Vor 100 und vor 50 Jahren

Chronik September 2021

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Chronik September 2021

Jürgen Ostwald
Jürgen Ostwald Freier Mitarbeiter
Nordschleswig
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Zum 16. September 1971: Die Journalistenhochschule in Aarhus Foto: Danmarks Medie- og Journalisthøjskole

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Chronik September 2021 – Vor 100 und vor 50 Jahren

Foto: DN

Sonnabend, 3. September 1921

Loit Kirkeby
Bei der Pastorenwahl am Donnerstag entfielen auf Pastor Nörballe-Holme  bei Aarhus 138 Stimmen, auf Pastor Höher 110 und auf Pastor Vesten-Husby 96.

Die Pastorenwahl in Loit macht noch einmal beispielhaft deutlich, wie sich die Lage im kirchlichen Bereich nach der Abstimmung in Nordschleswig entwickelte. Wir haben mehrfach über die Installierung dänischer Pastoren in den Gemeinden berichtet. Es muss daran erinnert werden, dass 112 (einhundertundzwölf !) Pfarrstellen in Nordschleswig nach der neuen Grenzziehung neu zu besetzen waren.

Mehr als die Hälfte der bereits zur deutschen Zeit tätig gewesenen Pastoren hatte bereits aus verschiedenen Gründen ihre Stelle verlassen. In den Gemeinden, die dann eine Wahl durchführten, kam es gelegentlich zu überraschenden Ergebnissen: immerhin 35 deutsche Pastoren wurden in ihrem Amt wiedergewählt. Gleichwohl war die Lage insgesamt unbefriedigend. Im März 1923 kam es bekanntlich zur Gründung der Nordschleswigschen Gemeinde, nachdem Johannes Schmidt-Wodder bereits Ende 1920 ein Konzept entwickelt hatte.

In Loit war seit 1916 Christian Hoeck als Pastor tätig. Er war der Sohn des Augustenburger Pastors und wurde 1881 geboren. Er verließ die Loiter Gemeinde, übernahm Pfarrstellen in Schleswig-Holstein und beendete seine Laufbahn in Alt-Rahlstedt.

Gewählt wurde Frederik Valdemar Nørballe, der 1873 in Halk als Sohn eines Landwirts geboren wurde. Sein Vater wurde allerdings ausgewiesen, sodass Nørballe in Dänemark aufwuchs. In den ersten Jahren seiner neuen Tätigkeit in seiner alten Heimat ging der Gottesdienstbesuch allerdings stark zurück, deutsche Gottesdienste wurden immerhin ein Mal im Monat gehalten.

Der unterlegene Jørgen Høher war damals Pastor in Tversted bei Skagen, wurde aber dann 1924 zum Pastor in Bedstedt bei Tondern gewählt. Pastor L. A. H. Vesten bewarb sich natürlich nicht aus Husby in Angeln, sondern aus dem fünenschen Husby, zwischen Middelfart und Faaborg gelegen.

 

Sonnabend, 3. September
Vieh- und Pferdemarkt in Tondern
Dem gestrigen Haupt-, Vieh- und Pferdemarkt waren etwa 560 Pferde und Fohlen zugetrieben. Der Handel nahm einen sehr gedrückten Verlauf, da die Nachfrage gering und nur wenige Aufkäufer aus Deutschland erschienen waren. Am Kalbviehmarkt standen nur etwa 40 Kühe. Die Nachfrage war gering. Am Ferkelmarkt waren etwa 60 Ferkel. Der Handel nahm hier einen ziemlich flotten Verlauf, sodass alles verkauft werden konnte.

 

Dienstag, 6. September 1921
Pferdeschiebungen
Tondern. Pferdeschiebungen über die Grenze nach Deutschland sollen in nicht unerheblichem Umfange in der vergangenen Woche vor sich gegangen sein. Das Fehlen der Tiere wollte man erst mit angeblichen Diebstählen in Verbindung bringen, an die jedoch niemand glauben will. Obwohl der Markkurs stark gefallen ist, sind die Preise jenseits der Grenze noch so, dass an Pferden etwas verdient werden kann, sodass sich ein Verschieben immerhin noch lohnen könnte.

