Vor 100 und vor 50 Jahren

Chronik Oktober 2021

Chronik Oktober 2021

Chronik Oktober 2021

Jürgen Ostwald
Jürgen Ostwald Freier Mitarbeiter
Nordschleswig
Zuletzt aktualisiert um:
Das Schloss Gravenstein gehörte vor der Abstimmung dem Hause Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg, nach der Abtretung Nordschleswigs und nach der Abfindung des Fürstenhauses dem dänischen Staat, der es bald der dänischen Königsfamilie als Sommerresidenz überließ; ein kurzer Bericht erschien am 21. Oktober 1921. Foto: wikipedia.dk

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Chronik Oktober 2021 – Vor 100 und vor 50 Jahren

Foto: DN
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Berliner Tageblatt – Sonnabend, 1. Oktober 1921 Abend-Ausgabe
Oskar Panizza
Der Dichter Oskar Panizza ist, wie unser Münchener Korrespondent meldet, in einer Bayreuther Heilanstalt gestorben. Des lange Verschollenen werden sich nicht viele mehr erinnern; aber er spielte einmal in der modernen realistischen Bewegung zu Ende des vorigen Jahrhunderte eine nicht unbedeutende Rolle. Sein Hauptwerk, die dramatische Dichtung „Das Liebeskonzil“, wurde seiner zeit beschlagnahmt und verboten und erregte um so größeres Aufsehen. Seit mehr als einem Jahrzehnt war Panizza wegen einer Nervenkrankheit von der Welt getrennt. Er war 1853 in Kissingen geboren.

Oskar Panizzas „Liebeskonzil“ provozierte einen der zahlreichen Literaturskandale um die Jahrhundertwende von 1900. Das satirische Schauspiel, „eine Himmelstragödie in fünf Aufzügen“, wie „Das Liebeskonzil“ im Untertitel hieß, war um das Jahr 1500 herum angesiedelt und hatte die Ausbreitung der Syphilis zum Thema. Gottvater, als alt und mürrisch dargestellt, und Christus, schwächlich und lungenkrank, beobachten die Ausbreitung der Krankheit, wie sie sich am päpstlichen Hof im Vatikan beim Papst, bei den Kardinälen und Bischöfen usw. über ganz Europa ausbreitet. Der Teufel benutzt dazu Salome, die zunächst Papst Alexander ansteckt, und danach alle Geistlichen. Das auch vor Obszönitäten nicht zurückschreckende Stück rief natürlich sogleich die üblichen Kritiker und die Staatsanwaltschaft auf den Plan, obwohl das blasphemische Werk prominente Verteidiger hatte. Kein geringerer als Theodor Fontane schrieb in Briefen an Maximilian Harden, dem Herausgeber der damals allmählich berühmt werdenden Zeitschrift „Die Zukunft“, im Juli 1895: „Ein ganz bedeutendes Buch“, sei die Komödie, „und ein Jahr Gefängnis sagt gar nichts. Entweder müsste ihm ein Scheiterhaufen oder ein Denkmal errichtet werden. Unser Publikum müsste endlich lernen, dass der Unglauben auch seine Helden und Märtyrer hat.“ Die Erregung war damals allgemein. Detlev von Liliencron rief sogar: „Kolossal! Nochmals: Geradezu kolossal!“

Panizza, von Beruf Arzt und vor dem Erscheinen des „Liebeskonzils“ selber als  Psychiater tätig, wurde zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Nach diesen zwölf Monaten war Panizza ein gebrochener Mann, erkrankte psychisch, wurde entmündigt, kaserniert und starb 1921 in einem Sanatorium. Im Jahr seines Todes war Panizza ein vergessener Mann. Heute aber sind sein Leben, sein Werk und die Umstände seines Wirkens und Scheiterns gut erforscht und es liegen zahlreiche Untersuchungen vor.

„Das Liebeskonzil“ erschien als Buch 1894 in Zürich, 1912 wurde eine bibliophile Ausgabe als privater Pressendruck mit Illustrationen von Alfred Kubin in kleiner Auflage herausgegeben (Das Buch war für den Buchhandel verboten). 1976  erschien das Liebeskonzil als Fischer-Taschenbuch. Und außerdem ist es heute für jedermann im Netz zugänglich.

