Geschichte der Südfrucht

Allerlei zur Zitrone – eine dänische Neuerscheinung

Allerlei zur Zitrone – eine dänische Neuerscheinung

Allerlei zur Zitrone – eine dänische Neuerscheinung

Jürgen Ostwald
Jürgen Ostwald Freier Mitarbeiter
Nordschleswig
Zuletzt aktualisiert um:

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Zitronen kennt jeder. Und alle nutzen sie. Ob als ausgepresster Saft, geschälte oder abgeriebene Schale als Gewürz für Kuchen und Süßspeisen, die Zitrone ist in der Küche allgegenwärtig. Ein neues Buch erzählt viele Geschichten und gibt allerlei Tipps und uns die Gelegenheit, auch ein wenig über die Geschichte der Südfrucht nachzudenken.

Kochsendungen gehören in Dänemark wie in Deutschland nach Auskunft der Einschaltquoten zu den beliebtesten Sendungen überhaupt. So ist es kein Wunder, dass auch ungezählte Kochbücher und  ähnliche Publikationen seit Jahren auf die Büchertische kommen. Niemand kann sie alle lesen. Wer die einschlägigen Bücherregale unserer Secondhandläden abgeht, weiß, wie viele es sind und wohin sie gelangen. Nun ist vor einigen Wochen bei Gyldendal in Kopenhagen das Buch „Den lille sure. En presset historie om citronen“ von Nanna Simonsen und Ole Knudsen erschienen, das etwas andere Wege geht als die herkömmlichen Bücher, was schon der Titel vermuten lässt.

Nanna Simonsen ist eine bekannte Fernsehköchin und Autorin einer Reihe von Büchern über ihr Metier. Ihr ist die neueste Ausgabe von Kristine Marie Jensens klassischem Kochbuch von 1901, „Frøken Jensens kogbog“, zu verdanken, das in jeder dänischen Küche steht. Und sie ist die Autorin von „Nannas smørrebrød“ (2001), das vor 20 Jahren den Preis der Dänischen Gastronomischen Akademie erhalten hat. Mit ihrem Co-Autor Ole Knudsen hat sie bereits vor zehn Jahren die launige Schrift  „Sengelæsning for haveelskere. Ingen grund til at gå i haven, bare slap af og læs“ publiziert. Das kleine Zitronen-Buch führt durch die allgemeine Geschichte der Zitrone und gibt Anweisungen für ihre heutige Verwendung. Es führt uns ins 8. Jahrhundert vor Christus, in die Zeit der indischen Veden. Es benennt Alexander den Großen, der auf seinem Asienfeldzug die Zitronat-Zitrone in Griechenland einführte, und es lässt uns in die Häuser der Stadt Pompeji blicken, auf deren Wandmalereien Zitronen entdeckt wurden. Die Geschichte der Zitrone wird kurzweilig weitererzählt bis in unsere Tage.

Foto: Den Lille Sure / Gyldendal

Wir verlassen an dieser Stelle das Buch und fragen uns: Wie war aber die Geschichte der Zitrone in Nordschleswig und den angrenzenden Gebieten? Wie wurde sie eingeführt, wie verwendet? Wir verstehen das Folgende also als kleine Ergänzung des Buches von Nanna Simonsen für unsere hiesigen Leser.

In der Frühzeit des Mittelalters und der frühen Neuzeit kennt man Südfrüchte wohl nur vom Hörensagen. Südfrüchte hatte man seit dem 16. und 17. Jahrhundert, wenn überhaupt, nur auf den Gemälden der meist holländischen Stillleben-Maler, man fand sie möglicherweise in den Räumen des Haderslebener Schlosses oder jenen von Tondern oder Sonderburg. In Gravenstein und Augustenburg werden seit 1750 wohl bereits leibhaftige Zitronen und Limonen die fürstliche Küche und Tafel bereichert haben.

Jedenfalls waren damals nachweislich sehr fähige Hofköche tätig.Es war der Haderslebener Herzog Hans der Ältere (1521-1580), der wohl als einer der ersten oder als der erste Nordschleswiger Zitronen bewusst wahrgenommen hat (Rom-Pilger und Jerusalem-Fahrer, über die wir nichts wissen, ausgenommen). Ob als Früchte an Ziersträuchern und Bäumen oder als Abbildungen wissen wir nicht. Wahrscheinlich beides.