Das Jahresprogramm von Hans Holtorfs Theatertruppe Foto: Theatergeschichtliche Sammlung, Universität Kiel

Mittwoch, 7. September 1921
Schleswig-Holsteinische Volksspiele
In der nächsten Zeit werden die Schleswig-Holsteinischen Volksspiele hier ein Gastspiel geben, worauf wir schon heute hinweisen. Es handelt sich um eine Gemeinschaft von der Jugendbewegung entstammenden Künstlern und Studenten, die alte Mysterienspiele aus dem Mittelalter und alte deutsche Lustspiele aufführen. Gelegentlich der vorjährigen Aufführung in Neumünster, Rendsburg usw. durch die gleichen Spieler hinterließen die Volksspiele einen tiefen Eindruck. Auf dem diesjährigen Spielplan darf man umso mehr gespannt sein, als, wie wir hören, erstmalig der „Lübecker Totentanz“ aus dem Jahre 1520 aufgeführt werden wird. An einem zweiten Abend werden altdeutsche Lustspiele gegeben, während nachmittags Hans Sachs-Spiele als Schülervorstellung aufgeführt werden.

 

Die Volksspiele wurden von der Theatertruppe des jungen Hans Holtorf durchgeführt, des Autors, Malers und Übersetzers, der in Nordschleswig besonders als Lehrer und Freund Niko Wöhlks bekannt ist. Wir werden an anderer Stelle unserer Zeitung auf die Aufführungen Holtorfs und seiner Truppe gesondert eingehen. Man vergleiche auch die Zeilen unter dem 16. September 1921.

 

Montag, 12. September 1921
Gerhart Hauptmann als Kandidat für den Reichspräsidentenposten?
Wie der „Vorwärts“ meldet, besteht in den deutschen Künstler- und Literatenkreisen die Absicht, zur kommenden Reichspräsidentenwahl Gerhart Hauptmann als Kandidaten aufzustellen.

Man tritt Gerhart Hauptmann nicht zu nahe, sagt ein demokratisches Blatt, wenn man offen ausspricht, dass dieser Gedanke einem vollkommenen Missverständnis der Demokraten entspringt. Gewiss sollen die Demokraten die geistigen Größen des Volkes ehren, aber sie können das nicht tun, indem sie diese auf einen Posten berufen, dem sie nicht gewachsen sind. Durch die Wahl Gerhart Hauptmanns zum Reichspräsidenten würde weder der Dichter noch das Deutsche Reich etwas gewinnen, denn der Reichspräsident ist keine bloße Verzierung der Republik, sondern er soll ein Staatsmann sein, der im entscheidenden Augenblick handelnd eingreift. Dazu gehören etwas mehr als nur allgemeine geistige Gaben und ein glänzender Name.

Die Debatte wurde bald beendet. Hauptmann erklärte zur beabsichtigten Wahlaufstellung, er „habe derartige Absichten nicht und werde niemals seine angemessene literarische Wirksamkeit aufgeben, um ins politische Leben einzutreten“. In den Jahren der Weimarer Republik war Hauptmann der unumstrittene deutsche Autor. Er war der Repräsentant der deutschen Literatur. Sein Wort und sein Werk hatten Gewicht, auch im Ausland. Als mehr als zwei Jahrzehnte später während des Einmarsches der russischen Truppen auch sein Haus in Schlesien besetzt wurde, waren es russische Offiziere, die natürlich seine frühen Dramen kannten und ihn, seine Familie, seine Kunstschätze, Manuskripte und Bücher zu schützen wussten. Sein Verhalten während des Nationalsozialismus war allerdings mehr als bedenklich, Einmischungen „ins politische Leben“ gestattete er sich nun im Alter durch ein deutliches Anschmiegen an die Nationalsozialisten.

Theodor Riebecke (1889-1970) entwarf das Plakat. Er war damals Lehrer an der Kieler Handwerker- und Kunstgewerbeschule, an der auch zahlreiche Schüler aus Nordschleswig unterrichtet wurden Foto: Kieler Stadt- und Schifffahrtsmuseum

Montag, 12. September 1921
Zur Kieler Herbstwoche
Die Zweite Kieler Herbstwoche für Kunst und Wissenschaft wurde am Sonnabend Nachmittag durch eine Feier im Sitzungssaale des Rathauses eröffnet. Ungünstige Witterungsverhältnisse verhinderte die geplante Feier auf dem Rathausplatz. Oberbürgermeister Dr. Luetgen hielt eine eindrucksvolle programmatische Ansprache.

 

(…) Eine weiter Begrüßungsfeier fand in der Universitätsaula für die erschienenen schwedischen und norwegischen Studenten statt. (…)

Abends 7 ½ Uhr versammelten sich die nach vielen Hunderten zählenden Gäste aus Nordschleswig im „Bellevue“ zu einer Begrüßungsfeier, die ihre in Kiel ansässigen Landsleute ihnen bereiteten. Der Festabend war von Wiedersehensfreude erfüllt, die in den gewechselten Ansprachen zum Ausdruck kamen.