Die ersten Ausgaben des „Liebeskonzils“ zierte ein Umschlag nach einer Zeichnung von der Hand Max Hagens (vgl. Abb.) Max Hagen wurde 1859 als Kaufmannssohn in Flensburg geboren und studierte an der Münchner Kunstakademie. Er war mit der Mutter Oskar Panizzas, Mathilde Panizza, bekannt. Ihre Enkelin bekam von Hagen Malstunden. Die Zeichnung für „Das Liebeskonzil“ machte Hagen bekannt. Er arbeitete bald als Zeichner und Illustrator für die „Jugend“ und den „Simplicissimus“. Hagen starb bereits kurz vor dem Ersten Weltkrieg in Bayern.

Oskar Panizzas umstrittenes Liebeskonzil illustrierte der Flensburger Max Hagen. Foto: Wikipedia.com

Sonderburger Zeitung – Sonnabend, 1. Oktober 1921
Gravenstein. Von gewisser Seite macht man eifrig Stimmung dafür, dass das Schloss in Gravenstein dem König von Dänemark als Wohnung zur Verfügung gestellt werde. Das Blatt „Politiken“ meint demgegenüber, dass davon wohl kaum die Rede sein könne. Das Schloss gehöre dem Staat, und wenn die Bevölkerung wolle, das der König es als zeitweise Wohnung erhalte, dann müsse sie es vom Staate kaufen. Darauf werde sich dieser aber wohl kaum einlassen, das man es dringend für andere Zwecke gebraucht. Verlange man aber, dass der Staat selbst dem König das Schloss zur Verfügung stelle, so müsse man dagegen sagen, dass die Ausgaben zu hoch werden würden, als dass Aussicht vorhanden sei, dass sie bewilligt werden würden.

 

Sonderburger Zeitung – Montag, 3. Oktober 1921
Wie lange wird Nordschleswig dänisch bleiben?
Das Chauvinistenblatt „København“ zitiert eine vom „Kristeligt Dagblad“ vom 27. September wiedergegebene Erklärung des Bischofs Ludwigs: In der Welt seien Anzeichen dafür vorhanden, die darauf hindeuten, dass der Besitz Nordschleswigs nur eine Reihe von Jahren Dauer behalten werde. – „København“ bemerkt dazu, eine solche Äußerung eines Dänen in hervorragender Stellung könne viel Verdruss bereiten. Sie werde die Deutschen Nordschleswigs in ihrem Kampf gegen Dänemark und dänische Kultur unterstützen. Es sei zu hoffen, dass der Bischof die Äußerungen nicht in dieser Form getan habe. – Nun wird sich zeigen, ob Bischof Ludwigs sich zum Widerruf zwingen lässt.

Die Äußerung Christian Ludwigs’, von 1915 bis zu seinem Tod 1930 trotz schwerer Krankheit Bischof von Aaalborg Stift, löste in der dänischen Presse, ob links oder rechts, eine Welle der Empörung aus. Ludwigs war gerade im September von der 200-Jahr-Feier Hans Egedes auf Grönland zurückgekehrt (der Missionar war 1721 Pfarrer auf Grönland geworden) und hatte einen größeren Weitblick als seine Kritiker, obwohl er natürlich mit seiner Einschätzung falsch lag. Das hätte er eigentlich wissen können, zumal er von Jütland stammte und 1877 in Skanderborg geboren wurde und aufwuchs.

 

Berliner Tageblatt – Donnerstag, 6. Oktober 1921 Morgen-Ausgabe
Deutschland und der Völkerbund
London. (Privat-Meldung.) Lord Robert Cecil erklärte in einem Interview, er sei überzeugt, dass, wenn Deutschland sich jetzt für die Mitgliedschaft des Völkerbundes melde, der Völkerbund Deutschland auch aufnehmen werde. Eine derartige deutsche Bitte würde einen sehr guten Eindruck machen, weil sie den Beweis erbrächte, dass Deutschland an der Aufrechterhaltung des Weltfriedens mitzuarbeiten wünscht. (Nach unserer Meinung sind bisher keinerlei Ereignisse  eingetreten und keinerlei Vorgänge zu betrachten gewesen, die Deutschland zu einer Änderung seiner bisherigen abwartenden Haltung veranlassen könnte. Die Red.)

