Vor 100 und vor 50 Jahren

Rückblick: Was die Menschen 1923 und 1973 bewegt hat

Rückblick: Was die Menschen 1923 und 1973 bewegt hat

Rückblick: Was die Menschen 1923 und 1973 bewegt hat

Jürgen Ostwald
Jürgen Ostwald Freier Mitarbeiter
Nordschleswig
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Das Wohnhaus H. P. Hanssens in der Apenrader Nygade 41 war immer das Domizil bei den Besuchen der Familie Breitscheid, wie am 1. August 1923 zu lesen. Foto: Marc Janku

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Die Schlagzeilen von diesem August sind ganz anders als noch vor 100 und vor 50 Jahren. Jürgen Ostwald hat im Archiv die Zeitungen durchforstet und nimmt die Leserinnen und Leser mit auf eine Reise in die Vergangenheit.

Foto: DN

Mittwoch, 1. August 1923

Apenrade. „Hejmdal“ teilt mit, dass der bekannte linksradikale deutsche Politiker  Dr. Rudolf Breitscheid mit seiner Gattin zu einem achttägigen Besuch als Gast des Exministers H. P. Hanssen hier weilt.

Rudolf Breitscheid war einer der wichtigsten Männer der SPD in der Weimarer Republik. Leider gibt es über ihn keine Biographie, wie sie für andere Protagonisten der Politik in der Weimarer Zeit  vorliegen. Auch die zweibändige H. P. Hanssen-Biographie von Hans Schultz-Hansen behandelt die Freundschaft nicht, obwohl Breitscheid und sein Sohn Gerhard in Hanssens Apenrader Tageszeitung „Heimdal“ publizierten. Seit 1920 war Breitscheid Mitglied des Reichstages und bald auch außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Er starb 1944 im KZ Buchenwald. Mit H. P. Hanssen war Breitscheid seit 1905 bekannt. Die Bekanntschaft entwickelte sich zu einer Freundschaft mit gegenseitigen Besuchen beider Familien. Der politische Werdegang Breitscheids war konsequent, aber kein gradliniger. Als promovierter Ökonom war er in den ersten Jahren des Jahrhunderts Mitglied linksliberaler Zirkel und Parteien, bis er 1912 gemeinsam mit seiner Frau Tony, die das KZ überlebte und später nach Kopenhagen übersiedelte, in die SPD eintrat. Während des Ersten Weltkrieges traten sie der USPD bei, kehrten aber in der Weimarer Zeit zur SPD zurück. Dass Breitscheid dem linken Flügel der SPD angehörte und Hanssen Venstre-Mann war, tat der Freundschaft keinen Abbruch. Vgl. weiteres unter dem 20. August.

 

Freitag, 3. August 1923

Apenrade. Zum Dr. phil. promoviert wurde am 26. Juli von der philosophischen Fakultät der Universität Greifswald Studienassessor Bellmer an der hiesigen deutschen Abteilung der Staatsschule auf Grund einer Abhandlung über Wolfram von Eschenbach.

Studienassessor Herbert Bellmer war an den deutschen Abbauklassen der nunmehrigen Apenrader Staatsschule beschäftigt. Seine für damalige Verhältnisse ungewöhnlich umfangreiche Arbeit (362 Seiten) trug den Titel „Die Wortwiederholung in den Werken Wolframs von Eschenbach“. Bellmer wird bis 1925 in Apenrade bleiben. Oft traf er sich mit seinem alten Wandervogel-Freund Eduard Edert („Der Schuster von Tondern“), der damals in Flensburg als Schulrat arbeitete. Während dieser Zeit war Herbert Bellmer, der in Apenrade zur Bündischen Jugend zählte, im Kreis um den Maler Niko Wöhlk tätig, der eine Zeitlang an der Apenrader Staatsschule als Kunst- und Zeichenlehrer beschäftigt war und eine unabhängige Jugendgruppe aufzubauen suchte. Bellmer war es wohl auch, der den „Parzival“ von Wolfram, den er möglicherweise im Unterricht behandelt hatte, in den Kreis um Wöhlk zur gemeinsamen Lektüre hineintrug. Parzivals Jugend war als Thema für Heranwachsende damals (und ist es eigentlich auch heute) sehr aktuell. Es gab im Buchhandel 1923 fast ein Dutzend Parzival-Ausgaben, auch illustrierte. Die 800-Jahr-Feier zu Wolframs Todestag 1921 hatte noch einmal zur damaligen Popularisierung und wohl auch zu Bellmers Greifswalder Dissertationsthema  beigetragen.