Die Kieler Herbstwochen waren der Versuch, auf die neue Lage der Hafenstadt zu reagieren: Die kaiserliche Marine gab es nicht mehr, große Schiffbau-Aufträge standen nicht zu erwarten, Nordschleswig war verloren, die Stadt musste sich neu orientieren. Eine Antwort auf die neue Lage waren die Herbstwochen mit Ausstellungen, Kongressen, Theateraufführungen usw.

 

Montag, 12. September 1921
Der Tod des „Cafe Größenwahn“
Man schreibt uns aus Berlin: Das literarische Bohemecafe am Kurfürstendamm hat nun endgültig seine Pfortern geschlossen. Aus diesem Anlass gab es zuguterletzt einen feierlichen, wenn auch lahmenden Abschied, an dem sich schließlich auch die Sipo (Sichheitspolizei) beteiligte und zur Hebung der allgemeinen Andacht sogar eine kleine Verhaftung vornahm. Gegen 11 Uhr abends hatten sich alle Stammgäste des „Cafe Größenwahn“ vollzählig eingefunden: Die jungdeutschen Schriftsteller mit „der kommunistischen Hornbrille“, die edlen Filmmimen und die meist mit Bärten ausgezeichneten Kunstmaler neuester und allerneuester Richtung, die Mädchen mit den kurzgeschnittenen Haaren und auch manche alte, schon ehrwürdig ergraute Gestalten, die seinerzeit hier ihre Heimat und zeitweilige Arbeitsstätte gefunden hatten. Als man sich versammelt hatte, stimmte man wehmütig das alte Lied an: „Nun ade, mein lieb Heimatland“. Als Dirigent des sehr gemischten und keinesfalls harmonischen Chores fungierte der Oberstammgast Ludwig Hardt. Als Kapellmeisterstab benutzte er einen mächtigen Knüppel. So rückte die Stunde vor und die Kellner mahnten zum Aufbruch. Hierauf äußerten sich die Gäste mit bitteren Zurufen über den gegenwärtigen Besitzer des Cafes, der es wegen der günstigen Konjunktur in eine Bar verwandeln will. Dabei verpflichtete ein Lied mit dem Refrain: „Das ist der Zug der Republik!“ und der begeistert aufgenommene Ruf: „Auf die Guillotine mit dem Besitzer!“ drei in der Nähe postierter Sipoleute zum Einschreiten gegen die radaulustigen Künstler. Ludwig Hardt rief: „Ach, selbst die Sipo ist traurig, sie ist uns grün!“ und er wurde wegen dieser Anmaßung auch sogleich im Namen des Gesetzes – verhaftet. Die ganze Gesellschaft zog jetzt zur Wache am Bahnhof Zoo, um sich dort freiwillig mit dem beschlagnahmten Führer in Haft zu begeben. Man lehnte aber dort dankend ab und begnügte sich mit dem Chordirigenten. Dieser hielt noch eine kleine Rede, in deren Verlauf die gerührten Schutzleute den tiefen Schmerz des Verhafteten und der vor der Türe harrenden Menge mitempfanden, die sich nachher in völliger Ruhe auflöste. Damit war das „Cafe Größenwahn“ endgültig zu Grabe getragen und ein Wahrzeichen des alten künstlerischen Berlins in der Versenkung verschwunden.

Das Café wurde 1893 in Berlin am Kurfürstendamm Ecke Joachimsthaler Straße gegründet, dort, wo sich heute ein großes Geschäftshaus befindet. Den eigentlichen Namen „Café des Westens“ benutzte kaum einer, allerorten nannte man das Lokal „Café Größenwahn“. Hier traf sich das moderne Berlin. Erich Mühsam, der Autor und Anarchist aus Lübeck, schrieb: „Was in München das Café Stefanie, das ist in Berlin das Café des Westens. Da sitzen sie – die Bohemiens und die, die sich dafür halten. Was sie tun? Nun – sie trinken schwarzen Kaffee oder auch Absinth, rauchen Zigarren, reden über Ästhetik und Weiber, stellen neue Lehren auf und paradoxe Behauptungen, pumpen sich gegenseitig an und bleiben die Zeche schuldig … Dichter, Maler, Bildhauer, Architekten oder was noch immer“. Hier wurde der Expressionismus weiterentwickelt. Herwarth Walden formte hier seine Zeitschrift „Der Sturm“, Franz Pfemfert seine „Aktion“. Es kamen Maler wie Marinetti und Chagall, Paul Klee, Franz Marc, Kokoschka. Alle kamen: Gottfried Benn, Richard Dehmel, Else Lasker-Schüler, Peter Hille, Alfred Döblin, die Reihe ist endlos. Dänische und schwedische Autoren, die bei Samuel Fischer und anderen Berliner Verlagen unter Vertrag waren kehrten ein, ein damals bekannter Theaterrezensent aus Nordschleswig, die Schauspielerinnen und Schauspieler Max Reinhardts.