Hans, der Sohn König Friedrichs I. von Dänemark, besuchte oft seine Schwester Anna in Dresden, die mit dem sächsischen Kurfürsten August verheiratet war, „Vater August“, dem Erbauer des heute wieder hergestellten Dresdner Schlosses. Beide waren an Pflanzen, Gewürzen und Heilkräutern sehr interessiert, ließen sie anbauen, kultivieren und verarbeiten und vermochten auch Hans für dergleichen zu gewinnen. August verfasste 1571 höchstselbst ein Obstbüchlein mit Erläuterungen zur Aufzucht. Wir wissen, dass August mit eigener Hand Granatapfelkerne und Aprikosenkerne säte oder steckte.

Zitronen von 1563 in einem Dresdner Pflanzenbuch. Wir dürfen annehmen, dass der Haderslebener Herzog Hans der Ältere darin geblättert hat. Foto: Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Handschriftenabt.

Anna und August hatten damals ein üppig illustriertes Pflanzenbuch in Auftrag gegeben, das auch auswärtige Pflanzen (Tomaten, Paprika, Granatäpfel usw.) berücksichtigte. Eine der farbigen Pflanzenzeichnungen zeigt die „Citronat-Epffel“ (die Abbildung entstand 1563), die vielleicht auch in Dresden kultiviert wurden. Es war Cosimo de Medici, der bereits in diesem Jahr 1563 in Italien einen weithin berühmten Zuchtbetrieb für Zitrusfrüchte gegründet hatte. Hans der Ältere wird das Pflanzenbuch auf seinen Reisen in Dresden zweifellos in der kurfürstlichen Bücherei gesehen haben, zumal er, wie gesagt, selbst an Pflanzen und ihrer Kultivierung interessiert war und oft Sendungen seiner Schwester aus Dresden für seinen Garten gleich neben dem Schloss in Hadersleben dankbar in Empfang nahm.

Im Barockzeitalter waren Zitronen dann zumindest im höfischen Bereich fast alltäglich geworden. Und zwar sowohl als tatsächliche Frucht wie als poetisches Beispiel oder ikonografische Anspielung. Ein Beispiel von vielen: In der Taufpredigt des Herzogs Heinrich Ferdinand von Braunschweig-Wolfenbüttel von 1684 kommt die Zitrone bereits im Titel der gedruckten Fassung vor. Es heißt dort: „Eine mit Zucker bestreute Zitron / Eine im Leyden erfreute Persohn“, was im darauffolgenden Predigttext erläutert wird. Der kleine Herzog, der mit 20 Jahren starb, war der Bruder von Friedrich Albrecht II., der länger lebte und dessen Tochter Juliane Marie den dänischen König Friedrich V. heiratete. Der Vater von Heinrich Ferdinand war wiederum der Bruder von Sibylla Ursula, die nach Glücksburg heiratete und von dem berühmten Herzog Anton Ulrich (z. B. Anton-Ulrich-Museum in Braunschweig), der einstmals Herzogin Elisabeth Juliane vom Schloss in Norburg auf Alsen als seine Gemahlin abgeholt hatte.

Wir erwähnen das hier so ausführlich, weil die kleine Druckschrift wohl in vielen Schloss-Bibiotheken Nordschleswigs vorhanden war. Die Predigten wurden damals üblicherweise verschickt, später aber oft unbeachtet entsorgt. Die damaligen Leserinnen und Leser in Nordschleswig fanden zum obigen Spruch folgendes Gedicht:

„Wir die wir auff Erden wohnen / setzen nach gemeinem Lauff
Bey den beißenden Citronen klein-gestoßnen Zucker auff
So versüß du Sünden-Büßer / was mir saur und bitter ist
Weil du Jesu je viel süßer als der süße Zucker bist.“

In der Art, wie diese Predigt gelesen wurde, las man in den zahlreichen Schlössern Nordschleswigs, wohl auch schon in einigen Privathäusern der Beamten und Kaufleute, die Emblembücher und die allmählich in Mode kommenden botanischen Stichwerke und betrachtete Stilllebengemälde an den Wänden, die hier und da auf die Zitronen eingingen oder zu sprechen kamen. Die dänischen Könige und wohl auch die Herzogsfamilien in Nordschleswig kauften im 17. Jahrhundert Stilllebengemälde, auf denen sich auch Zitronen fanden. Seit 1690 ist im königlichen Kunstkammer-Inventar in Kopenhagen ein Fruchtstillleben aus dem Jahr 1652 von Johan Davids de Heem (1606-1684), einem der berühmtesten Stilllebenmaler aller Zeiten, der auch von unserem Nordschleswiger Blumenmaler Ottesen (1816-1892) bewundert wurde, nachgewiesen, das heute Statens Museum for Kunst gehört (vgl. Abb.) und damals zu vielfältigen Überlegungen Anlass gab: Man würzt den Wein, man würzt die Meeresfrüchte – so wie das Leben selbst gewürzt werden muss. Die Zitrone hat dabei spezifische Aufgaben, tatsächlich und im übertragenen Sinne. Das Barockzeitalter liebte die Anspielungen, die Verknüpfungen.