Auch in den bündischen Gruppen usw. Nordschleswigs wird man den Urtext des Parzival und dazu die Übersetzung von Karl Simrock gelesen haben. Foto: ZVAB

Montag, 6. August 1923

Sonderburg. Der Vortrag des Generalmajors a. D. v. Schoenaich, der auf Veranlassung der „Danske Kvinders Fredskæde“ am Sonnabend im „Holsteinischen Haus“ wiederholt wurde, war von etwa 50 Personen besucht. Frau Rektor Jörgensen begrüßte die Erschienenen und berichtete kurz über die Ziele des Vereins. Die Ausführungen des Generals deckten sich mit dem von uns wiedergegebenen Vortrag auf der Friedenstagung in Augustenburg. Die gedankenreichen Darlegungen wurden fesselnd vorgetragen. Warme Zustimmung in der Versammlung fand der Redner , als es vom Ausland ein gerechtes Urteil über Deutschland fordere, der Friedensfreund, der sich in der Vernichtung des preußischen Militarismus freue, müsse auch dafür wirken, dass der französische Militarismus verschwinde und seinem Wüten in Deutschland Einhalt geboten werde. Zum Schluss warb der Redner für die Friedensbewegung, der sich jetzt rund 20 Millionen Menschen angeschlossen hätten.

Die Organisation „Danske kvinders fredskæde“ ist der noch heute tätige dänische Zweig der „Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit“, die in den damaligen Tagen in Augustenburg eine Friedens-Tagung mit internationalen Referenten abhielt. Die Tagung, über die Schoenaich in seinen Erinnerungen von 1947 berichten wird, war eine pazifistische und somit nicht gerade auf der Linie der deutschen nordschleswigschen Tageszeitungen. Umso bemerkenswerter die deutsche Einladung in Sonderburg zur Wiederholung seines Augustenburger Vortrags.

 

Sonnabend, 11. August 1923

Heide/Dithmarschen. Im Verlaufe des Wochenmarktes kam es zu Ausschreitungen. Ein Händler verlangte für das Pfund Erbsen 40.000 Mark. Die erboste Menge entriss ihm seinen Vorrat. In den Geschäften wurde die Butter für 720.000 Mark feilgeboten, auf dem Markt sollten die Leute 750.000 Mark zahlen, für Eier sogar 38.000 Mark.

Die Inflation führte südlich der Grenze gelegentlich sogar zu Vorformen von Hungerrevolten. Die Lage wurde immer unerträglicher. Schon Monate vor den Heider Unruhen hatte der schleswig-Holsteinische Oberpräsident Kürbis (SPD) vor dem Landtag die Warnung ausgesprochen: „Das Gespenst des Hungers geht durch das Land. Hilflos stehen das Reich und die Einzelländer, hilflos die Provinzen, Städte und Landkreise, hilflos die Bruderliebe und die Wohlfahrtsbestrebung vor der Größe der Gefahr. So steht die Sorge um die Ernährung unseres Volkes in Verbindung mit der ungeheuren Geldentwertung und ihren innen- und außenpolitischen Folgen als Kernfrage vor unserer Zukunft. Für die nächsten Monate gilt es, die Brot- und Kartoffelversorgung zu sichern.“ - In einem Brief aus dem August von Julius Kaftan, Professor in Berlin und gebürtig aus Loit Kirkeby, Bruder des ehemaligen Schleswiger Superintendenten Theodor Kaftan, von dem unten am 27. August die Rede sein wird, heißt es: „Was sind 5.000 Mark heute? Eine Fahrt mit der Elektrischen bloß bis hin zum Oberkirchenrat kostet jetzt 20.000 Mark. Und so im allen übrigen.“ Die Klagen des gutdotierten Berliner Professors waren noch nicht bei den Nahrungsmitteln angekommen.