 

Dienstag, 13. September 1921
„U-Deutschland“ in die Luft geflogen
Aus London wird von „Berlingske Tidende“ gemeldet, dass das Handelsunterseeboot „Deutschland“ am Sonnabend in Birkenhead durch Explosion vollständig zerstört worden ist. Drei Mann der Besatzung wurden getötet und viele schwer verletzt. Die Ursache der Explosion konnte nicht festgestellt werden. „U-Deutschland“ wurde seinerzeit berühmt durch die Fahrten, die das Schiff während des Krieges zwischen Amerika und Deutschland machte, wobei es die Blockade Deutschlands unter Wasser brach. Es gehörte zu den Schiffen, die auf Grund des Friedensvertrages an England ausgeliefert werden mussten.

Vom Eisenberger ins Glücksburger Schloss: Herzogin Christiane Foto: Stadt Eisenberg

Mittwoch, 14. September 1921
Ein thüringisches Schloss als Rathaus
Das ehemalige herzogliche Schloss in Eisenberg ist in den Besitz der Stadtgemeinde Eisenberg übergegangen, die es nunmehr als Rathaus einrichten will. Nach einer Vorlage an die Stadtverordnetenversammlung sollen Einrichtungen getroffen werden, die es ermöglichen, dass sich das Schloss aus eigenen Mitteln erhält. Die Einrichtung einer ständigen Mineralien- und Gewerbe-Ausstellung im Saal des Schlosses ist geplant. Eine wertvolle Mineralien-Sammlung aus den Beständen des Schlosses dient als Grundstock.

 

Wir setzen die Meldung hierher, weil sie auf die vielfältigen deutschlandweiten Beziehungen unserer schleswigschen Herzogtümer aufmerksam macht. Das kleine Herzogtum Sachsen-Gotha-Eisenberg entstand 1680 mit Christian von Sachsen-Eisenberg und erlosch mit seinem Tod 1707. Denn er hatte nur eine Tochter, die damals natürlich nicht erbberechtigt war. Christiane von Sachsen Eisenberg, 1679 geboren. Ihre gleichnamige Mutter Christiane starb im Kindbett auf Schloss Christiansburg, dem Eisenberger Schloss, neunzehnjährig. Ein großes Epitaph erinnert in der Schlosskirche an sie. Ihre Tochter Christiane heiratete 1699 Philipp Ernst von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg. Auch sie starb jung mit 33 Jahren, 1722, ebenfalls im Kindbett. In den 23 Ehejahren hatte sie sieben Kinder geboren. Das Ehepaar wohnte im Mittelgeschoss des Glücksburger Schlosses. Im Jahre 1707 wurde in ihrem Schlafgemach ein eiserner Ofen eingebaut. Sie wurde 1722 im Glücksburger Grabgewölbe beigesetzt.

Das Schloss Christiansburg in Eisenberg ist heute in Teilen zu besichtigen, auch der Park des Herzogs ist wieder zugänglich. Ein eigentliches Museum ist immer noch nicht eingerichtet. Einen Eindruck vom ehemaligen Herzogtum und den damaligen Bewohnern des Schlosses gewährt aber das Stadtmuseum am Markt.

 

Donnerstag, 15. September 1921
Hadersleben. Dem „Apenrader Tageblatt“ wird geschrieben: Auf gegenseitigem Missverständnis beruht der Vorgang, der in der Nummer 204 vom 3. September unter der Überschrift „Kleinlich“ berichtete wurde und wonach ein Brief an das deutsche Konsulat in Apenrade von dem expedierenden Postbeamten zurückgewiesen sein sollte mit dem Bemerken, dass es nur ein „Aabenraa“ gebe. Diese Bemerkung war von dem Beamten nur als eine – wenn auch unnötige und zwecklose „Belehrung“ gedacht, der Brief wäre auch ohne Abänderung des Ortsnamen prompt expediert worden. Es ist veranlasst worden, dass solche „Belehrungen“ für die Folge unterbleiben. Postsendungen, auch mit den hier bisher gebräuchlichen Ortsbezeichnungen, werden auch fernerhin ohne weiteres befördert.

