fuchtelt wild mit den Armen. Der Busfahrer hält hinter der nächsten Kurve an. Hilfsbereitschaft ist wohl in seiner Gehaltsklasse mit inbegriffen. Der Nachzügler freut sich, ich mich auch. Und irgendwie geht auch ein erleichterndes Raunen durch die anderen Sitze, aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein. Der nächste Bus wäre erst in einer Stunde gefahren.

Aber schnell ist es mit meinem kleinen Anflug von Happy End vorbei. Hinter mir sitzt ein junger Mann. Auch durch seine Kopfhörer höre ich, dass er Rap-Musik hört, der halbe Bus hört das. Schlimmer ist aber, dass er ununterbrochen die Nase hochzieht. Das hört der ganze Bus. 

Chaos am Elmshorner Bahnhof

In Elmshorn dann wieder Chaos: Eine Verspätung wird angezeigt, was aber gar nicht der Fall ist. Die Hinfahrt hat mich gelehrt, genauer die Anzeigetafeln zu studieren. Auf die Navigationsapp verlasse ich mich mit Sicherheit nicht mehr. Das Ab- oder Ankoppeln in Neumünster frisst wieder Zeit, die wieder nicht wirklich eingeplant ist.  Kurz vor Kiel stehe ich mit gepackten Sachen als erste an der Tür. Bereit, um, mal wieder, loszulaufen. Ein Mann neben mir versteht die Situation: „Der Zug nach Eckernförde wartet immer“, sagt er. Tut er leider nicht, er fährt mir vor der Nase weg. Eine halbe Stunde muss ich auf den nächsten warten. Um kurz vor 18 Uhr erreiche ich dann meinen Startpunkt. Auf meinem Handy ist die DB-Navigator-App noch geöffnet. Ich lösche sie. Was für ein Tag. 

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