 

Montag, 20. August 1923

Apenrade. Dr. Breitscheid, der wegen der Einberufung des deutschen Reichstages seinen Ferienaufenthalt bei Exminister H. P. Hansen abbrechen musste, ist wieder zurückgekehrt und jetzt Gast des Amtmannes Thomsen auf Schloss Brundlund.

Am 1. August berichtete unsere Zeitung über die Ankunft des Ehepaars Breitscheid bei H. P. Hanssen in Apenrade. Breitscheid musste von Apenrade, wo er seine sämtlichen Amtsgeschäfte usw. erledigt hatte, nach Berlin zurückkehren. Denn am 12. August war Reichskanzler Cuno wegen dauernder Arbeitslosendemonstrationen und Hungerunruhen, die von der galoppierenden Inflation verursacht worden waren, zurückgetreten. Am darauffolgenden Tag wurde Gustav Sresemann zum Reichskanzler gewählt. Er führte eine Große Koalition aus SPD, Zentrum und seiner Partei, der Deutschen Volkspartei, an. Der aus Tingleff gebürtige Hjalmar Schacht wurde zum Reichswährungskommissar berufen. Breitscheid und Schacht kannten einander seit langem. Breitscheid war 1905 der Nachfolger Schachts im Amt des Geschäftsführers des liberalen und einflussreichen Handelsvertags-Vereins. Während sich später Breitscheid politisch nach links bewegte, so wird Schacht nach rechts abwandern. - Breitscheid logierte nun nicht mehr bei den Hanssens in der Apenrader Nygade 41 oder in dessen Sommerhaus Højtoft in Hostrupskov, sondern bei dem ihm ebenfalls seit Jahren bekannten Amtmann Kresten Refslund Thomsen (1884-1960), dessen Dienstwohnung das Apenrader Schloss war. Refslund Thomsen war seit 1911 mit der Tochter von H. P. Hanssens, Ingeborg (1891-1972), verheiratet. Sie kannte die Breitscheids seit ihrer Jugendzeit. Das Leben und die Gäste im Hause ihrer Eltern schildert sie in ihrem Erinnerungsbuch „Hjemme i Nordschleswig“, das 1961 erscheinen wird. Die Breitscheids werden noch lange mit den beiden Familien Hanssen und Refslund Thomsen in Verbindung bleiben.

 

Montag, 27. August 1923

Deutsche Gottesdienste in Nordschleswig

Nachdem Pastor Gottfriedsen, der allerdings wie bekannt erst seit April d.J. von der deutschen Gemeinde angestellt, seinen Wohnsitz in Tingleff hat, jetzt etwa ein Jahr lang regelmäßig deutsche Gottesdienste in Tingleff, ein halbes Jahr in Uk, Gravenstein, Holebüll und Klipleff gehalten hat, kann eine Übersicht über den Kirchenbesuch in diesen deutschen Gottesdiensten gegeben werden.

In Tingleff waren in 16 deutschen Gottesdiensten insgesamt etwa 2.632 Besucher, durchschnittlich also 164 Besucher. In Uk waren in sieben deutschen Gottesdiensten etwa 405, durchschnittlich 58 Besucher. In Gravenstein waren in fünf deutschen Gottesdiensten etwa 276, durchschnittlich 55 Besucher. In Holebüll in fünf deutschen Gottesdiensten etwa 177, durchschnittlich 35 Besucher. In Klipleff in vier deutschen Gottesdiensten etwa 157, durchschnittlich 39 Besucher.

Kommunikanten waren in drei Gottesdiensten 80, getauft wurden sechs Kinder, beerdigt zwei Männer.

Über die Besucher der deutschen Gottesdienste in den vier Stadtgemeinden liegen keine Zahlen vor. Doch werden sie die Zahlen der neu gegründeten deutschen Gemeinde wohl übertroffen haben.

 

Montag, 27. August 1923

Sonderburg. Am Dienstag den 28. August wird der frühere Generalsuperintendent von Schleswig D. Theol. Kaftan, abends acht Uhr im Gemeindehaus einen Vortrag halten über das Thema „Die nationalen und übernationalen Aufgaben der evangelischen Kirche“. Der Zutritt ist frei, doch wird Gelegenheit gegeben, durch freiwillige Gaben zur Deckung der Unkosten etwas beizutragen.