Meldungen dieser Art finden sich immer wieder in den nordschleswigschen Zeitungen der Zeit. Die national erhitzte Stimmung ließ es zu, dass auch eher unbedeutende Zwischenfälle in anderen Städten Eingang in die Spalten der Sonderburger Zeitung fanden.

 

Freitag, 16. September 1921
Schleswig-Holsteinische Volksspiele
Stil ist die höchste Forderung jeder Kunst, auch der dramatischen. Nach der Epoche des naturalistischen Dramas (Hauptmann, Ibsen, Wedekind) hat in der Dichtung der Jüngsten ein Suchen nach neuem Stil eingesetzt, ohne jedoch schon zum Ziel gelangt zu sein. Eine eigenartige Mischung zwischen krassem Naturalismus und verschwommener Mystik wird viel beobachtet und eine Verworrenheit scheint immer mehr um sich zu greifen. Da ist besonders gut für einen kurzen Augenblick sich rückwärts zu wenden und sich auf die Urformen dramatischer Gestaltung, sowohl der tragischen als auch der komischen, zu besinnen, in erster Linie die des Nordens, und dies ist die Aufgabe, die sich die Schleswig-Holsteinischen Volksspiele gesetzt haben. Das Drama ist ein Kind des Gottesdienstes. Die älteste Form des geistlichen Schauspiels ist eine Liturgie in Dialogform, die weihnachten, Ostern oder bei anderen kirchlichen Festen vorgetragen wurde. Auf dieser primitiven Stufe des einfachen Dialoges steht der „Totentanz“. Weiter entwickelt im Aufbau der Handlung, wenn auch immer noch äußerst einfach, ist der „Theophilus“.

In der Entwicklung des Lustspiels stehen die Schwänke und Fastnachtsspiele von Hans Sachs auch bereits auf höherer Stufe und der „Herr Peter Squenz“ des Andreas Gryphius. Der im 17. Jahrhundert angehört, stellt schon eine höchst fertige, von Shakespeare stark beeinflusste Form dar.

Dass die Aufführungen der Schleswig-Holsteinischen Volksspiele weit mehr als nur kulturhistorische Bedeutung haben, beweist der tiefe Eindruck, den überall die Mysterien gemacht, und die fröhliche Heiterkeit, die die Schwänke des Hans Sachs und Gryphius´“Schimpfspiel“ hinterlassen haben.

Die hier gekürzt wiedergegeben Einführung in die Aufführungen stammt von einem ehemaligen Lehrer des Sonderburger Realgymnasiums, der nunmehr noch heute bestehenden Sonderburger Staatsschule.

 

Sonnabend, 17. September 1921
Die Lage in Russland: Das große Sterben
Das Hungergebiet in Russland ist 1.500 Werst lang und 600 Werst breit und wird von einer Bevölkerung von 40 Millionen bewohnt, von denen mindestens 25 Millionen im wahrsten Sinne des Wortes hungern. Im besten Falle muss mindestens ein Drittel dieser Bevölkerung sterben. Die Stadt Kasan ist von russischen Soldaten zerniert, um ein Eindrängen der Flüchtlinge in die Stadt zu verhindern. Bei Bugulma fand kürzlich ein schwerer Zusammenstoß zwischen zwei riesigen Flüchtlingsarmeen statt, wobei 12.000 Personen getötet wurden.

Ein Werst sind ca. 7,5 km, wir sprechen also von einem Gebiet von ca. 12.000 x 4.000 km Ausdehnung

Hungernde Kinder in Marxstadt an der Wolga 1921. Die Stadt gehörte damals zum Autonomiegebiet der Wolgadeutschen, für das der in Apenrade geborene spätere Berliner Bürgermeister Ernst Reuter führend tätig war. Foto: Universität Oldenburg

Sonnabend, 17. September 1921
Brot aus Unkraut und Lehm
Das jüngst von der Sowjetregierung aufgelöste Allrussische Hilfskomitee hat in einem seiner letzten „Bulletins der Hilfe“auch Angabe über das Brot in den Hungerbezirken veröffentlicht:

 