 

Sonderburger Zeitung – Sonnabend, 8. Oktober 1921
Fürstin Pauline Metternich gestorben
Die Fürstin Pauline Metternich ist in Wien im 85. Lebensjahre gestorben. Sie war die Gattin des 1895 verstorbenen ehemaligen österreichisch-ungarischen Gesandten Fürsten Richard Metternich. Sie begleitete ihn auf seinen Reisen nach Paris, London und den sächsischen Höfen. Dem kaiserlichen Hofe Napoleons III. war die Fürstin eng verbunden und hatte bei den dortigen Festlichkeiten eine hervorragende Rolle gespielt. Bis vor ungefähr einem halben Jahre hatte sie ihre geistige Frische behalten, litt dann aber sehr unter dem krankhaften Wahn der drohenden Verarmung. Sie hat viele Antiquitäten aus ihrem Palais verkauft und ihren in Wien bekannten Wagen an einen Fleischer veräußert, der ihr aber das Recht gab, jeden Tag den Wagen einige Stunden zu benutzen. Die letzte Freude ihres letzten Lebensjahres war der unbestreitbare Erfolg ihres Memoirenwerks.

Pauline Clementine Marie Walburga Fürstin von Metternich-Winneburg zu Beilstein geborene Gräfin Sandor von Szlavincza  war eine typische Vertreterin der Adelswelt des Alten Europa. Sie war eine Enkelin des Staatskanzlers Metternich, der bekanntlich einer ganzen Epoche den Namen lieh. Sie heiratete zwanzigjährig 1856 ihren Onkel Klemens Metternich, der  1859 bis 1871 am französischen Hof in Paris österreichischer Geschäftsträger war. In dieser Zeit führte Pauline, auch als Freundin der Kaiserin Eugenie, einen europaweit beachteten Salon. Auch nach ihrer Rückkehr nach Wien war sie eine begehrte Saloniere und eine der bekanntesten Wiener Gegnerinnen der Kaiserin Elisabeth (Sissi). Einen Eindruck ihrer Person vermittelt das Gemälde des berühmtesten österreichischen Porträtisten Franz Xaver Winterhalter (Abb.), der es 1860 in Paris schuf und Pauline mit einer Wolke von Tüll meisterhaft umhüllte.

 

Sonderburger Zeitung – Sonnabend, 8. Oktober 1921
Der nächste Weltkrieg
London. „Daily Express“ schreibt: Überall in der Welt rechnen Staatsmänner, Bankiers, Geschäftsleute und Industrielle mit der Wahrscheinlichkeit, dass es zwischen Japan und Amerika in kurzer Zeit zu einem Konflikt kommen wird. Die Ursachen sind: Die widerstrebenden Interessen im Stillen Ozean, die japanische Einwanderung und die von Japan während des Krieges von chinesischen Behörden erzwungenen Konzessionen sowie die kriegerische Stimmung maßgebender japanischer Kreise. Die Zeitpunkt des Ausbruchs des Konflikts sei abhängig von der Bewaffnung Japans, die spätestens 1923 fertig sein werde. In diesem Kriege werde England schon wegen Kanada nicht neutral bleiben können.

 

Sonderburger Zeitung – Montag, 10. Oktober 1921
China verlangt Rückgabe Kiautschous
Nach eine Havasmeldung aus Peking wurde die chinesische Antwort auf die japanische Note zur Schantungfrage am 5. Oktober dem japanischen Gesandten übergeben. Die Note besagt, die chinesische Regierung stehe auf dem Standpunkt, dass Kiautschou China bedingungslos zurückgegeben werden müsse. China bestehe darauf, dass die japanischen Truppen das chinesische Gebiet räumen.

Havas war die damals führende französische Nachrichtenagentur wie Ritzau in Dänemark. Havas gibt es immer noch (gegründet 1835), Ritzau (gegründet 1866) bekanntlich auch.

 

Berliner Tageblatt – Dienstag, 11. Oktober 1921
Gott grüßt die Kunst.
Die Bolschewiki haben in Moskau eine Akademie für Scharfrichter eröffnet, in der begabte junge Männer und Damen (denn in diesem Musterstaat sind den Frauen alle Ämter zugänglich) die Kunst des Kopfabschlagens, Aufhängens und Totschießens erlernen können. Ein anatomisches Kabinett für den Anschauungsunterricht ist der Schule angegliedert.

Ich weiß nicht, meine Herrschaften, was darüber zu lachen ist. Denn, bitte sehr, wo ist der Unterschied zwischen dieser Akademie und irgendeinem Schützenverein bei uns? In beiden wird die Kunst geübt, etwas Lebendes umzubringen, und es ist kein Unterschied vorhanden.

An der allgemeinen Entwickelung und dem großartigen Fortschritt, den die Menschheit bekanntlich vollführt, hat das Morden seinen guten Anteil gehabt; es hat sich ebenso entwickelt wie etwa die Schifffahrt und die Baukunst, ja vielleicht noch mehr und noch glanzvoller.