Johan Davids de Heem: Stillleben, 1652 Foto: Statens Museum for Kunst, Kopenhagen

Mit dem sich immer weiter entwickelnden europaweiten Handel, auch mit Waren südlich der Alpen, wurde die Zitrone allmählich zwar noch nicht zu einem Gemeingut, aber allen bekannt. Ein Lexikon aus der Mitte des 18. Jahrhunderts gibt uns Auskunft: „Es wird mit den Citronen jährlich zu Wasser und zu Lande durch ganz Europa ein allgemeiner großer Handel getrieben, und man schickt  ganze hölzerne Kisten voll aus Spanien und Italien aller Orten hin. Die meisten Citronen kommen aus St. Remo, Nizza, Menton und Monton, einer kleinen Stadt in Savoyen, allwo die nur zu gewissen Zeiten, etwa des Jahres zwey- oder dreymal, im Mai und September, nachdem sie wohl gerathten, mit Bewilligung des Raths, verkauft, und alsdann zu Wasser und Lande über Marseille und Lyon in andere Länder versendet werden. Man verkaufet aber allhier nur diejenigen, die nicht durch einen eisernen Ring gehen, dessen Dicke durch obrigkeitlichen Befehl bestimmt ist. Obgedachte Citonen-Kisten sind länglich, und öfters in einer 6 bis 800 Stücke in Papier eingepackt. Man kann, wenn sie häufig ankommen, die Kiste für wenig Thaler einkaufen. In Deutschland werden sie von den Italiänern und Materialisten, in Seestädten aber von so genannten Limonenverkäufern geführet.“

In Tondern, Apenrade, Hadersleben und Sonderburg gab es die Zitronen und Zitronenprodukte damals schon seit Längerem, aber offenbar nur gelegentlich, zu kaufen – allerdings nur in den Apotheken der vier Städte. Kolonialwarenläden und Geschäfte für Südfrüchte gab es noch nicht. Wie die Apotheker ihre Lager füllten, wissen wir nicht. Sie bezogen ihre Waren wohl aus Kopenhagen oder Hamburg (oder Altona).

In „Kiøbenhavnske Danske Post-Tidender“ vom 19. Dezember 1755 lesen wir (auf Deutsch!): „In Sr. Lauritz Platfuus Brauerhof in der Norderstrase wo der guldne Stern auf dem Giebel sitzt, und die Zuckerhüte aushängen, wird rafinirter Zucker und Syruppen verkauft, welches zu jederans Nachricht dienet. Notabene. So sind auch bey demselben noch etliche Citronen zu Kauf zu bekommen.“ Und ein Jahr später heißt es ebendort kurz vor Weihnachten: „Auf der Ecke der großen Färgestraße, bei Heman, kann ein jeder nach Belieben 25 Stück Citronen zu 7 und 1 halb Mark bis 100 Stück und darüber bekommen, diese Citronen sind extra schön, groß, frisch und dauerhaft, auch nicht bitter, denn es sind italiänische Früchte.“ Und einige Tage zuvor hieß es schon: „Bey Heman, auf der Ecke von den Amacher Markt und der großen Färgerstraße, sind noch einige Kisten extra schöne große frische Genueser Citronen, so niemals besser in Copenhagen gewesen, zu bekommen.“

Es dauerte einige Jahre, bis sich auch in Nordschleswig die Detailhändler an ihr Publikum wandten.

So hieß es am 29.Oktober 1797 in einem Haderslebener Wochenblatt: „Bey Fromm am Markte sind frische Citronen und Pomeranzen zu haben.“ Nach der Jahrhundertwende nahmen die Ankündigungen und  Anzeigen dann zu. Am 2. April 1815 fanden die Leser in und um Hadersleben folgende Anzeige: „Neue Citroonen und Catharinen-Pflaumen, so wie auch vorzüglich schöne Pommeranzen, sind so eben angekommen und zu billigen Preisen zu haben bey Joh. Chr. Holm.“