„Das Brot der mittleren Bauern besteht noch zur Hälfte aus Mehl, das Brot der armen Bauern ist derartig, dass es eigentlich unerfindlich ist, warum es die Bezeichnung „Brot“ trägt. Es ist in Wirklichkeit ein kleiner Erdziegel mit Sauerampfer oder ein Fladen aus zermahlenem Lindenbast. Melden, Wurzeln, Blätter, Lindenbast, hafer- und Hirsespreu und Lehm ist das Material, mit dem die Bäcker arbeiten. In den übersandten Brotproben ist nur selten Mehl festzustellen. In Simbirsk wird ständig Lehm beigemischt. Es ist ein grauer Lehm, der nicht sandig ist und von der Zunge glatt zerrieben wird. Die Bäcker und die Privatleute fahren weite Strecken nach ihm. Auf den Märkten wird er mit 500 Rubel pro Pfund verkauft. Dieser Lehm soll leichter sein, als andere Lehmarten, beschwert den Magen nicht so stark und verstopft nicht so leicht die Verdauungsorgane. Er führt die Bezeichnung Speiselehm“. Soweit das Bulletin.

 

Dienstag, 20. September 1921
Der Breitgrund freies Meer
In der „Schleswigschen Grenzpost“ wird geschrieben: Vom 19. bis 27. September findet die Übergabe der deutsch-dänischen Grenze deutscherseits unter Leitung des Majors Gädeke, dänischerseits unter Leitung des Oberleutnants Ramm an Ort und Stelle an die deutschen und dänischen Behörden usw. statt. Hierbei wird die Grenze an Ort und Stelle täglich streckenweise abgegangen, um etwaige Unklarheiten im Benehmen mit den beiderseitigen Gemeindevorstehern zu klären. Wie wir hören, findet dieser Grenzbegang zunächst von Flensburg aus, vom 23. ab von Tondern aus statt.

In den bis Anfang September in Paris geführten Schlussverhandlungen der Internationalen Kommission zur Regelung der deutsch-dänischen Grenze gelang es dem deutschen Mitglied der Kommission schließlich zu erreichen, dass als Grenze der Flensburger Förde die Linie Birknack-Kekenis bestimmt und von dort aus nur drei Seemeilen Hoheitsgewässer anerkannt wurden. Damit ist der südöstliche Teil des Breitgrundes, der zunächst durch Überstimmen des deutschen Mitgliedes für Deutschland verloren war, nunmehr freies Meer geworden, sodass er von deutschen Fischern befischt werden kann und damit ein größerer Teil von ihnen seinen weiteren Lebensunterhalt findet.

Diese Lösung schafft, wie man sieht, jedoch nicht die Ungerechtigkeit aus der Welt, dass Dänemark sich außer der Nordeinfahrt bei Pöhlsriff noch die Hälfte der Südeinfahrt zur Flensburger Förde verschafft hat, so dass das deutsche Fahrwasser hier hart unter Land liegt.

Pöhlsriff liegt vor der Südspitze von Alsen/Kekenis.

 

Dienstag, 20. September 1921
Turbinendampfer „Kaiser“ zurückgekauft
Die Hamburg-Amerika-Linie teilt mit, dass sie den Turbinendampfer „Kaiser“, der vor dem Kriege im Verkehr zwischen Hamburg und den Nordseebädern beschäftigt wurde und sich hier seiner bequemen Einrichtungen und großen Schnelligkeit wegen besonderer Beliebtheit erfreute, von der Entente zurückgekauft hat. Der Dampfer wird zunächst einem größeren Umbau unterzogen und dann wieder in den Seebäderdienst eingestellt werden.

Das kleine Passagierschiff hatte ein wechselvolles Leben: 1904 in Stettin gebaut, bediente es für die Hapag die Strecke Hamburg-Helgoland-Sylt bzw. Norderney. Im Krieg zum Minenschiff umgebaut gelangte es 1919 nach Großbritannien, wurde aber

am Tage nach unserer Zeitungsmeldung von der Hapag zurückgekauft, abermals umgebaut und wieder in der Helgoland-Tour eingesetzt, darüber hinaus auch für Fahrten nach Amrum, Föhr und Sylt genutzt. Während der NS-Zeit wurde es im Bäderdienst in Ostpreußen gebraucht. Nach 1945 wiederum an Großbritannien ausgeliefert, wurde es 1946 an die Sowjetunion, 1947 an Polen weitergereicht und im Fährverkehr Zoppot-Gdingen-Stettin, also Sopot-Gdynia-Szczecin, eingesetzt. 1949 übernahm die polnische Marine das Schiff, 1954 wurde es schließlich in Stettin, wo es ursprünglich herkam, abgewrackt.