Wenn in dem Kaiserreich Neandertal ein Hausbesitzer mit seinem Nachbar einen kleinen Disput hatte, etwa über das Ausklopfen der Teppiche oder so, und man konnte sich gar nicht einigen, so nahm der Entschlossenere von beiden einen handgerechten Stein von der Straße und schlug damit dem anderen den Gehirnkasten ein. Das war ein einfaches, ursprüngliches Menschentum, ohne jede Kunst, und es war das goldene Zeitalter, von dem die Dichter singen.

Dann wurde das Metall erfunden, mit dem sich die Halsschlagadern bequemer durchschneiden lassen, was eine wesentliche Zeitersparnis bedeutet. Es kam der Dolch, dessen Griff der kluge Künstler ziselierte, das Pulver mit seiner großen Kulturaufgabe, und schließlich der Revolver, den heute der ordnungsliebende Bürger in der Tasche trägt, wenn er Abends ausgeht, um einen Schoppen Wein zu trinken.

Und man braucht sich nicht zu wundern, dass in unserer Zeit mit ihrem hochentwickelten Unterrichtswesen Stätten eingerichtet werden, an denen staatlich geprüfte Privatdozenten der Jugend die Kunst des Abfertigens erläutern; an der schwarzen Tafel und mit der weißen Kreide.

Nur eines kann den Bolschewiki vorgeworfen werden, nämlich dass sie sich selbst widersprechen; denn sie haben die Abschaffung der Todesstrafe verkündet und in ihr Programm aufgenommen.

Aber sie erkannten bald, dass man so nicht vorwärts kommt; es müssten ja zunächst einmal alle die reaktionären Elemente aufgehängt werden, die sich der Abschaffung der Todesstrafe widersetzten.

Das kleine bittere Feuilleton stammt von Viktor Auburtin (1870-1928). Und der war einer der glänzendsten Stilisten der Kleinen Form in den Zwanziger Jahren in Berlin. Eines seiner Hauptorgane war über lange Jahre das „Berliner Tageblatt“. Seine geschliffenen poetischen Perlen, die zugleich von federnder Leichtigkeit sind, bleiben unvergessen. Immer wieder erscheinen im deutschen Buchhandel bis auf den heutigen Tag Ausgaben seiner Werke.

 

Sonderburger Zeitung – Dienstag, 18. Oktober 1921
Sonderburg. Ein Verbot, das vielleicht wenig bekannt ist, aber schon längere Zeit besteht, richtet sich gegen den Einzel-Verkauf von Zigaretten. Das Verbot, das durch das „Inspektorat für Tabakbesteuerung“ erlassen ist, lautet folgendermaßen: „Einzelverkauf von Zigaretten, d. h. Verkauf in einzelnen Stücken und Verkauf von Rauchtabak nach losem Gewicht, ist verboten. Die genannten Waren dürfen nur in den Originalverpackungen verkauft werden. Übertretungen des genannten Verbotes ziehen Geldstrafen nach sich.“ – Zigarrenhändler, Kaufleute, Höker und Gastwirte dürfen danach nur Zigaretten in mit Banderole versehenen vollen Schachteln oder Packungen abgeben. Jeder lose Verkauf von Zigaretten – wohlgemerkt nicht Zigarren – in Tüten oder wie üblich in Gasthäusern auf Tellern ist nicht zulässig. Es kann nicht genug vor diesem unzulässigen Verkauf gewarnt werden, da er Geldstrafen bis zu 5.000 Kronen nach sich zieht.

So weit die dänische Regelung, die jeden Einzelverkauf verbietet. In Deutschland ist er erlaubt, gleichwohl ist dort natürlich alles viel komplizierter. Es greift das deutsche „Zigarettensteuergesetz vom 3. Juni 1906 unter Berücksichtigung der Änderungen durch Artikel IIIa des Gesetzes vom 15. Juli 1909 wegen Änderung des Tabaksteuergesetzes“ und die damit verbundenen Ausfuhrbestimmungen. Der Einzelverkauf kommt erst mit dem § 50 zur Sprache:

„(1.) Der Einzelverkauf von Zigaretten ist nur in der Weise zulässig, dass sie unmittelbar aus den zugehörigen mit Steuerzeichen versehenen Umschließungen entnommen und dem Käufer eingehändigt werden. Das gleiche gilt für den Verkauf von losem Zigarrentabak. Bei Öffnung der Packungen ist eine der drei Mittelfelder des Steuerzeichens unter Beachtung der Vorschrift im Abs. 4 zu zerreißen oder zu zerschneiden. Aus Luxuspackungen, an denen das Steuerzeichen gemäß § 14 Abs. 4 angebracht ist, ist der Einzelverkauf nicht gestattet.