Theodor Kaftan war nach seiner Verabschiedung als Generalsuperintendent wieder in den Gemeindedienst als Seelsorger, der er immer sein wollte, zurückgekehrt, und zwar nach Baden-Baden. „Seit den Tagen von Claus Harms hat kein Kirchenmann so nachhaltig auf Schleswig-Holstein und sein lutherisches Kirchenwesen eingewirkt wie Kaftan“, schrieb der Kieler Theologe Walter Göbell. In das kirchliche Leben Nordschleswigs mischte er sich nach seiner Pensionierung allerdings nicht mehr direkt ein. Sein Verhältnis zu Schmidt-Wodder war seit dessen Auftreten nach der Jahrhunderwende ohnehin ein eher distanziertes. Gelegentlich, wie im Sommer 1923, kehrte Kaftan in die alte Heimat zurück. Er nahm als Zuhörer an den hier erwähnten Tagungen teil (vgl. z. B. 6. August). Der Vortrag den er in Sonderburg hielt veröffentlichte Kaftan 1924 in der Zeitschrift „Die Eiche. Vierteljahreschrift für Freundschaftsarbeit der Kirchen“. Das war die Zeitschrift der deutschen Sektion des Weltbundes für internationale Freundschaftsarbeit der Kirchen. Einer der Hauptakteure des Weltbundes in Dänemark war der Haderslebener Bischof Valdemar Ammundsen.

Theodor Kaftan im Alter Foto: Landesbibliothek Kiel

Freitag, 31. August 1923

Sonderburg. Der Sturm hat in den letzten Tagen bedeutenden Schaden angerichtet. In der Städtischen Seebadeanstalt wurde gestern früh die äußere Scheidewand zwischen den beiden Abteilungen fortgeweht, während die See die Brücke losriss und entführte,

(…)

Bei der Kirche wurde ein größerer Ast abgerissen und in der Alsenstraße wurden zwei große Bäume sowie am Ahlmannsweg ein Baum umgeweht. Der westliche Sturmwind führte außerdem niedrigen Wasserstand herbei, der heute früh seinen Tiefstand mit 1,10 Meter unter normal erreichte. Im Laufe des Vormittags stieg das wasser wieder. Inzwischen war aber recht bedeutender Schaden angerichtet. Unterhalb der Marinekaserne, wo vor einiger Zeit gebaggert wurde, ist die Zementmole, nachdem der Gegendruck des Wassers schwand, durch den Landdruck auf einer Strecke von etwa 30 Metern bis zu 2 Meter in den Hafen hinaus gewandert.

Die Schadensnachrichten werden hier nur in Auszügen wiedergegeben. So zerstörerisch der Sturm war, an der Westküste wütete er ungleich heftiger. Es waren zahlreiche Tote zu beklagen. Darüber wird jedoch erst in der Sonnabend-Ausgabe vom nächsten Tag berichtet. Zu lesen in unserer September-Chronik.

 
Foto: DN

Freitag, 3. August 1973

Tom Kristensen 80 Jahre

Der Verfasser des „Hærverk“, Tom Kristensen, prophezeite sich selbst in den sturmvollen 20er Jahren ein kurzes Leben. (…) Sonnabend wird der Dichter 80 Jahre alt. Tom Kristensen mag es nicht, wenn man ihn nur mit seinem erwähnten Roman identifiziert. Er verweist auf sein großes lyrisches und kritisches Werk. Und die „Danske Akademi“ legte denn auch die kritischen Arbeiten Kristensens zugrunde, als sie ihm 1968 den Großen Literaturpreis verlieh.