Am 1. Juni 1823 schrieb ein Haderslebener Händler: „Mit neu angekommenen Citronen, Apfelsinen, Pomeranzen, so wie mit Holländischem Käse, Lüneburger Salz und mehrerem empfiehlt sich L. Holst.“ Neben Holst, der noch jahrzehntelang als Händler von Südfrüchten tätig war („Neue Mallaga-Citronen, Ostindische Soja Caristoff, Chocolade mit Vanille, dito mit Gewürz, Bier- und Weinessig, wie auch Meerrettig m. m. Sind zu den billigsten Preisen bei mir zu haben.“), suchten auch die Händlerinnen und Händler Jörgen Thiels Witwe, Ernst G. Schröder und Jacob Greisen ihre Zitronen zu verkaufen. Die Südfrucht hatte also Anfang des 19. Jahrhunderts auch die Küchen und Tafeln des mittleren und höheren Bürgertums in Nordschleswig erreicht. Der Detailhandel mit Südfrüchten usw. hatte sich etabliert. P. Gjörtz, der ebenfalls lange als Händler in Hadersleben tätig war,  inserierte am 28. September 1846: „Mit neuen Citronen, Conf. Rosinen, Cath. Pflaumen, Krack-Mandeln, Mocca-Caffee, Pommeranzenschalen, alten jam. Rum, etc. empfiehlt sich bestens P. Gjörtz.“

Anne Marie Mangors großes Kochbuch erschien in Kopenhagen erstmals 1837. Schon im Jahr darauf gab es die zweite Auflage. Bereits auf den ersten Seiten des umfangreichen 275-seitigen Werks gibt es Anweisungen zur Aufbewahrung von Zitronenschalen. Foto: Wikipedia

Auf Sandbjerg, dem Herrenhaus westlich Sonderburgs und heutigem Konferenzcenter, das einst den Reventlows gehörte, war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Catharine Clausen tätig, die baldige Ehegattin des dortigen Gutsinspektors Claus Heinrich Glashoff. Sie wurden 1841 miteinander getraut. Cathrine schrieb ein bemerkenswertes Kochbuch, das heute im Sonderburger Museum liegt und das uns Inge Adriansen 2007 vorgestellt hat. Es findet sich dort u. a. folgender Eintrag: „Menuer til herskabet: Selleripuré – Østers og små postejer – Fisk – Dyresteg – Skorzonerrødder med skinke og æggestand – Trøfler – Kalkun – Citronkage.“ Die Zitrone war nunmehr in Haushalt und Küche eine selbstverständliche Frucht.

Im Jahre 1887 schuf Vincent van Gogh eine Reihe von Stillleben mit Zitronen. Das abgebildete „Karaffe und Schüssel mit Zitrusfrüchten“ gehört heute dem Van-Gogh-Museum in Amsterdam. Einige Leser werden sich erinnern: 2014 war es eines der Mittelpunkte in einer Ausstellung in Ordrupgaard bei Kopenhagen. Foto: Van-Gogh-Museum in Amsterdam.

Wir sind allmählich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts angekommen, als sich der Kolonialwarenhandel allmählich im Lebensmittelhandel etablierte. Auch die Kunst hat sich längst von der barocken Ikonografie verabschiedet. Ein Gemälde von der Hand Vincent van Goghs aus dem Jahr 1887 zeigt das deutlich (Abb.). Der Maler ist an der tatsächlichen Frucht interessiert, an ihrer herausfordernden Farblichkeit. Diese Aufmerksamkeit beweist sich auch in der farblichen Lichtbrechung der Tapete in der Karaffe. In eben diesem Jahr 1887 lesen wir in „Danevirke“, der Haderslebener Tageszeitung, eine Anzeige des Kaufmanns C. J. Ørum (den Laden der Familie Ørum wird es noch bis in die Zeit nach der Abstimmung geben) in der damaligen Norderstrasse (heute Nørregade) Ecke Goskierstraße (Gåskærgade).

Anzeige von C. J. Ørum in der Haderslebener „Dannevirke“ vom 10. Dezember 1887 Foto: Kongelige Bibliotek, København

Die Zitrone ist endlich im Ensemble der Warenangebote angekommen. Es handelt sich um ein Weihnachtsangebot, daher die Fülle der angepriesenen Waren. Und gerade zu besonderen Terminen holt man ja bekanntlich gerne die alte (oder neue) Ausgabe von „Frøken Jansens kogbog“ hervor. Oder blickt in: Nanna Simonsen & Ole Knudsen: Den lille sure. En presset historie om citronen. 160 Seiten. 149,95 Kronen. Gyldendal

Mehr lesen