(2.) In den Verkaufsstätten darf für den Einzelverkauf von jeder nach Handelsmarke oder Kleinverkaufspreis verschiedenen Sorte nur eine Umschließung geöffnet sein. Die Hauptämter sind jedoch ermächtigt, auf Antrag bei nachgewiesenem Bedürfnis widerruflich zu gestatten, dass von den in der Verkaufsstätte gangbarsten Sorten mehrere Packungen für den Einzelverkauf  offen gehalten werden. Diese Vergünstigung ist an folgende Bedingungen zu knüpfen:

a) Der Verkäufer hat in der Verkaufsstätte neben dem im § 51 vorgeschriebenen Aushang ein amtlich ausgefertigtes Verzeichnis derjenigen Sorten anzubringen, von denen mehr als eine Packung offen gehalten werden darf.

b) Er hat ferner, wenn nicht jede einzelne Zigarette Firma und Sitz des Herstellers oder ein diesem geschütztes Warenzeichen trägt, auf den geöffneten Packungen den Tag der Öffnung mit Tinte oder Stempelaufdruck zu vermerken. Nach Lage des Einzelfalls können außerdem die Hauptämter noch besondere Aufsichtsmaßnahmen anordnen.“

Wir brechen an dieser Stelle die Wiedergabe der Ausführungsbestimmungen des Gesetzes ab, um den Leser nicht zu überfordern. Es geht noch immer weiter und weiter. Ich versichere ausdrücklich, dass obiges keine Satire ist, ich hätte es auch so schön nicht hinbekommen.

Die 22-jährige Witwe Prinzessin Joachim mit ihrem Sohn, eine Postkarte von 1917 nach dem Porträt eines Hofphotographen Foto: Deutsches Historisches Museum, Berlin

Sonderburger Zeitung – Mittwoch, 19. Oktober 1921
Um den Sohn des Prinzen Joachim
In fünfstündiger dramatischer Gerichtsverhandlung kämpfte vor dem Potsdamer Landgericht die Prinzessin Joachim, die Witwe des durch Selbstmord geendigten jüngsten Kaisersohnes, um ihr einziges Kind, das ihr von dem Prinzen Eitel Friedrich von Preußen vorenthalten worden. Das Gericht trug dem Prinzen Eitel Friedrich auf, den Sohn der Prinzessin an diese herauszugeben.

Prinzessin Joachim war seit dem Witwe. Ihr Mann, Joachim von Preußen, der jüngste Sohn Kaiser Wilhelms und Kaiserin Auguste Viktorias, hatte sich im Juli 1920 erschossen. Im Prozess mit ihrem Schwager, der die Herausgabe ihres Sohnes an die Mutter verweigerte nachdem er ihn gewissermaßen entführt hatte, war sie erfolgreich. Sie starb 1983, blieb aber auch nach ihrem Tod Gegenstand der einschlägigen Presse, hatte sie doch 1980 einen Herrn Lichtenberg adoptiert, der seither und bis heute als Frederic Prinz von Anhalt von sich reden zu machen in der Lage ist.

 

Sonderburger Zeitung – Donnerstag, 27. Oktober 1921
De schewe Been
„De Eekbom“, die bei Rich. Hermes erscheinende plattdeutsche Monatsschrift, teilt folgende Grabschrift aus der Lübecker Marienkirche mit:

Hir liggt begraven Hans Kerkering,

De schef up sine Been gink;

Herr, mak em doch de Bene lik,

Un nim em in de Hiumelrik.

Du letst de Schape to di nan,

So lat den Buck doch ok mit gan.

Heute ist in der Lübecker Marienkirche nur das Epitaph des Bürgermeisters Gotthard von Kerkring von 1706 vorhanden. Ein weiteres für Heinrich Kerkring von 1695 ist im Zweiten Weltkrieg zerstört worden. Die Patrizierfamilie Kerkering war über Jahrhunderte mit ihren Kauffahrteischiffen auch in Häfen der jütländischen Ostküste tätig. Unser Epitaph ist wohl älter als die genannten und noch früher abgegangen. Bekannt wurde die Inschrift durch das berühmte mehrbändige Werk von Karl Julius Weber (1767-1832) „Demokritos. Oder, Hinterlasssene Papiere eines Lachenden Philosophen“, der in einem der letzten Kapitel (Komische Grabinschriften) die Inschrift bekanntmachte. Der Kölner Germanist J. M. Firmenich-Richartz, der in seinem Werk übrigens auch Nordschleswig berücksichtigte, machte es dann um 1850 in etwas anderem Wortlaut der Wissenschaft zugänglich in seinem folgenreichen Werk „Germaniens Völkerstimmen. Sammlung der deutschen Mundart“.