So beginnt ein leider ungezeichneter Geburtstagsgruß unserer Zeitung. Er geht noch auf weitere Werke Kristensens und Literaturpreise, die er erhielt, ein. Gleichwohl ist wohl der Roman „Hærverk“ das bedeutendste Werk seines Oevres. Kein geringerer als Knut Hamsun schrieb ihm, als der Roman erschien, es sei ein Meisterwerk, ein „Geniestreich“. Der Roman schildert den Verfall eines Alkoholikers im Kopenhagener Journalistenmilieu. Er beginnt vor 100 Jahren, mit den Aprilwahlen im Jahre 1924, ohne diese im Roman ausdrücklich so zu benennen. Überhaupt kann man ihn als Schlüsselroman der 20er Jahre Kopenhagens lesen. 1930 erschienen, lief der Verkauf schleppend an, heute blickt das Buch  auf Dutzende Auflagen zurück und zählt in Dänemark zu den Hauptromanen des 20. Jahrhunderts. In Deutschland musste man sechzig Jahre auf eine Übersetzung warten. Um und nach 1900 geborene dänische Autoren wurden mit wenigen Ausnahmen nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland kaum übersetzt. Das Buch erschien unter dem Titel „Roman einer Verwüstung“ erst 1992. Es wurde kein Erfolg. Das mag am Stoff oder an der deutschen Nachwendezeit gelegen haben. Oder aber am Verlag „Volk und Welt“, der einstmals der zweitgrößte Verlag der DDR war, und Ostdeutschland mit der ausländischen Literatur bekannt gemacht hatte. Damals aber lag er, geknebelt von der Treuhand, in den letzten Zügen und konnte seine Bücher kaum noch bewerben. Eine rühmende Kritik sei aber angemerkt. Der unvergessene Hanns Grössel, kongenialer Übersetzer Inger Christensens, (und übrigens Absolvent der deutschen St. Petri-Schule in Kopenhagen) schrieb in der Süddeutschen Zeitung im April 1992 eine wohlwollende Kritik und wies besonders auf Gisela Perlet, die Rostocker Übersetzerin, hin: „Ihre ebenso präzise wie stimmungsvolle Übersetzung erinnert daran, dass Tom Kristensens Roman am Ende desselben Jahrzehnts steht, in dem „Ulysses“ von James Joyce und „Berlin Alexanderplatz“ von Alfred Döblin erschienen sind.“

 

Sonnabend, 28. August 1973

Goethe-Preis für Arno Schmidt

Der mit 50.000 Mark dotierte Goethe-Preis der Stadt Frankfurt wird heute dem Schriftsteller Arno Schmidt verliehen. Der 59-jährige Autor – er lebt in fast totaler Abgeschiedenheit in Bargfeld in der Lüneburger Heide – gilt als Außenseiter des Geiosteslebens, Einsiedler und Schöpfer eigenwilliger Texte und Werke.

Arno Schmidt ist ohne Frage einer der markantesten und zumindest damals umstrittensten Autoren der alten Bundesrepublik. Heute werden Dissertationen über ihn verfasst und das Lesepublikum nimmt ab. Akademisierung und Leselust verhalten sich wie kommunizierende Röhren. Wächst die eine, nimmt die andere ab. Ein Zurück ist sehr selten. 1973 verschreckte Arno Schmidt mit seiner Preisrede, die wegen Krankheit seine Frau vorlesen musste, in Frankfurt/Main die junge 68er-Generation, die ihn als anarchischen Autor und Gegner der Adenauer-Zeit bewunderte, die er aber mit seinen Beschimpfungen und Beleidigungen verschreckte. Heute ist nur noch der alternde Kern der unermüdlichen Schmidt-Enthusiasten geblieben. - In Dänemark wurde Schmidt bereits vergleichsweise früh, 1964, mit dem Roman „Af en fauns liv“ (Aus dem Leben eines Fauns) vorgestellt, der in Deutschland zehn Jahre zuvor erschienen war. Er schildert das Doppelleben eines Angestellten in der Nazi-Zeit und stellt an unvertraute Erstleser, besonders dänische, einige Ansprüche, für eingefleischte Schmidt-Leser in Deutschland ist es ein einfacher Text. Es gab in Dänemark einige Resonanz von berühmten Kritikern wie Jacob Paludan, Niels Barfoed oder Erik Thygesen. Für die kundige Übersetzerin Birte Svensson (Ingeborg Bachmann, Alfred Andersch, Max Frisch, Martin Walser usw.) war die eigenwillige Sprache Schmidts eine Herausforderung. Ein Beispiel: In der spezifischen Schmidtschen Diktion heißt es im Roman: „Heilitler“. Die Übersetzung aber lautet „Heil´itler“. Das ist ein Unterschied und nur eine von den Schwierigkeiten, der sich Birte Svensson stellen musste.

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