 
Foto: DN

Freitag, 3. September 1971
Die Schleswigsche Partei nimmt an der Wahl teil
Die schleswigsche Partei nimmt am 21. September an der Folketingswahl teil. Das beschloss gestern Abend eine Delegiertenversammlung des Bundes deutscher Nordschleswiger in Tingleff nach mehrstündiger Aussprache. Für die Wahlbeteiligung stimmten 157 Delegierte, 99 stimmten mit Nein.

Unsere Zeitung titelte am 22. September, als der Sieg der Sozialdemokraten verkündet wurde: Die Schleswigsche Partei behauptete die Position von 1948. Der gute Ausgang der Wahl überraschte viele. In Nordschleswig  waren es 6.743 SP-Stimmen. Bei der Folketingswahl 1964 waren es noch 9.274, 1968 6.495 Stimmen.

 

Donnerstag, 9. September 1971
Von der Kanzel einer Kirche in Thirsted auf Lolland hat Pastor Johannes Fibiger-Erlandsen seiner Gemeinde empfohlen, eine Wahlversammlung der Christlichen Volkspartei zu besuchen. Die Versammlung fand im Pfarrhof statt.

 

Freitag, 10. September 1971

König Frederik IX. teilte gestern „seinen lieben und treuen Untertanen“ mit, dass er von einer Auslandsreise zurückgekehrt ist und die Führung der Regierung wieder übernommen hat.
Seit Erfindung der Tageszeitung in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts gehörten Nachrichten über Haupt- und Staatsaktionen zum wesentlichen Inhalt der Blätter und eines ihrer Segmente, die Hofnachrichten mit den Hinweisen über die Tätigkeiten usw. der Herrscherfamilien, seien es Reisen, Feste, Krankheiten usf., gehörten auch dazu. Um 1900 wurden sie noch auf der ersten Seite gegeben. Heute werden Mitteilungen wie etwa auch jene des Kopenhagener Hofmarschallamtes eher in den Personality-Spalten der Zeitungen gedruckt, die dort meist ohne jede politische Relevanz sind und nur Unterhaltungswert haben.

 

Donnerstag, 16. September 1971
Grundstein für die Journalistenschule gelegt
Der Grundstein für die neue Journalistenhochschule in Aarhus wurde Mittwoch Vormittag von Unterrichtsminister Helge Larsen gelegt. Das Baugrundstück liegt im nördlichen Teil der Stadt, zwei Kilometer von der Universität entfernt. Die Baukosten belaufen sich auf 10 bis 15 Millionen Kronen. Die neue Hochschule soll am 1. August 1973 bezugsfähig sein. Sie kann etwa 400 angehende Journalisten und rund 30 Lehrer und Presseforscher aufnehmen. Hier wird auch das dänische Pressemuseum untergebracht.

Die Hochschule besteht noch heute, nachdem sie 2008 zu Danmarks Medie- og Journalkisthøjskole erweitert (mit dem zusätzlichen Standort in Kopenhagen) und reformiert wurde.

Der damalige Minister Helge Larsen (1915-2000), zu dessen letzten Amtshandlungen die Grundsteinlegung gehörte,  hatte schon kurz nach seinem Studium 1946/47 Schriften über Südschleswig herausgegeben und blieb dem Grenzland thematisch zeitlebens treu (er stammt allerdings aus Vester Åby bei Faaborg, ging in Odense zur Schule und studierte in Kopenhagen). Noch 1982 gab er die Festschrift für Troels Fink heraus. Ohne je im tagesjournalistischen Geschäft tätig gewesen zu sein, schrieb er 1980 „Avis, egn og folk“, eine Geschichte von „Holbæk Amts Venstreblad“, eine Zeitung die 1905 gegründet worden war und einige Jahre nach seinem Buch am 1. Mai 1992 ihre Pforten schloss und einging.

 

Mittwoch, 22. September 1971
Griechenlands Dichter Seferis gestorben
Der griechische Dichter Georgios Seferis, Träger des Nobelpreises für Literatur, ist 71-jährig im Evangelismos-Hospita gestorben. Seferis hatte sich Anfang August einer schweren Operation eines Magengeschwürs unterziehen müssen, später trat im Krankenhaus eine Lungenentzündung hinzu.