 

Sonderburger Zeitung – Montag, 31. Oktober 1921
Die Dänen haben Appetit auf den Idstedter Löwen
„Berlingske Tidende“ hat die Frage aufgeworfen betr. eine Verlegung des „Idstedter Löwen“ nach Dänemark und dabei erfahren, dass das Innenministerium bereits längere Zeit dieser Angelegenheit seine Aufmerksamkeit geschenkt hat. Ein Einsender Axel Nielsen aus Flensburg empfiehlt, den Löwen entweder bei Kollund oder Krusau oder auch bei Düppel aufzustellen. „Flensborg Avis“ will ihn in Flensburg auf dem alten Kirchhof aufstellen. – Wir meinen, der Löwe bleibt am besten dort, wo er ist. Er hat in Flensburg niemals Heimatrecht erworben; denn er stand dort keine zwei Jahre und war gegen den Willen der Mehrheit der Flensburger dort aufgestellt worden.

Der Idstedt-Löwe, bekanntlich seit einigen Jahren in Flensburg aufgestellt, war damals noch auf dem Gelände der ehemaligen Preußischen Hauptkadettenanstalt in Berlin-Lichterfelde beheimatet.

Foto: Vorwärts

Im „Vorwärts“, der auflagenstarken und in ganz Deutschland verbreiteten Tageszeitung der deutschen Sozialdemokratie, findet sich  am 17. November 1921 unter der Überschrift „Dänische Kulturarbeit“ ein bemerkenswerter kleiner Artikel, den wir hier vollständig zum Abdruck bringen. Er unterscheidet sich wohltuend von dem meist durchgängig aggressiven Ton der deutschen und dänischen Zeitungen in Nordschleswig. In der „Neuen Tondernschen Zeitung“, dem Sprachrohr J. Schmidt-Wodders, aber auch in der liberaleren nationalkonservativen „Sonderburger Zeitung“ werden alle misslichen Alltagsereignisse auf den Nationalitätenkampf bezogen, seien es verspätet oder nicht zugestellte Briefe oder Pferde, die zufällig auf fremden Koppeln weiden. In Kopenhagen und Berlin gab es in dortigen Zeitungen auch besonnenere Töne, wie der „Vorwärts“-Artikel beweist. In den Zeitungen in Tondern und Sonderburg wurde der Artikel unwillig aufgenommen. Man muss bedenken, dass die Verhältnisse in Nordschleswig an den Nationalitätenkämpfen andernorts, besonders in Schlesien, wo sich bürgerkriegsähnliche Verhältnisse entwickelt hatten, gemessen werden:

Wenn wir an Grenzlandpropaganda denken, so geschieht das nicht mit den besten Gefühlen. Der Abstimmungskampf in Oberschlesien ist in junger Erinnerung. Die Formen, die er annahm, waren nicht immer erquicklich. Ebenso wenig erfreulich ist der Werbefeldzug, den Frankreich im Saargebiet treibt. Marktschreierische Methoden und Gewalt sind die Hilfsmittel, deren man sich vorzüglich bedient. Tatsächliche, aufbauende Werte werden kaum geschaffen. Ist unsere Kultur soweit gesunken, dass sie einen rein geistigen Kampf nicht mehr mit geistigen Mitteln zu führen vermag?

Die Kulturarbeit der Dänen im deutschdänischen Grenzgebiet gibt auf diese Frage Antwort. Dänemark hat in Schleswig keine Politik der großen Worte getrieben. Aber in stiller zäher Tat hat es eine Aufbauarbeit geleistet, die verdient, in der Öffentlichkeit bekannt zu werden. Gleich nach der Abstimmung begann es, die dänischen Bodengesetze, die das Kleinbauerntum in den Vordergrund der Bodenpolitik stellen, auf die neuen Gebiete auszudehnen. Die Handwerker, die unter der Herrschaft des ehemaligen Königtums Preußen eines festen Zusammenschlusses ermangelten, wurden in Vereine zusammengeschlossen, die neben Interessenvertretung praktische Ausbildung und Beratung bezwecken. In ganz anderer Weise als unter der altpreußischen Verwaltung werden den Handelstreibenden, Handwerkern, Landleuten, Arbeitern, Fischern usw. Kredite zur Verfügung gestellt. Für Ausbau und Herstellung der Verkehrswege sind im Etat 1920 29 Millionen Kronen, für weitere elf Jahre zwölf Millionen Kronen angesetzt. Die an Dänemark gefallenen Häfen von Apenrade, Hadersleben, Sonderburg und Gravenstein werden in großzügiger Weise ausgebaut.

Neben dieser wirtschaftlichen Durchdringung hat eine lebhafte kulturelle Werbearbeit eingesetzt. Die etwa 50 dänischen Vereine Nordschleswigs wurden zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen, um auf diese Weise jeder Zeit-, Geld- und Kraftvergeudung vorzubeugen. Dem Schulwesen wird die größte Aufmerksamkeit geschenkt. Vier dänische Hochschulen stehen bereits auf dem neuen Boden. Ein dichtes Netz von Jugendschulen (etwa unsere Fortbildungsschulen mit einem stark kulturellen Einschlag) erfasst die Jugend. Die neuen dänischen Lehr- und Lesebücher werden unentgeltlich abgegeben. Den nordschleswigschen Schulkindern wird auf den dänischen Bahnen zum Besuch von geschichtlichen Erinnerungsstätten freie Fahrt gewährt. Jedes Kirchspiel hat seine dänische Bücherei erhalten, jede Stadt eine Bibliothek, eine Zentralbücherei wird auch höheren Ansprüchen gerecht, Wanderbibliotheken dringen auch in den entferntesten Bauernhof. Während im Jahre 1914 nur zehn kleine dänische Buchhändler in Nordschleswig existierten, hat allein der Verlag Gyldendal im Jahre 1920 dort 17 Buchhandlungen mit 40 Filialen errichtet.

Es würde zu weit führen, diese gedrängte Übersicht durch die sehr interessanten Einzelheiten zu vervollständigen und die finanzielle wie ideelle Unterstützung, die die dänische Regierung auch allen kulturellen Veranstaltungen  in großzügigster Weise zuteil werden lässt, aufzuzählen. Sie genügt, um darzutun, dass es auch in unserer Zeit möglich ist, Nationalitätenfragen nicht nur in vornehmer und sachlicher Weise zu behandeln, sondern darüber hinaus inmitten des Nationalitätenkampfes Kulturarbeit im guten Sinne des Wortes zu leisten. Denn das wollen wir nicht vergessen, dass es sich auch in Nordschleswig um einen Nationalitätenkampf handelt. Aber in diesem Kampf, der unter dem Zeichen der weißen Fahne geführt wird, sind nicht große Worte, Gummiknüppel und Revolver Sieger, sondern die höhere Kultur und die besseren Sachleistungen. Viel wäre gewonnen, wenn diese Art Nationalitätenkampf auch in anderen Grenzgebieten die Oberhand gewänne.

 
Foto: DN

Dienstag, 5. Oktober 1971
Soyas „Parasiten“
Auf Einladung des Sonderburgerr Theatervereins führt die „Harald-Jørgensen-Tournee“ am kommenden Donnerstag um 20 Uhr im städtischen Theater-Hotel Soyas Schauspiel „Die Parasiten“ auf. Das Stück ist, obwohl schon vor 43 Jahren geschrieben, immer noch aktuell und brandmarkt die skrupellosen Machenschaften eines geldgierigen Grundstücksmaklers, der seine Mitmenschen unter dem Deckmantel christlicher Nächstenliebe aussaugt. Die Rollen in diesem Stück sind glänzend besetzt.

Eine dieser glänzend besetzten Rollen ist die der Grundstücksmaklers-Gattin, gespielt von Karen Lykkehus (1804-1992), an die sich unsere Leser erinnern werden. Sie gab die Gattin als treu, ergeben, demütig und unterwürfig, ganz so, wie Soya es verlangte. C. E. Soya (1896-1983) war ein scharfer Kritiker der Vorurteile und kleinbürgerlichen Ressentiments im eigenen Lande. Daher erlangt er heutzutage wieder eine gewisse Aktualität. Das Stück kam seit seiner Uraufführung 1931 (1926 hatte es das Königliche Theater abgelehnt) ungezählte Male zur Aufführung. 1958 und 2004 gab es TV-Adaptionen für Danmarks Radio. „Parasitterne“ wurde zuletzt 2019 im Aarhus Teater gegeben.