Seferis, der einzige griechische Nobelpreisträger, gilt als der Schöpfer der „neuen Poesie“ Griechenlands. Er hat nach dem Ersten Weltkrieg die literarischen Strömungen Europas in sich aufgenommen und verarbeitet, zugleich jedoch starke Anregungen von Homer und den griechischen Klassikern empfangen. Das Nobelpreiskomitee verlieh ihm 1963 die Auszeichnung für die „hervorragende lyrische Dichtung, die vom tiefen Gefühl für die hellenistische Kulturwelt inspiriert ist“. Seine Dichtungen sind wegen ihrer symbolhaften Ausdrucksweise schwer verständlich. In Griechenland wurde sein Name der breiten Masse erst bekannt, als der Komponist Theodorakis einige seiner Gedichte vertonte. Sie waren zeitweise in Griechenland sogar in den Musikboxen zu hören.

Der am 29. Februar 1900 im türkischen Izmir (Smyrna) geborene Dichter war von Beruf Diplomat, als solcher fünf Jahre Botschafter in London. Seit dem Militärputsch von 1967 lebte er außerordentlich zurückgezogen, ohne noch in Griechenland etwas zu veröffentlichen. Im März 1969 brach er sein Schweigen und warnte vor den Folgen der Unterdrückung, die das Land in den Abgrund stürzen werde. Von seinem siebzigsten Geburtstag nahm das offizielle Griechenland keine Notiz, während die ausländische Presse ihn eingehend würdigte.

Natürlich konnte auch unsere Zeitung vor 50 Jahren nicht ohne Bericht am Tod des Nobelpreisträgers vorübergehen. Gleichwohl fordern die Zeilen aber unbedingt einen Kommentar und Richtigstellungen. Das „offizielle Griechenland“ war damals die Militärdiktatur griechischer Obristen, die seit dem April 1967 mit ausdrücklicher Billigung der US-Regierung in Griechenland herrschten. Und zwar mit Massenverhaftungen, Internierungen und Morden. Als Seferis in Athen zu Grabe getragen wurde entwickelte sich der Trauerzug zu einer politischen Demonstration. Viele Tausende Griechen sangen das Lied „Sto perigiali“, von Mikis Theodorakis.

dem heute an den Rollstuhl gefesselten griechischen Komponisten, vertont worden war und sich zur heimlichen griechischen Nationalhymne entwickelte. Auch in Deutschland kennt man das Lied bis heute. Die Sängerin Milva hat es bekannt gemacht, allerdings mit einem gegenüber den hochpoetischen Zeilen Seferis´ geradezu lächerlichen Text, der mit dem von Seferis nichts zu tun hat.

Mikis Theodorakis war Ende 1970 dank internationaler Solidaritätsbekundungen (Dimitri Schostakowitsch, Leonard Bernstein, Arthur Miller, Yves Montand usw.) aus einem Folterlager der Obristen nach Frankreich entlassen worden. Von seiner Musik aus den Musikboxen konnte keine Rede sein. Die Musik von Theodorakis war seit Juni 1967 verboten, auf den Besitz seiner Platten und das Singen und Hören (!) seiner Musik wurde mit Gefängnisstrafen geantwortet. Seferis lebte in der inneren Emigration. Im Alter wollte er nicht noch einmal ins Exil, das er jahrzehntelang kannte und erlebt hatte. Er publizierte nichts. Neuauflagen seiner Bücher gab es nicht.

In Deutschland wurde Seferis erstmals durch Hans Magnus Enzensbergers Anthologie „Museum der modernen Poesie“ von 1960 bekannt - wohl die bedeutendste und bis heute nachwirkende Gedicht-Anthologie des vergangenen Jahrhunderts in Deutschland. Enzensbergers Bruder Christian veröffentlichte dann 1962 mit „Poesie“ die erste Übersetzung mit Gedichten von Giorgios Seferis. Übertragungen von Seferis-Gedichten stehen vor großen Schwierigkeiten, die über die ohnehin vorhandenen Probleme von Lyrik-Übertragungen hinausgehen.

In Dänemark waren es Ole Wahl Olsen und Poul Borum, die 1963 mit „Digte“ die erste Seferis-Ausgabe herausgaben. Ole Wahl Olsen (1939-2001) war wohl damals der bedeutendste Kenner der neugriechischen Literatur. Der Dichter und Kritiker Poul Borum war bekanntlich der Ehemann von Inger Christensen. Man wüsste gerne, ob es einen Einfluss des Nobelpreisträgers Seferis auf Inger Christensen, die jahrelange Aspirantin auf den Preis war, gegeben hat oder wie sie „Digte“ aufgenommen hat.

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