C. E. Soya verstand es zeitlebens, gesellschaftliche Probleme aufzuspießen. Foto: Danske digtere i det 20. århundrede I, 2002

Sonnabend, 9. Oktober 1971
Å-Å-Å-Ausstellung wird heute um 15 Uhr eröffnet
Der Besucher ist noch nicht durch die Tür getreten, und schon wird er von der besonderen Atmosphäre dieser Ausstellung eingefangen.  An der Wand gegenüber der Eingangstür hängen mehrere Wandbehänge der Weberin Jette Thyssen, die durch die Verwendung klarer Farben und durch ihre strengen geometrischen Muster auffallen. Die Ausstellung, die sich in diesem Jahr nur mit Wandteppichen und Keramikarbeiten befasst, wird heute Nachmittag in der Sønderjyllandshalle (in Apenrade) eröffnet. Die Festrede hält der Zweite Vorsitzende der Ausstellung, Lars Rostrup Bøyesen, Aalborg. „Aabenraa Skoleorkester“ rahmt die Feierlichkeit musikalisch ein.

Die diesjährige Å-Å-Å-Ausstellung umfasst insgesamt 201 Werke, die für 2,5 Milionen Kronen versichert sind. Die Preise bewegen sich zwischen 25 Kronen für eine Schale der Keramikerin Helen Pincombe und 100.000 Kronen für einen Wandbehang von Richard Mortensen. Das größte Stück der Ausstellung ist ein Gobelin des dänischen Malers Asger Jorn mit dem Titel „Den lange rejse“. Er ist 14 Meter lang und 1,70 Meter hoch. Das kleinste ist eine Schale von Pablo Picasso mit dem Durchmesser von 12,5 Zentimeter.

Die Å-Å-Å-Ausstellungen waren einstmals – von den Städten Aalborg, Aarhus und Apenrade veranstaltet – die bedeutendsten Jahresausstellungen zur Kunst in Jütland. Wer die alten Kataloge der Ausstellungen durchblättert, kommt ins Staunen. Sie wurden in späteren Jahren wegen Geldmangels leider eingestellt. In gewisser Weise hat die jährliche Grenzlandausstellung in Apenrade die Tradition übernommen, auch wenn sie ganz andere Ziele verfolgt.

Umschlag des Ausstellungskatalogs Foto: Privat

Mittwoch, 13. Oktober 1971
Dänisches TV – Schirme flimmern programmlos
Seit gestern Abend kurz nach 20 Uhr ist Dänemark nun ganz ohne Fernsehen. Derr Generaldirektor Hans Sølvhøj trat um 20 Uhr vor die Kamera und teilte den verdutzten Fernsehzuschauern mit, dass das durch den Streik der Journalisten bereits eingeschränkte TV-Programm ganz ausfallen muss, weil die Mitglieder der Schmiede- und Maschinenarbeiter-Gewerkschaft bei „Danmarks Radio“ einen Sympathiestreik für die Journalisten ausgerufen und die Arbeit niedergelegt hätten.

 

Donnerstag, 21. Oktober 1971
Willy Brandt erhält den Friedensnobelpreis 1971
Bundeskanzler Willy Brandt ist gestern für seine Bemühungen  um eine Entspannung in Europa mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden. Das zuständige Komitee des norwegischen Parlaments begründete diese Wahl vor allem damit, dass Brandt als Regierungschef und „im Namen des deutschen Volkes die Hand zur Versöhnung mit alten Feindesländern ausgestreckt“ habe. Als Außenminister und Bundeskanzler habe er „konkrete Initiativen“ für eine Minderung der Spannungen ergriffen.

 

Freitag, 29. Oktober 1971
Britisches Unterhaus mit 356:244 für EWG-Beitritt
Eine Entscheidung von historischer Bedeutung traf das britische Unterhaus gestern Abend: Mit 356 gegen 244 Stimmen billigte es den Beitritt Großbritanniens zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Damit wurde zugleich auch die Hauptbedingung Dänemarks für seine EWG-Mitgliedschaft erfüllt, nämlich dass England mitgeht. Nach dem Abstimmungsergebnis müssen auch zahlreich Labour-Abgeordnete für den EWG-Beitritt gestimmt haben. Die Labour-Fraktion im Unterhaus hat 289 Mitglieder, die Konservativen verfügen über 326 Sitze.

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